JAN DELAY ÜBER FUSSBALL
„Am derbsten finde ich Thomas Schaaf“
Ein Werder-Fan aus Hamburg: Im RUND-Interview redet Jan Delay über Lotto King Karl, Mario Basler und den Besuch von Paul Breitner bei Ton, Steine, Scherben. Interview Matthias Greulich und Eberhard Spohd.

Jan Delay

Werder-Fan aus Hamburg: Jan Delay
Foto Antonina Gern


RUND: Herr Eißfeldt, wie sehr beschäftigen Sie sich mit Fußball?
Jan Delay: Als ich klein war, war ich ein Fußball-Nerd und habe jeden Tag Fußball gespielt. Aber etwa mit zwölf wurde das durch Basketball abgelöst. Da war der Fußball erledigt, und nur meine Sympathie für Werder Bremen wurde dadurch, dass ich „Sportschau“ geguckt habe, weitergepflegt. Als sie dann 1992/93 Meister wurden, war ich wieder voll dabei. Und natürlich bei Welt- und Europameisterschaften. Ich bin Deutschlandfan und stehe dazu. Aber letztlich ist es doch so: Wenn Werder Bremen oben mitspielt, dann schaue ich regelmäßig Fußball, wenn sie abkacken, dann interessiert er mich nicht mehr so richtig. Das steigt und fällt mit Werder.

RUND: Wer gefällt Ihnen denn bei Werder Bremen?

Jan Delay: Micoud fand ich toll, weil er nie grinst und der derbste Styler ist. Früher haben wir Mario Basler gefeiert. Ich finde auch Frings cool, auch wenn er bei den Bayern war. Aber am derbsten finde ich Thomas Schaaf. Den finde ich unschlagbar.

RUND: Wieso?

Jan Delay: Ich finde das so geil, dass er seit über 30 Jahren Mitglied von Werder Bremen ist. Der ist damit groß geworden, und auf einmal ist er dort Trainer und wird Deutscher Meister. Das ist eine Posse, ein gesund freundschaftlich zusammengewachsenes Knäuel. Diese Geschichten schreibt das Herz. Davon bin ich Fan in der heutigen Zeit, in der bei einem Spiel von Arsenal gegen Madrid auf einmal der einzige Engländer bei Madrid spielt, in der du nichts mehr ernst nehmen kannst. Das klingt jetzt sehr blöd und opamäßig, aber das ist alles nur noch ein Marketingscheiß. Da finde ich es faszinierend, dass der HSV mit Uwe Seeler noch eine Legende hat. Selbst die Bayern, so sehr ich die auch hasse, denken an ihre Wurzeln. Das mag ich gerne.

RUND: Wie kommt denn ein Hamburger dazu, Werder-Fan zu sein?

Jan Delay: Ich fand früher deren Puma-Klamotten cool. Mir haben auch die Trikots in grün-weiß gut gefallen. Dann kam noch dazu, dass ich Rudi Völler und Otto Rehhagel großartig fand. Dabei ist es dann geblieben. Als Michael Kutzop damals den Elfer gegen den Pfosten gehauen hat und Bremen nicht Meister wurde, habe ich drei Tage geweint. Da ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Es ist wie in der Musik: Alles, was ich als kleiner Junge gemocht habe, ist nie wieder aus mir rausgegangen. Das bleibt. In der Musik wie im Fußball.

RUND: Sie haben vorher gesagt, beim Fußball gehe es nur noch ums Marketing. Glauben Sie, man kann das Musik- und das Fußballgeschäft miteinander vergleichen?
Jan Delay: Es wäre ein bisschen konventionell, das zu tun. Das kann man nicht so richtig, denn im Fußball gibt es keine Downloads. Deshalb könnte man es nur mit der Entertainment-Industrie generell vergleichen, vielleicht mit Hollywood. Obwohl auch hier der Download am Thron kratzt.

RUND: Wir denken eher an die Ähnlichkeiten: In beide Branchen gibt es junge Leute, die ihre Unabhängigkeit verlieren und gelenkt werden, wenn ihre Persönlichkeit nicht stark genug ist.
Jan Delay: Das kann man so nicht sagen. Sie müssen ja ihre Persönlichkeit aufgeben um in der Mannschaft, als Team, erfolgreich zu spielen. Da darf man nicht unabhängig sein. Denken Sie daran, wie Leverkusen Madrid mit 3:0 weggehauen hat. Das ist das beste Beispiel dafür, dass ein unabhängiger Spieler ein Scheiß ist. Mann, Real hatte den Nike-Werbespot auf dem Platz und hat 0:3 verloren, weil Leverkusen das Team war. Nur weil die Starspieler mit ihren Egos nichts gebacken gekriegt haben. Deshalb darfst du nicht unabhängig sein. Das ist, wie in einer Band zu spielen. Du bist ein Rad in dem ganzen Gefüge. Da musst du dich auch eingliedern. Du musst deine Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen.

RUND: Mehmet Scholl war doch auch Bravo-geschädigt.

Jan Delay: Dagegen hat er sich aber zu wehren versucht.

RUND: Aber es war so ein wenig wie bei den Beginnern damals.

Jan Delay: Das meine ich ja. Wir haben das auch geschnallt und versucht, uns dagegen zu stellen. Ich glaube, das war bei Mehmet Scholl ähnlich. Der war, glaube ich, schon immer eher cool.

RUND: Und er hat zwei Sampler herausgegeben.
Jan Delay: Genau, mit schönem Indie-Rock. Ich fand übrigens auch Klinsi immer schon gigantisch. Der hat ja am Anfang in Stuttgart gespielt, und als er damals die Lichtgestalt beim VfB war und geäußert hat, dass er die Grünen wählt, war ich als Elf- oder Zwölfjähriger begeistert. Das war immer etwas, was mich nie zu einem kompletten Fußballdurchdreher hat werden lassen: Ich komme aus einem politischen Elternhaus, und wenn ich mit meinem Onkel zum HSV gegangen bin, habe ich die Nazis da gesehen. Und wenn ich einen Spieler im Interview gesehen habe, habe ich immer gesehen, dass das dumme oder reaktionäre Menschen waren, oder Leute, die anderen nach dem Mund geredet haben. Deshalb hat Klinsi so herausgestochen.

RUND: Das war Ihnen wichtig?
Jan Delay: Ja. Ich gebe auch gerne ein anderes Beispiel: Als ich 13 war, habe ich eine Ton-Steine-Scherben-Biografie gelesen. Darin tauchte Paul Breitner auf. Der war damals wohl ein Revoluzzer, auch wenn er jetzt in der CSU ist. Die Scherben sind damals voll durchgedreht und haben ihm ihre erste selbst gepresste Platte geschickt. Dann haben sie irgendwann in ihrem Von-Rauch-Haus mit ihren 40 Strichern und Chaoten rumgehangen. Da klopfte es an der Tür, und die haben die tägliche Polizeikontrolle erwartet. Sie machen auf, und da steht Paul Breitner vor der Tür. Der hatte da ein Spiel gegen Hertha und wollte hallo sagen und sich bedanken. Das finde ich derbe.

RUND: Was heißt politisches Elternhaus?
Jan Delay: Ich bin in einem Wohnprojekt in Hamburg aufgewachsen und mit Einstellung und Haltung erzogen worden. Das geht auf einen über, positiv wie negativ. Denn heute habe ich auch eine Aversion gegen Birkenstock-Sandalen.

RUND: Als sich Ton, Steine, Scherben trennten, machte Rio Reiser solo weiter. Sie haben „Für immer und dich“ gecovert.
Jan Delay: Den habe ich erst spät begriffen. Ich habe Reiser natürlich schon sehr früh gehört. Aber das waren dann so Stücke wie „König von Deutschland“. Das war ja auch alles cool. Aber dann habe ich zu meinen Antifa-Zeiten die Scherben entdeckt und war begeistert. Erst da habe ich mich damit auseinandergesetzt..

RUND: Ganz anderes Thema: Sie haben gesagt, dass Sie die Klamotten bei Bremen so toll fanden.
Jan Delay: Ja, obwohl mich Puma heute überhaupt nicht mehr flasht.

RUND: Was macht Style aus für Sie?
Jan Delay: Alles. Egal bei was. Egal ob Musik, Klamotten, Filme: Style ist das A und O. Es ist wichtig, dass man Geschmack beweist. Um es am Fußball festzumachen: Bei Miro Klose setzt es sich aus verschiedenen Aspekten zusammen. Es gibt das, was er als Fußballer macht: Er geht offensiv rein und macht Tore. Das finde ich ziemlich gut und begrüße ich. Wenn ich ihn dann aber als Person im Interview wahrnehme, finde ich ihn eher ein bisschen blass. Da ist dann Micoud besser, weil er insgesamt mehr Geschmack beweist oder meine Art von Stil anspricht. Jemand der anders gestrickt ist als ich, wird es genau andersherum sehen. Dem ist Micoud zu unfreundlich, dieser alte Brummelkopf, diese Miesmuschel. Der kann dann viel mehr mit Klose fühlen, vielleicht weil er auch vom Land kommt und sich nicht für subkulturelle Phänomene interessiert. Andererseits ist natürlich ausgerechnet U2 Micouds Lieblingsband. Damit hat er sich bei mir wieder ein bisschen ins Abseits manövriert. Das zieht allem, was ich eben erzählt habe, wieder den Boden weg.

RUND: Was unterscheidet Style von Stil?
Jan Delay: Das ist das Gleiche. Style ist nur das neue Wort dafür.

RUND: Was haben Sie für einen Stil?
Jan Delay: Hören Sie sich meine Platte an, schauen Sie sich an, was ich trage. Darüber kann ich nicht selbst reden. Ich mache es, ich übe es aus. Es liegt ja auch immer im Auge des Betrachters. Deshalb kann ich das nicht sagen, weil der Eine das so sieht und der Andere so.

RUND: Das war ein guter Konter.
Jan Delay: Das meine ich ganz ehrlich. Ich finde es peinlich, wenn sich jemand hinstellt und sagt: Mein Stil ist so und so und ich bin blablabla. Man macht das einfach und redet nicht drüber. Das ist so ähnlich wie Sex. Da sage ich auch: Macht doch einfach!

RUND: Wurden Sie gebeten, ein WM-Stück zu schreiben?
Jan Delay: Ich hatte damals eine E-Mail bekommen. Das stand in etwa drin: „Im Zusammenhang mit der WM und Deutschlands Bild nach draußen haben wir 40 wichtigsten Köpfe Deutschlands unter 40 Jahren zusammengestellt. Du bist dabei! Bitte komm doch zu einer Fotosession, wir machen eine Ausstellung im Reichstag und der Medienpartner ist die ,Bild am Sonntag‚Äò. Das wird arrangiert von Jung von Matt.“ Da habe ich nur gedacht: Na klar! Da hätten sie auch gleich fragen können, ob ich eine Deutschland-Hymne komponieren möchte. Ich mache alles für Hamburg und nichts für Deutschland.

RUND: Was ist überhaupt mit Fußballliedern. Gibt es da etwas, was Sie gut finden?
Jan Delay: Ich habe mir Lotto King Karls Hamburg-Hymne runtergeladen. Da bekomme ich Gänsehaut und singe das gerne mit. Es ist so einfach und so simpel und billiger Rock-Balladen-Scheiß, aber es ist geil. Ich finde das fett, auch wenn es für den HSV ist. Es ist ja auch nicht so, dass ich den HSV hasse. Ich bin als Kind zu jedem Spiel gegangen, aber nicht um den HSV zu sehen, sondern die anderen Spieler. Ich wollte Rummenigge sehen und Völler und Matthäus. Den HSV fand ich wegen der Fans immer doof.

RUND: Die haben sich inzwischen geändert.
Jan Delay: Ich war seither nicht wieder da. Viele von meinen Freunden, die seit ewigen Zeiten HSV-Fans sind, sagen das auch. Allein deshalb habe ich auch mehr Bezug zu dem Verein bekommen. Ich gehe irgendwann noch einmal da hin und schau mir das an.


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