INTERVIEW
„Erstaunlich, was Fußballer tun können, ohne zu denken“
Nicht nur Sportler, auch Philosophen bereiten sich auf Sportspektakel wie die Olympischen Spiele vor. Ein Gespräch mit dem Londoner Professor David Papineau über Können und Versagen im Sport. Interview und Übersetzung Johann Laux, London.

 

Lionel Messi„Einige Trainer glauben, dass körperlich kleine Spieler einen Vorteil haben“: Der Philosoph David Papinau ist fasziniert von Spielern wie Lionel Messi Foto Pixathlon

 

Herr Papineau, die Olympischen Spiele hier in London beginnen. Sie als Philosoph, der sich mit Sportlern und ihrem Versagen beschäftigt, werden Sie sich einen bestimmten Wettbewerb ansehen?
David Papineau: Ich bin ein großer Sportfan, aber Tickets für die Spiele habe ich nicht. Ich denke sogar, dass die Sicht im Fernsehen besser ist als im Stadion. Außerdem interessiert mich Leichtathletik nicht ganz so sehr. Ich ziehe Cricket, Fußball, Golf, Baseball und Tennis vor.

Eines der meistverkauften Bücher über Tennis ist von Timothy Gallwey und heißt „The Inner Game of Tennis“. Es handelt von Selbstzweifeln und Angst. In welcher Rolle haben Sie mehr Spaß am Sportschauen, als Philosoph des Geistes oder als Sportfan?
David Papineau: Ich sehe mir gerne Sport an, der ein hohes Maß an Taktik oder an Konzentration und Fokus erfordert. Und hier gibt es Unterschiede: Darts und Billard sind eher untaktisch, aber es braucht eine Menge an Konzentration um ein gutes Spiel zu machen. Deshalb bin ich als Philosoph so sehr an Sport interessiert: Er zeigt uns zwei verschiedene, aufeinander folgende Sequenzen von menschlichem Verhalten. Zunächst erlernt man ganz bewusst eine bestimmte körperliche Fähigkeit, so lange, bis diese automatisch abläuft. Topsportler haben oft mehrere zehntausend Übungsstunden investiert, um an die Spitze zu kommen. Aber selbst dann ist immer noch mehr mentaler Einsatz gefordert. Es reicht nicht, besondere Fähigkeiten zu haben, man muss ins Spiel eintauchen und sich fokussieren. Beim Fußball etwa gewinnt man das Spiel nicht bloß dadurch, dass man eine Halbzeitansprache hält und die Taktik wechselt. Was nötig ist, ist das Zusammenwirken von intelligenter und bewusster Planung in der Kabine und mentalem Fokus der Spieler auf ihre automatisierten Fähigkeiten.

Ist Lionel Messi ein Paradebeispiel? Ihm wird nachgesagt intellektuell recht unbedarft zu sein, während sein Gehirn auf dem Platz äußerst schwierige Manöver dirigiert.
David Papineau: Es ist erstaunlich, was Fußballer tun können, ohne zu denken. Und dennoch muss Messi sich auf dem Platz daran erinnern, wann es Zeit ist, in einem Spiel die Brechstange herauszuholen und dass das nicht die 10. Spielminute ist. Einige Trainer glauben übrigens, dass körperlich kleine Spieler einen Vorteil haben, weil der Informationsfluss vom Bein ins Gehirn bei ihnen schneller ist. Und vielleicht haben sie Recht. Im Profisport geht schließlich alles um den Bruchteil einer Sekunde.

 

David Papineau„Profisportler halte ich für mental außergewöhnlich und eigenartig“: David Papineau, Philosoph und Professor für Wissenschaftstheorie in London

 

Was sind die „Yips“, die Sie in Ihren Vorträgen erwähnen?
David Papineau: (lacht) Der Begriff „Yips” kommt von Thomas Armour, einem Golfer aus den 1920ern, der plötzlich nicht mehr putten konnte. Eine Bewegung, die er als Profi eigentlich automatisch beherrscht. Es passiert, wenn man im Spiel zu denken anfängt. Im Tennis etwa, wenn ein Spieler unter dem Stress steht, zu gewinnen. Die Hirnaktivität, die jetzt erforderlich ist, besteht auf keinem Fall darin, darüber nachzudenken, wie man den nächsten Ball schlägt. Das übt man ganz bewusst im Training. Wer im Spiel überlegt, den nächsten Ball hart oder weich zu spielen, wird nicht perfekt schlagen. Es ist wie beim Autofahren: Den Gang zu wechseln besteht zunächst aus vielen bewusst ausgeführten Unterschritten wie die Kupplung drücken und den Schaltknüppel bewegen. Aber sobald man weiß, wie der Gangwechsel funktioniert, verschmelzen die Unterschritte zu einer Einheit. Erst wenn man wieder über die einzelnen Schritte beim Schalten nachdenkt, wird die Fahrt ruckelig.

Inzwischen gibt es medizinische Forschung zu den “Yips”, einer Art neuronaler Bewegungsstörung. Was trägt speziell die Philosophie zum Verständnis dieses Sportlerschicksals bei?
David Papineau: Philosophen untersuchen die Rolle intelligenter Planung für menschliches Handeln. Wie entstehen Absichten? Hierzu wird es erwartbar kaum neurologische Erklärungen geben. Sehen Sie, Menschen sind nicht wie Tiere, die nur im Hier und Jetzt leben. Wir sind nicht nur impulsgetrieben und reagieren auf unsere Umgebung mittels eines Systems aus Glaubensätzen und Bedürfnissen. Eine solche ökonomische Sichtweise ist verfehlt. Derzeit versuchen Philosophen ein zweites System zu etablieren, das die Absichten eines Akteurs berücksichtigt und intelligentes Planen erklärt. Denn Menschen nehmen sich Auszeiten, um Pläne zu machen und verschreiben sich ihnen. Sie vollziehen Handlungen, die für sich genommen sinnlos sind. Um genau solche Fragen geht es im Sport: Wie funktioniert das Zusammenwirken von intelligenter Planung von Absichten und der praktischen Ausführung von Handlungen? Ich wäre sehr überrascht, wenn wir jemals eine rein neurophysiologische Erklärung der „Yibs“ bekämen. Neurowissenschaftler dürften sich auch nicht stark dafür interessieren. Diese Sportler fangen an, über ihre Handlungen nachzudenken, das ist alles, was hier schief geht.

Lassen Sie uns zum Schluss über Manipulation im Sport sprechen. Eine legale Methode ist es, seinem Gegenspieler die Konzentration zu rauben. Jerzy Dudek, der Torhüter des Liverpool FC hat im Elfmeterschießen des Champions League Finales 2005 einen bizarren Tanz auf der Torlinie aufgeführt und damit erfolgreich die Schützen vom AC Mailand aus dem Konzept gebracht. Ist das fair?
David Papineau: (lacht) Diese Dinge sind höchst interessant, aber auch eine Frage der Konvention. Was Dudek gemacht hat wäre im Golf unfassbar. Aber wäre es im Cricket unsportlich? Shane Warne hat einmal Mark Ramprakash erfolgreich abgelenkt indem er ihm erzählt hat, was für ein Spaß es wäre, jetzt dieses und jenes zu tun, anstatt Cricket zu spielen. Ramprakash wird wohl sagen, er hätte seine Taktik gewechselt. Ich behaupte, er hat seine Konzentration verloren. Warne war ziemlich clever, aber nicht unsportlich. Wenn man jemanden so sehr reizt, dass er foult und vom Platz gestellt wird, dann ist das unsportlich und zerstört das Spiel.

Bliebe noch die illegale Methode, das Doping. Sie sind Physikalist, das heißt, sie sind überzeugt, dass es für alles eine hinreichende physikalische Erklärung gibt. Wenn meine Konzentration nur ein bestimmter Zustand meiner Nervenstränge ist, wie desavouiert Doping dann den Erfolg von Sportlern?
David Papineau: Es passiert doch oft genug außerhalb des Sports. Der klassische Fall ist die Aufmerksamkeitsstörung ADS: Ein paar Schülern und Studenten ist es erlaubt, das leistungssteigernde Ritalin in Prüfungen zu nehmen, den meisten anderen nicht. Hier gibt es kein absolutes Richtig oder Falsch. Aber ich würde schon sagen, dass Doping den Sport kaputt macht. Allerdings sind mentale Leistungen kein großes Thema im Sport. Vielleicht könnte die Einnahme von Kokain noch mal eins werden. Beta-Blocker waren lange Zeit erlaubt. Mit ihnen kann der Puls heruntergefahren werden …

… recht praktisch, wenn man live im Fernsehen einen Ball treffen muss…
David Papineau: Exakt. Aber Profisportler halte ich ohnehin für mental außergewöhnlich und eigenartig. Sie dürfen für Stunden an nichts anderes denken, als an das, was sie gerade tun. Viele Menschen würden das langweilig finden. Aber das ist es, was man braucht, um es an die Spitze zu schaffen.

 

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