SPANIEN
Viel mehr als ein Spiel
In Spanien heißt die die Partie schlicht „el clásico“ – der Klassiker. Real Madrid gegen den FC Barcelona. Von Elmar Neveling.


Carles Puyol
Stolz Kataloniens: Carles Puyol trägt die Fahne der
autonomen Region als Kapitänsbinde
Foto Sebastian Vollmert


Wenn bereits Wochen vor dem Spiel die Polemiken der spanischen Sporttageszeitungen „Marca“, „AS“, „Sport“ und „El Mundo Deportivo“ beginnen, wenn jeder Nebensatz von Ronaldinho oder Raúl zur Titelgeschichte aufgebauscht wird und wenn die Vereinspräsidenten vollmundig den Sieg ihres Klubs ankündigen – dann ist wieder Derbyzeit in Spanien. Wobei die Bezeichnung Derby eigentlich Unfug ist, liegen doch beide Städte mit 621 Kilometern so weit voneinander entfernt, dass bereits die Grundvoraussetzung für ein Nachbarschaftsduell fehlt.

Die große Rivalität zwischen beiden Klubs ist in Europa nur noch mit der tiefen Abneigung zwischen Celtic und den Glasgow Rangers vergleichbar. Die Konflikte der Zentralregierung in Madrid mit Katalonien wurden und werden stellvertretend immer noch im Stadion ausgetragen, wer die tiefe Abneigung zwischen den beiden besten Teams der Primera División verstehen will, findet in Bar√ßas Vereinshistorie viele schlimme Vorfälle. Im Jahre 1925 wurde Les Corts, die damalige Spielstätte des Klubs, auf Anordnung des spanischen Generals und Diktators Miguel Primo de Rivera für die Dauer von sechs Monaten geschlossen. Was passiert war? Die Zuschauer hatten vor einem Freundschaftsspiel zwischen Spanien und England während des Abspielens der spanischen Nationalhymne gellend gepfiffen, um die Autonomiebestrebungen Kataloniens zu dokumentieren.

Die Mannschaft des FC Barcelona wurde anschließend ins mexikanische Exil geschickt, zudem enthob das Militärregime Hans Gamper, den schweizerischen Gründer und Präsidenten des FC Barcelona, seines Amtes und legte ihm einen dauerhaften Auslandsaufenthalt nahe. Ein Nachfolger Gampers, Josep Sunyol Garriga, wurde während der Anfänge des spanischen Bürgerkrieges von 1936 von den Truppen des späteren Diktators Francisco Franco erschossen.

Auch in der Folgezeit des faschistoiden Franquismus geriet der Fußball zum traurigen Spielball politischer Machtverhältnisse. So kam das 11:1 zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona im November 1943 unter skandalösen Umständen zustande: Die Gäste, die bereits vor dem Spiel massiv bedroht wurden, spielten die Partie nur aus Angst vor Verhaftungen zu Ende. Franco galt als bedingungsloser Förderer Real Madrids, das er als Botschafter seiner Politik instrumentalisierte.

Zwar gilt Real heute nicht mehr als „equipo del régime“ („Mannschaft des Regimes“), deren Spieler als Fahnenträger der Diktatur zweckentfremdet werden. Doch auch mehr als dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Diktatur von 1975 identifizieren viele Barcelonesen den Erzrivalen zumindest als Sinnbild des spanischen Zentralismus. Eines Zentralismus, der dem katalanischen Selbstverständnis von Autonomie und Souveränität zuwiderläuft und dessen Rückgrat der FC Barcelona als „unbewaffnete symbolische Armee Kataloniens“ bilde, wie der katalanische Schriftsteller Manuel Vázquez Montelbán einst erläuterte. Jeder Sieg gegen den Kontrahenten gelte als „politische Manifestation“, so Montelbán. Dies umso mehr, als der einstige Präsident von Real Madrid, Santiago Bernabéu, gute Kontakte zum Regime pflegte.

Der 17. Februar 1974 gilt im katalanischen Bewusstsein als Symbol des bevorstehenden Endes der Ära Franco. Der 5:0-Erfolg des FC Barcelona im Estadio Santiago Bernabéu wurde von den Madrilenen als sportliche Demütigung empfunden, der Diktator starb knapp zwei Jahre später am 20. November 1975. Im Zuge des Übergangs zur Demokratie konnte Bar√ßa auch seine Namensumbenennung rückgängig machen, nachdem es zuvor unter der spanischen Bezeichnung „Club de fútbol“ statt unter dem englischen Original „Football club Barcelona“ hatte firmieren müssen.

Absolut unverzeihlich war daher der Wechsel des einstigen Publikumslieblings Luís Figo, der mehrfach aus Respekt vor katalanischen Befindlichkeiten erklärt hatte, niemals nach Madrid zu wechseln. Doch im Millenniumsjahr 2000 brach der Portugiese sein Wort, wechselte für mehr als 30 Millionen Euro zu den „blancos“ in die spanische Hauptstadt und wurde bei seiner Rückkehr ins Stadion Camp Nou mit skurrilen Wurfgeschossen wie einem Schweinskopf empfangen. Figos Ausführung einer Ecke musste um mehrere Minuten verschoben werden, bis die erhitzten Gemüter halbwegs besänftig waren. Dass den Katalanen beim torlosen Remis ein einwandfreier Treffer aberkannt wurde, führte in den folgenden Tagen zu den üblichen Verschwörungstheorien, die ihren Ursprung noch immer in der Unterdrückungszeit finden.

Die Madrilenen hingegen betrachten die ihrer Ansicht nach anmaßenden wie unsolidarischen Separatismusbestrebungen Kataloniens mit Argwohn und argumentieren, dass ganz Spanien einschließlich Madrid selbst unter der Diktatur zu leiden hatte. Aus einem landesweit verbreiteten Unrecht ließe sich daher kein heutiges katalanisches Sonderrecht ableiten. Gerne wird es als Symbol der Ablehnung autonomer Ansprüche interpretiert, wenn Spieler Reals ihre Titelgewinne eingehüllt in die spanische Landesfahne zelebrieren.

Ob Barcelona mit einem Sieg den Tabellenführer Madrid stürzen kann, ist völlig offen. In den Cafés und Bars des Landes ereifern sich die Aficionados seit Tagen über den Ausgang dieser Partie, das so viel mehr als ein Fußballspiel in Spanien symbolisiert. Der Terminplaner der Liga hat es in diesem Jahr nicht gut mit den Fans gemeint: Dass dieses Spiel wegen der Wahlen zum katalonischen Parlament an einem Montag stattfindet, empfinden viele unwürdig für einen clásico.

Samuel Eto'o
"Madrid, du Scheißverein": Samuel Eto'o galt bei Real nach seinem
Verbalfoul als Reizfigur Foto Sebastian Vollmert

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