PORTRÄT
Der vorprogrammierte Innenverteidiger
Nach seinem Kreuzbandriss fehlt er dem FC Bayern und der Nationalelf : Innenverteidiger Holger Badstuber wird vom knorrigen Hermann Gerland schlicht als „überragend“ bezeichnet. Von Elisabeth Schlammerl. Ein Auszug aus dem Buch „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg".

 

Holger Badstuber
Überragende Spieleröffnung: Holger Badstuber Foto Pixathlon

 Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg.

 „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" vom Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5

 

Auf dem Bolzplatz hinter der Klosterkirche in Rot an der Rot  hat alles begonnen. Dort versammelte der kleine Holger Badstuber seine Freunde. Schon als Fünfjähriger war er nicht vom Ball zu trennen, weder vom Gegner noch von den Eltern. Aber die wollten das auch gar nicht, denn die sind selbst fußballverrückt, ein bisschen wenigstens. Hermann Badstuber galt früher als guter Kicker in Oberschwaben, er brachte es bis zur Verbandsliga. Später war er ein erfolgreicher Trainer. Mutter Helga betreibt seit mehr als 20 Jahren im eigenen Einfamilienhaus einen kleinen Fußball-Shop.  Was also sollte aus Holger Badstuber anderes werden als ein Fußballspieler?

Sechzehn Jahre später ist er Stammspieler beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft, hat seine erste WM und eine erfolgreiche Champions-League-Saison hinter sich. Der Abwehrmann hat einen rasanten Aufstieg geschafft –  innerhalb von zehn Monaten von der Regionalliga über die Bundesliga in die Nationalmannschaft – und trotzdem hat er die Bodenhaftung nicht verloren. „Das ist mein Naturell. Aber falls ich mal ausrasten oder abheben würde, hätte ich genügend Menschen in meinem Umfeld, die mir wieder den Weg in die richtige Richtung weisen würden.“

Er wirkt für sein Alter erstaunlich abgeklärt, und das nicht nur auf dem Spielfeld. Als er im Juli 2009, noch vor seinem  Bundesliga-Debüt, seinen ersten Auftritt in der Münchner Presserunde hatte, verhielt er sich professioneller als manch routinierter Kollege. Er redete viel, gab ausführlich und bereitwillig Auskunft, aber ohne sich in Phrasen zu flüchten. Holger Badstuber ließ sich nicht aus der Fassung bringen, selbst die Fragen nach seinem damals vier  Monate zuvor verstorbenen Vater beantwortete er tapfer und mit fester Stimme. „Er wollte immer, dass ich einmal beim FC Bayern spiele.“

Der Vater war zuerst Trainer und Förderer, dann Kumpel und im letzten Jahr ein wichtiger Gesprächspartner. Er hat kurz vor seinem Tod noch den ersten Profivertrag von Holger Badstuber beim FC Bayern ausgehandelt. Hermann Badstuber hatte das das Talent seines Sohnes früh erkannt. Und auch, dass Holger weg musste vom TSV Rot, um sich weiterentwickeln zu können. Er schickte den Elfjährigen zum VfB Stuttgart, drei Jahre später, fand der Papa, war Holger dann reif für den FC Bayern. Der Kontakt kam über den Trainer der zweiten Mannschaft des Rekordmeisters, zustande. Hermann Gerland ist einer enger Freund der Familie, seit er mit Hermann Badstuber einen Trainerlehrgang in Köln besucht hatte. Fast täglich fuhren die Eltern ihren Sohn nach München, 130 Kilometer hin, 130 Kilometer zurück. „Gemeckert haben sie nie, dafür bin ich ihnen sehr dankbar“, sagt Badstuber. Erst 2005 zog er in das Jugend-Appartementhaus der Bayern. Fortan wurden die Besucher daheim in Oberschwaben seltener, dafür seine Leistung immer besser. 2007, als Holger Badstuber mit 18 Jahren altersbedingt ins Regionalliga-Team aufrückte, nahm ihn endgültig Hermann Gerland unter seine Fittiche.

Gerland hielt immer schon große Stücke auf Badstuber.  „Wenn ich einen Spieler als gut bezeichne, ist dies die größte Anerkennung, die er von mir es erwarten kann", sagt der knorrige Westfale. „Und Holger ist überragend." Im Regionalliga-Team wurde Badstuber allerdings weder in der Innenverteidigung aufgestellt noch auf der linken Seite, wo er bei den Profis zunächst oft spielte und auch bei seinen beiden WM-Partien gegen Australien und Serbien.  Gerland hatte ihn einst ins defensive Mittelfeld beordert, „weil er fand, dass ich auf dieser Position mehr unter Druck bin und deshalb mehr lerne", erzählt Badstuber. Aber der Trainer habe ihm auch gesagt:  „Irgendwann wirst du Innenverteidiger."

Als Gerland im Sommer 2009 Assistent des neuen Profitrainers Louis van Gaal wurde, hat er seinem Chef Badestuber sicher wärmstens empfohlen, aber das alleine genügte sicher nicht, um auf Anhieb einen Stammplatz zu erobern. Badstuber überzeugte in der Vorbereitung, und ein bisschen half ihm auch, dass er im Gegensatz zu den mittlerweile nicht mehr bei Bayern spielenden Martin Demichelis und Lucio ein Linksfuß ist.  „Dass er das Kriterium erfüllt, ist schon ein großer Vorteil. Man weiß ja, dass ich auf so etwas großen Wert lege", sagte van Gaal damals. Der Niederländer lässt gerne mit einem Linksfuß in der linken Innenverteidigung spielen. Weil sich im Laufe der Saison eine noch viel größere Lücke auf der linken Abwehrseite auftat, musste Badstuber sogar ganz nach außen rücken. Er erfüllte die Rolle solide, aber es war stets klar, dass er dort nur zur Aushilfe spielt.

Badstuber präsentierte sich für sein Alter von Anfang an sehr robust. Van Gaal stellte nicht den Anspruch an seinen Debütanten, gleich fehlerfrei zu sein. Wichtig war, dass Badstuber sich lernwillig zeigte, selbstbewusst auftrat, aber sich kritikfähig gab. Badstuber erinnert sich noch an eine Besprechung nach einem seiner ersten Spiele in der Vorbereitung.  Van Gaal habe ihm „auf der Taktiktafel erklärt, was ich in ein paar Situationen besser machen kann. Und ich war einverstanden." Er schien nicht überrascht, dass er wesentlich routiniertere Kollegen hinter sich ließ. „Du darfst dir auch als Junger nicht zu viel gefallen lassen. Du darfst nicht zu brav sein“, sagt er.  Aber Holger Badstuber weiß auch,  mit Rückschlägen umzugehen. Nach dem WM-Vorrundenspiel gegen Serbien wurde er heftig kritisiert, das sehe er „ nicht als negative Erfahrung“. Es gehört einfach dazu zum Reifeprozess eines Senkrechtstarters.

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