themenwoche
Das Millionengeschäft mit dem Jolly Roger
Entscheidung im Streit um die Merchandisingrechte des FC St. Pauli: Der Klub hat die Rechte nun nach jahrelangem Rechtsstreit zurückgekauft und den Vermarkter Upsolut gleich mit übernommen. Von Matthias Greulich

Der Text ist Teil der Themenwoche FC St. Pauli: 100 wilde Jahre


Totenkopffahne

Erkennungszeichen des FC St. Pauli: Seit Mitte der
80-er Jahre weht der Totenkopf, auf Engisch Jolly Roger, am Hamburger Millerntor. Auf der Fahne, die Doc Mabuse vom Hamburger Dom mitgenommen hatte, trug der Schädel eine Augenklappe.




Wenn Doc Mabuse die Fahne mit dem Totenkopf zu Altona 93 getragen hätte, wäre diese Geschichte anders verlaufen. Es ist das Symbol der Rebellen, die als Hausbesetzer gegen das Establishment ankämpften und wehte an der Hafenstraße, bis es auf wundersame Weise zum zweiten Erkennungszeichen des FC St. Pauli wurde.

Der Totenkopf, deutlich sichtbar auf T-Shirts oder Kapuzenpullovern gedruckt, wurde von den treuesten Fans getragen und in Eigenregie verkauft. Es gab die Sachen im Fanladen, der sich damit teilweise finanzierte. Sie sahen so gut aus, dass man sie nicht mehr nur im Stadion tragen wollte. Doc Mabuse, damals Bewohner des umkämpften „Sechser Blocks“ am Hafenrand, hatte viele Nachahmer gefunden.

Der Totenkopf ist heute Teil einer Modelinie, die im Hamburg-Shop am Flughafen allen anderen Produkten den Rang abläuft. Wenn japanische Triathleten bei Weltmeisterschaft in der Binnenalster schwimmen, nehmen sie eine Totenkopf-Fahne als Andenken mit nach Fernost. Vom FC St. Pauli oder Doc Mabuse wissen sie nichts, aber auch in Japan wollen sie rebellisch sein.

Denkt man einige Jahre weiter, könnte man sich sehr viel mehr Japaner mit Totenkopfprodukten vorstellen: Kein anderer Profiklub hat im Verkauf von Fanartikeln in den vergangenen fünf Jahren größere Zuwachsraten erzielt als der FC St. Pauli: Im Jahre 2008 lag der Umsatz bei rund 5,5 Millionen Euro – Tendenz stark steigend.

Der FC St. Pauli betreibt das Geschäft mit den Fanartikeln schon lange nicht mehr in Eigenregie. In der Vergangenheit hat er die Merchandisingrechte ganz oder teilweise an Dritte übertragen, zunächst Mitte der 90-er Jahre an den damaligen Präsidenten Heinz Weisener zur Absicherung von Forderungen in Millionenhöhe. Von der finanziellen Abhängigkeit vom 2005 verstorbenen Weisener hatte sich der Verein im Herbst 2000 nur durch den Sportvermarkter Upsolut Sports AG befreien können. An der FC St. Pauli Merchandising GmbH & Co. KG waren der Klub und Upsolut zu jeweils 50 Prozent beteiligt.

Rechteinhaber ist seit 2004 der Upsolut Merchandising GmbH & Co. KG, der Verein hatte im Gegenzug die Rechte für TV-Vermarktung und Sponsoring von Upsolut zurückgekauft. Das FC-Präsidium meldete einen der „größten wirtschaftlichen Erfolge der jüngsten Vergangenheit“. Im Jubel ging allerdings unter, dass der Klub nur noch zu zehn Prozent an der Merchandising KG beteiligt ist und der Vertrag bis 2034 (!) läuft. Dem „Hamburger Abendblatt“ sagte Littmann, der den Vertrag unterschrieben hatte, welchen wirtschaftlichen Wert er dem Totenkopf beimisst:
„Wenn jemand den Merchandising-Bereich als ,cash cow' bezeichnet, kann ich nur darüber lächeln. Das ist Unsinn.

Das Vertragswerk, das die ungleichen Partner verbindet, wird als kompliziert beschrieben, es sickerte durch, dass der FC St. Pauli vorab 20 Prozent Lizenzgebühren für verkaufte Fanartikel bekommt und zehn Prozent vom Gewinn. Mittlerweile hat Upsolut 39 Prozent an das Texttilunternehmen Miles aus Norderstedt weiterverkauft, ist aber mit 51 Prozent Mehrheitsgesellschafter. Beide Unternehmen gehören nun zu global agierenden Großkonzernen: Upsolut zum französischen Mischkonzern Lagadère, Miles dem chinesischen Handelsriesen Li & Fung.

Etwas naiv hatte man auf dem Heiligengeistfeld gehofft, dass der Totenkopf bei Lagadère in Paris so bedeutungslos sei, dass man die Merchandisingrechte zurückkaufen könnte. Aber es geht längst um ein Millionengeschäft – an dem der FC St. Pauli nur wenig partizipiert, was die Verantwortlichen so sehr fuchste, dass sie im Oktober 2009 vor Gericht zogen.

Das Oberlandesgericht Hamburg hat in seinem Urteil am 12. Dezember 2013 festgestellt, dass der 2004 geschlossene Vertrag über die Beteiligungsverhältnisse in der KG wegen Sittenwidrigkeit und Verstößen gegen Wettbewerbsrecht unwirksam ist. Das Gericht Hamburg hat dem Verein die Rechte zum 30. Juni 2014 zugesprochen. Gegen dieses Urteil ist die Revision beim Bundesgerichtshof möglich. Der Nebenklage des Vereins auf rückwirkende Aufhebung des zehnjährigen Wettbewerbsverbotes wurde nicht entsprochen.

„Das ist ein erfreuliches Ergebnis für uns und ein wichtiger Schritt für den Verein. Das Urteil zeigt dem Club neue Möglichkeiten im Bereich Merchandising auf. Es bleibt zu überlegen, ob die Aufrechterhaltung des zehnjährigen Wettbewerbsverbotes noch eine genauere Betrachtung verdient“, sagte Michael Meeske, kaufmännischer Geschäftsführer des FC St. Pauli.

Das Geschäft mit den Fanartikeln floriert trotz des juristischen Kleinkriegs zwischen Geschäftspartnern: Die Produktlinie wurde in den vergangenen Jahren ständig erweitert, der Umsatz hat sich seit 2004 vervierfacht. Wenn das Geschäft weiter so wächst, braucht das Unternehmen neue Lagerräume.

Im Merchandising herrscht eine große Konstanz, ein Mitarbeiter ist seit 1995 dabei, ein anderer wie Produktchef Hendrik Lüttmer wechselte 2001 vom Posten des Fanbeauftragten ins Merchandising. Im Zuge dieser Zäsur fuhr der Fanladen seine Produktion von Fanartikeln drastisch herunter. „Ganz viele Leute kamen nur noch zum Kauf von T-Shirts zu uns, wir hatten keine Zeit mehr für die eigentliche Fanarbeit“, sagt Lüttmers Nachfolger Heiko Schlesselmann. Zum Ausgleich für entgangene Einnahmen bekommt der Fanladen seitdem jedes Jahr vom Merchandising eine Geldzahlung zur Unterstützung seiner Arbeit.

Die Produktentwicklungen werden häufig für ihre Kreativität gelobt, vielleicht weil sie gerade nicht von Marketingstrategen am Reißbrett geplant werden: Nach fünf gemeinsamen Brandy in der Kneipe kreierten Lüttmer und Schlesselmann den griffigen Slogan „Weltpokalsiegerbesieger“ – das T-Shirt, mit dem das 2:1 gegen den großen FC Bayern am 6. Februar 2002 gewürdigt wurde. Als es dem Klub 2003 finanziell sehr schlecht ging, wollten 150.000 Käufer zum „Retter“ werden. „Beide T-Shirts verkaufen sich immer noch, wobei der Weltpokalbesiegerbesieger auf Dauer stärker ist“, sagt Lüttmer.

Der Totenkopf ist heute das Symbol für den schwierigen Balanceakt, an dem sich der Klub versucht, seitdem der Wiederaufstieg in die Bundesliga neue Begeisterung für den sympathischen Underdog geweckt hat. Für einige Anhänger, zu denen Doc Mabuse gehört, war die Grenze zum totalen Ausverkauf bereits überschritten, als die „Retter“-Hemden vor einigen Jahren bei „Mc Donald’s“ über den Tresen gingen. Mabuse geht seitdem zu Altona 93. In die Oberliga.

Der FC St. Pauli hat wenig vom Geschäft mit dem Totenkopf. Doc Mabuse bekam nie etwas – bis ihm St. Paulifans im vergangenen Winter Briketts und eine Dauerkarte in den Wohnwagen brachten, wo der Altpunk heute lebt.

Jasmin Tabatabai

Begehrte Fanartikel: Für das Cover des Stadtteilmagazins 1/4NACH5 posierte Jasmin Tabatabai im Frühjahr 2003 mit Totenkopfschal Foto Fergus

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