INTERVIEW
Robert Enke
Im Jahre 2005 führten Christoph Ruf und Malte Oberschelp ein Interview mit Robert Enke, das in der zweiten RUND-Ausgabe erschien.

Robert Enke

Robert Enke Foto Cecil Arp


RUND: Herr Enke, Ihre Bundesliga-Kollegen haben Sie vergangene Saison zum besten Torhüter Deutschlands gewählt. Womöglich wären Sie schon in der Nationalelf, wenn Sie 1999 nicht ins Ausland gegangen wären.

Robert Enke: Die Erfahrungen würde ich dennoch nie im Leben gegen fünf Jahre Bundesliga eintauschen. Ich habe in wunderschönen Städten gelebt und bei großen Klubs gespielt. Ich weiß, wie es ist, Ausländer zu sein, sich zurechtfinden zu müssen. Ich habe neue Kulturen und sehr viele nette Menschen kennen gelernt. Wenn ich in Deutschland geblieben wäre, wäre ich heute vielleicht näher an der Nationalmannschaft. Vielleicht aber auch nicht.

RUND: Mancher Ihrer Kollegen lässt keine Gelegenheit aus, sich als Nationalkeeper ins Gespräch zu bringen. Sie wirken recht gelassen.

Realistisch betrachtet wird die Nationalmannschaft allenfalls nach der WM ein Thema für mich. Ich weiß außerdem, wie es auch laufen kann. Ich bin 2003 aus Lissabon zum FC Barcelona gekommen. Ein Jahr später war ich arbeitslos.

RUND: 1999 waren Sie im Aufgebot beim Confederations Cup in Mexiko. Im gleichen Jahr wechselten Sie zu Benfica Lissabon. War Ihnen klar, dass Sie damit in Deutschland fast vollständig von der Medienbildfläche verschwinden würden?

Das war mir damals nicht so wichtig. Mich juckt es nicht, dass einem Verein wie Benfica in Deutschland nicht viel Beachtung geschenkt wird, obwohl es eigentlich unverständlich ist. Schließlich bedeutet Benfica Menschen in ganz Europa sehr viel. Das ist ein Weltclub. Egal, ob wir in Deutschland, Frankreich, den USA oder Afrika gespielt haben, überall waren zig Fans da.

RUND: Warum sind Sie damals gegangen?

Ganz ehrlich, es war finanziell ein sehr gutes Angebot. Der Hauptgrund war aber, dass Jupp Heynckes dorthin gegangen ist und ich unbedingt mal mit so einem Trainer mit Weltruf arbeiten wollte.

RUND: Was war in Barcelona und Lissabon fußballerisch anders?

Ich hatte dort in der Vorbereitung nicht einmal die Laufschuhe an. In Spanien und Portugal holt man sich die Kondition halt anders, auch bei Jose Mourinho in Lissabon war das so. Und ich glaube nicht, dass spanische oder portugiesische Teams eine schlechtere Kondition als deutsche haben. Trotzdem läuft man in Deutschland drei Wochen lang fast jeden Tag.

RUND: Sie dürften der einzige Bundesligaspieler sein, der je unter Mourinho trainiert hat. Was ist er für ein Typ?

Mourinho spricht Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Französisch, alles fließend. Er ist ein sehr gebildeter Mann, der aber auch sehr von sich überzeugt ist.

RUND: Das kann man wohl sagen.

Die Arroganz ist allerdings nur Show. Das macht er, um von der Mannschaft abzulenken und Kritik auf sich zu ziehen. Er ist ein sehr guter Trainer und ein Supertyp. Man muss nur hören, was seine ehemaligen Spieler über ihn sagen: Sie sind alle voll des Lobes über ihn. Und er hatte in Lissabon von Anfang an eine natürliche Autorität, obwohl er damals als Cheftrainer noch nichts vorzuweisen hatte.

RUND: Welchen Status hat der Torwart in Spanien?

In Deutschland wird ein guter Torwart schnell Publikumsliebling. In Spanien ist der Keeper eher geduldet, für das Spektakel sorgen die Mittelfeldspieler und Stürmer. Als Ausländer darf man sich in Barcelona sowieso keinen Fehler erlauben, als Torwart aber zählt nur Perfektion. Ich habe ein schlechtes Spiel gemacht und wurde von den Zeitungen in der Luft zerrissen. Gegenüber europäischen Spitzenclubs ist die Bundesliga ein Kindergeburtstag.

RUND: In Deutschland geht es eben etwas weniger leidenschaftlich zu.

Das ist eher umgekehrt. Bei einem ganz normalen Spiel im Camp Nou sind zwar 80.000 Leute. Aber wenn man sich das Spiel anguckt auf der Tribüne – dieses Vergnügen hatte ich ja auch mal – kommt man sich vor wie in der Oper. Die Leute essen Kürbiskerne und trinken Cola mit der Familie. Bis da Stimmung aufkommt, musst du schon gegen Real nach 20 Minuten 2:0 führen. So etwas erlebst du weder in Schalke, Dortmund, Hamburg oder Hannover. Was die Stimmung angeht, kann Spanien mit Deutschland nicht mithalten.

RUND: Barcelona hat sie zu Fenerbahce Istanbul ausgeliehen. Wie fanden Sie es in der Türkei?

Schön.

RUND: Ihrem Tonfall nach zu urteilen so schön wie Migräne.

Ich habe in Istanbul natürlich ein Extrem mitgekommen, weil ich von Vorneherein mit Vorurteilen zu kämpfen hatte. Ihr Torwart Rüstü ging damals nach Barcelona und ich kam von da. Für die Fans klang das so, als verkauften sie ihren Nationaltorwart und bekämen dafür eine Nummer drei zurück. Ich hatte dann eine Szene, in der ich nicht gut aussah und danach sind die Fans komplett ausgetickt. Sie haben mit Flaschen und Feuerzeugen nach mir geworfen. Da habe ich entschieden, dass es mir das nicht wert ist.

RUND: Und dann wurde irgendwann vor dem Spiel ein Schaf geschlachtet.

Gut, dass mein Frau da nicht dabei war, die wäre wohl Amok gelaufen. Ich war drei Tage da, es war die Saisoneröffnung eines Zweitligisten mit einem Spiel gegen Fenerbahce. Und vorher wurde das Schaf geschächtet. Es ist wohl in vielen kleinen Städten so, dass sich die Spieler vor dem Spiel mit Schafsblut zeichnen.

RUND: Sie haben dann nach zwei Wochen Ihren Vertrag aufgelöst. Mancher Experte hierzulande meinte, Sie hätten durchhalten sollen.

Ich kann verstehen, wenn Leute sagen, das sei unprofessionell. Aber Außenstehende kannten die Situation auch nicht. Die Folgen habe ich getragen, denn ich wurde für ein halbes Jahr gesperrt.

RUND: Nach Ihrem spontanen Entschluss mussten Sie irgendwie ein halbes Jahr rumkriegen.

Das war schwierig, zumal klar war, dass die großen Klubs nicht Schlange stehen würden. Den Haag und Kärnten waren Letzte in ihren Ligen. Da bin ich lieber nach Teneriffa. Die spielten zwar in der Zweiten Liga, aber immerhin in einem großen Fußballland. Das war auch genau die richtige Entscheidung.

RUND: Und ein versöhnlicher Abschluss Ihrer fünf Jahre im Ausland. Inwiefern haben Sie sich verändert?

Ich weiß jetzt zum Beispiel, wie peinlich deutsche Touristen im Ausland sein können. Oder wenn man in einem Lissaboner Supermarkt ist und die Leute versuchen, mit vier unterschiedlichen Kreditkarten zu bezahlen, die alle nicht funktionieren: Es bildet sich eine lange Schlange, aber keiner regt sich auf. Bis auf einen selber, am Anfang jedenfalls.

RUND: Wollen Sie irgendwann zurück ins Ausland?

Ich bin gerne in Deutschland, es ist ein schönes Land. Ob ich später da leben werde, wage ich aber zu bezweifeln. Wahrscheinlich wird es uns ans Meer ziehen. Gerade in Spanien und Portugal hat es mir sehr gut gefallen und wir beide können uns gut vorstellen, am Ende meiner Karriere wieder dort hin zu gehen. Meine Frau lag mir im Juli jeden Tag in den Ohren, wie schön das Wetter im Süden war.

RUND: Als Sie das letzte Mal wiederkamen, haben Sie sieben Hunde mitgebracht. Woher stammt denn diese Tierliebe?

Die Tierliebe kommt schon sehr von meiner Frau, aber mit den Jahren teilt man das. In Spanien und Portugal gibt es sehr viele Straßenhunde, die gefangen und in Tötungsstationen gebracht werden. Aus der Zeit sind uns sieben Hunde geblieben, die waren alle von der Straße oder wir haben sie Leuten abgekauft, die sie nur an der Kette gehalten haben.

RUND: Sie haben die Hunde spontan auf der Straße aufgelesen?

Die waren alle schwer verletzt und wir haben sie dann aufgepäppelt. Manchmal war es auch zu spät.

RUND: Sind Sie Vegetarier oder kaufen Ihr Fleisch im Naturladen?

Ich esse Fleisch. Ich kaufe nicht das billigste, aber ich gehe auch nicht in den Bioladen. Man kann sich auch zwischen den Extremen bewegen: Zwischen einer veganen Lebensweise und völliger Gleichgültigkeit gegenüber Tieren ist viel Platz.

RUND: Sieben Hunde in einem Haushalt sind aber ganz schön extrem.

Ursprünglich wollten wir sie auch nur weiter vermitteln, aber das war schwierig, weil die Leute Rassehunde oder Welpen haben wollten. Da wurden es immer mehr. Im Moment haben wir aber aufgrund unserer Tochter andere Sorgen. Wenn man ein schwer krankes Kind zu Hause hat, relativiert sich so Einiges.

RUND: Ihre Tochter ist krank zur Welt gekommen.

Wir haben in Barcelona erfahren, dass Lara ein so genanntes hypoplastisches Linksherzsyndrom hat, einen der schlimmsten Herzfehler, mit denen man zur Welt kommen kann. Deshalb waren wir auch sehr froh, dass sich der Wechsel nach Hannover ergeben hat: nicht nur wegen der sportlichen Perspektive, sondern weil es hier eine kinderkardiologische Spezialklinik gibt.

RUND: Wie schaffen Sie es, die private Belastung mit dem Profifußball zu verbinden?

Das größte Lob gebührt da meiner Frau. Das erste halbe Jahr in Hannover verbrachte sie fast komplett im Krankenhaus, weil es so viele Komplikationen gab. In der Klinik sieht man natürlich auch viele andere Kinder auf der Intensivstation, die es nicht schaffen. Das sind Erfahrungen, mit denen man erst einmal zurechtkommen muss.

RUND: Dann kommen Sie abends vermutlich nicht nach Hause und unterhalten sich über Banalitäten wie falsche Schiedsrichterentscheidungen.

Doch, das passiert auch schon mal. Das andere Leben geht auch weiter, das muss auch weitergehen.

RUND: Egal, was passiert?

Einmal hatte Lara einen Herzstillstand und man versuchte über eine Stunde, sie wieder zu beleben. Wenn man um halb zwölf Uhr nachts einen Anruf bekommt, denkt man natürlich, dass es das war. Das kann man gar nicht beschreiben. Das war an einem Sonntag, am Dienstag hatten wir ein Spiel in Cottbus. Ich habe zu meiner Frau gesagt, dass sie entscheiden soll, ob ich mitfahre. Ewald Lienen hätte mir natürlich freigegeben. Aber sie sagte: Geh und spiel, es muss weitergehen. Wir haben da im Elfmeterschießen gewonnen, und ich habe einen Elfer gehalten. Es klingt hart, aber selbst wenn unsere Tochter gestorben wäre, hätte das Leben weitergehen müssen.

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