FRAUENFUSSBALL
Abgemeldet
Um 100.000 Euro zu sparen, hat der Hamburger SV sein Frauenfußball-Bundesligateam aus der Bundesliga zurückgezogen. In ganz Norddeutschland wird über die Folgen und Ursachen gegrübelt. Von Roger Repplinger
Sie hat noch keinen neuen Verein: Friederike Engel (li.) schießt, Lira Bajramaj (1. FFC Frankfurt) kommt zu spät Foto Pixathlon
Man könnte meinen, als sei das Ende der Frauen-Bundesligamannschaft des Hamburger SV ziemlich geräuschlos über die Bühne gegangen. Ist aber nicht so. In den Vereinen der Stadt und in ganz Norddeutschland, in denen Mädchen- und Frauenfußball ernst genommen wird, gibt es Leute, die über Folgen und Ursachen nachdenken.
Ulf Ancker, 48, war in der Saison 2009/10 Co-Trainer der Zweitliga-Mannschaft des HSV, die 2011 Meister wurde und dann aufgelöst wurde. Eine Saison vor der Erstliga-Mannschaft. Ancker trainiert Mädchenteams beim Eimsbütteler Turnverband (ETV). Beim ETV kicken 850 Kinder und Jugendliche, davon 300 Mädchen. Mehr als ein Drittel, das schaffen andere Vereine nicht. „Vor allem in den vergangenen Monaten ist die Zahl der Mädchen, die sich neu anmelden, gestiegen. Der SC Victoria, weiß Ancker, „hat ähnliche Zuwachsraten“. Der ETV arbeitet mit lizensierten Trainern nach einem speziellen Konzept für Mädchen-Fußball. Frank Fechner, der ETV-Vorsitzende, sagt: „Mädchenfußball steht bei uns ganz oben.“ Die Mädchen, die beim ETV Fußball spielen wollen, tun dies nicht, weil es eine Frauen-Bundesligamannschaft in der Stadt gibt, oder sie mal in der Nationalmannschaft spielen wollen. Sondern damit, dass Mädchen Sport treiben wollen und Fußball geil finden. „Dass sich dann in der F-Jugend bei Vicky oder dem ETV anmelden, hat damit was zu tun“, so Ancker, „dass wir es ganz gut machen, und das spricht sich rum“. 60 Mädchen kicken in der E-Jugend des ETV, aus den 60, sagt Fechner, „machen wir 160, hätten wir einen Kunstrasenplatz fürs Training“.
Die erste Frauen-Mannschaft des ETV spielt Bezirksliga, das ist die sechste Liga. Fechner rechnet genau, welche Liga er sich im Frauenbereich leisten kann, und welche nicht: „Bis Verbandsliga ist alles gut, in der Regionalliga muss man weit reisen und wird nicht gefördert, die Zweite Bundesliga ist dann wieder okay“, sagt Fechner.
Die Zuschauerzahlen bei Bundesligaspielen sind nicht gestiegen, es gibt kein Interesse von Sponsoren am Profifußball der Frauen, der ja Semi-Profifußball ist. Diese kurzfristigen Effekte sind nach der Frauen-WM ausgeblieben. Wer damit gerechnet hat, verkennt den prinzipiellen Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball. „Von unseren Mädchen wurde nicht über das, was da beim HSV in Sachen Frauenfußball passiert ist, diskutiert, die diskutieren über Westermann und Aogo“, sagt Ancker. Die Mädchen gehen auch nicht zu den Heimspielen der HSV-Frauen, sondern zu den HSV Männer und zum FC St. Pauli.
Ancker sagt, „dass der DFB bis zur WM den Frauen-Fußball gepusht hat. Er wurde künstlich oben gehalten, das ist jetzt vorbei, nun bricht so manches zusammen“. Etwa beim HSV. Es gibt ein paar Ausnahmen: Turbine Potsdam mit einer Vielzahl an mittleren und kleinen Sponsoren, der 1.FFC Frankfurt, der die Commerzbank hat, der VfL Wolfsburg, beim dem VW nicht auf den Euro guckt. „Der Rest der Ersten Liga hängt durch“, sagt Ancker. Auch bei den Zweitligisten Holstein Kiel und FFC Oldesloe ist die Situation nicht einfach. Ancker sieht das Problem beim DFB und seinen Landesverbänden: „Da wird nur Eliteförderung betrieben, der Hamburger Fußballverband setzt das um. An der Basis kommt nichts an.“ Im Grunde werden die mehr oder weniger erfolgreichen Modelle des Männerfußballs auf die Frauen übertragen, „dabei ist doch offensichtlich“, sagt Ancker, „dass dies zwei völlig unterschiedliche Dinge sind“. Es fehlen Trainer für den Mädchenfußball, es fehlen Sportplätze, „die Basisarbeit“, sagt Ancker, „ist kaputt“.
Zu den Lehrgängen des Hamburger Fußball-Verband (HFV) und zum Stützpunkttraining schicken die Vereine ihre talentierten Spielerinnen nur ungern, weil die dort von den Spähern des HSV angesprochen werden. Dass der HSV die erste Frauenmannschaft wegen eines Fehlbetrags von 100.000 Euro aus der Bundesliga abgemeldet hat, kritisieren Fechner und Ancker nicht. „Das hätte der ETV auch so gemacht“, sagt Fechner.
Heinrich Färber, 54, Trainer und Obmann für Mädchen und Frauenfußball beim Walddörfer SV, sieht das anders. Beim WSV spielen 200 Frauen und Mädchen Fußball, das erste Frauenteam spielt Bezirksliga. Auch der WSV hat die „höchsten Zuwachszahlen in der F-Jugend“. Die Frage, so Färber, „ist doch, ob ein großer Sportverein in einzelnen Amateur- oder in semiprofessionellen Bereichen einen Gewinn erwirtschaften muss“. Dies, so Färber, „erschließt sich mir nicht“. Eine A- oder B-Jugend, so Färber, mache auch Verlust.
Er ist der Meinung, ein Verein wie der HSV dürfe aus „ideellen Gründen und aus Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit, eine Frauen-Bundesligamannschaft nicht wegen 100.000 Euro einstellen“. Er hatte das Gefühl, der HSV betrachte die Frauen „als Klotz am Bein“.
Er kritisiert auch, dass der HSV, den Empfehlungen des Verbands folgend, seine Mädchenteams im Nachwuchs aus den Mädchenligen abgemeldet hat und gegen Jungen-Mannschaften spielen ließ. „Zugegeben“, sagt Färber, „die haben in ihren Ligen mal 7:0 gewonnen, sie abzumelden ist allerdings keine Lösung?“ Nun haben die Mädchen des HSV nur noch im Pokal gegen Mädchen gespielt und „knapp gewonnen“. Spielerisch, so Färber, „hat die das nicht weiter gebracht“. Die Mädchen spielen „nun robuster, körperbetonter, aber nicht besser“.
Der Auswahltrainer, so Färber, fordere leistungsstarke Mädchen auf, Mädchenteams zu verlassen, und in Jungen-Mannschaften mitzuspielen. „Das kann man mal im Notfall machen“, findet Färber, „aber das gibt's in keiner anderen Sportart als Regel“. Eine fatale Trennung: leistungsorientierte Mädchen bei den Jungs, der Rest macht Breitensport. Da werde aus der Tatsache, dass Nationalspielerinnen in ihrer Jugend in Jungenteams gekickt haben, „ein falscher Schluss gezogen“. Denn, so Färber, Jungen- und Mädchenfußball sind „zwei verschiedene Sportarten“.
Statt dessen wäre es besser, die Konzentration guter Nachwuchsspielerinnen beim HSV, die zur Überlegenheit der Raute im Nachwuchsbereich geführt habe, aufzubrechen. Er verweist auf die Situation in Skandinavien, wo es eine größere Dichte leistungsstarker Ligen mit leistungsstarken Teams gibt, obwohl die Fahrten viel weiter sind. „In Hamburg hätten wir viel bessere Voraussetzungen als die Skandinavier“, so Färber. In Skandinavien sind über ein Drittel der Elf- bis 19-jährigen Fußballer Mädchen. Dieses Verhältnis erreichen wir in Deutschland nicht. In Skandinavien ist das anders. Färber fährt mit seinen Teams regelmäßig zum Gothia Cup nach Göteborg (Schweden), dem größten Nachwuchs-Fußballturnier der Welt, „bei dem man etwas spürt von einer Kultur des Mädchenfußballs, die bei uns fehlt. In Skandinavien und den USA ist der Frauenfußball so anerkannt wie der der Männer, eben weil er nicht ständig am Männerfußball gemessen wird“, sagt Färber.
Was den Rückzug des HSV aus der Frauen-Bundesliga anbelangt, hätte er sich eine klarere Stellungnahme des Verbands gewünscht. Auch Hannelore Ratzeburg, 61, Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball beim Deutschen Fußball-Bund, seit 1974 Vorsitzende des Ausschusses Frauen- und Mädchen-Fußball beim HFV, „hätte noch deutlicher werden können“. Der HSV hatte bislang, was den Leistungsfußball bei Mädchen und Frauen in Hamburg anbelangt, ein Monopol. Das hat, so Färber, „der Entwicklung nicht gut getan“.
Janina Haye gegen Lira Bajramaj: Bislang hat die Ex-HSV-Spielerin noch keinen neuen Klub Foto Pixathlon
Das Frauenfußballteam des Hamburger SV: Was Spielerinnen und Trainer jetzt machen
Bagehorn, Marie-Louise, geboren am 07. Juli 1991 in Dresden, Mittelfeld, 22 Bundesligaspiele für den HSV, jetzt BV Cloppenburg (Zweite Liga)
Brenner, Kristina, 20. Juli 1990, Frankfurt, Sturm, 10 Spiele, bislang kein neuer Verein
Brüggemann, Nina, 11. Februar 1993, Pinneberg, Mittelfeld, 37 Spiele, Arizona State Sun Devils
Engel, Friederike, 12. August 1987, Hamburg, Abwehr, 78 Spiele, bislang kein neuer Verein
Ewers, Marisa, 24. Februar 1989, Hamburg, Mittelfeld, 26 Spiele, Bayer 04 Leverkusen (Erste Liga)
Freese, Heike, 23. November 1986, Thuine, Abwehr, 77 Spiele, SV Meppen (Zweite Liga)
Haye, Janina, 10. August 1986, Wedel, Abwehr, 177 Spiele, bislang kein neuer Verein
Kameraj, Aferdita, 5. Juni 1984, Deçan, Mittelfeld, 84 Spiele, BV Cloppenburg (Zweite Liga)
Nöhr, Louisa, 10. Januar 1994, Büdelsdorf, Sturm, vier Spiele, Holstein Kiel (Zweite Liga)
Petermann, Lena, 05. Februar 1994, Cuxhaven, Sturm, 31 Spiele, bislang kein neuer Verein
Saländer, Silva Lone, 19. Juli 1983, Hamburg, Mittelfeld, 189 Spiele, Ende der Karriere
Schippmann, Saskia, 07. Juni 1993, Elmshorn, Torwart, zwei Spiele, FC Elmshorn (Bezirksliga)
Schoknecht, Christine, 29. Oktober 1984, Berlin, Mittelfeld, 28 Spiele, SV Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein-Liga)
Simon, Carolin, 24. November 1992, Kassel, Abwehr, 48 Spiele, VfL Wolfsburg (Erste Liga)
Timmermann, Maike, 24. März 1989, Husum, Sturm, 19 Spiele, SV Werder Bremen (Zweite Liga)
Weech, Bianca, 21. November 1984, Henstedt-Ulzburg, Tor, 164 Spiele, SV Henstedt-Ulzburg (Schleswig-Holstein Liga)
Wich, Jessica, 14. Juli 1990, Kronach, Sturm, 21 Spiele, 1. FFC Frankfurt (Erste Liga)
Yaren, Aylin, 30. August 1989, Berlin, Mittelfeld, zehn Spiele, SC 07 Bad Neuenahr (Erste Liga)
Feifel, Achim, 03. August 1964, Schwäbisch Gmünd, seit 2005 Trainer der Frauenmannschaft des Hamburger SV, Vertrag läuft noch ein Jahr
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