PORTRÄT

Tief an der Oberfläche
Er spielt im Tor der Tottenham Hotspurs und ist Kapitän der französischen Nationalelf: Hugo Lloris verbirgt hinter der glatten Oberfläche für die Medien eine starke und einnehmende Persönlichkeit. Von Rico Rizzitelli, Paris.

 

Hugo LlorisAugen, die funkeln: Hugo Lloris im Tor der Équipe Tricolore, deren Kapitän er ist. Foto Pixathlon

 

 

Das Aufnahmegerät stoppt, Hugo Lloris steht auf, schüttelt sich und lächelt. Die Bestrafung ist beendet, da wird er beinahe gesprächig, seine Stimme klingt eine Oktave höher, er hastet zum Fototermin. Wird munter. Während der 50 Minuten zuvor hat der Kapitän der französischen Èquipe Tricolore eine Litaniei in Diplomatie heruntergebetet. „Ich stehe nicht unter Kontrolle. Ich habe keine Angst Dummheiten zu sagen oder zu begehen, sonst wäre ich nicht Torwart. Ich bin reserviert, das entspricht meiner Persönlichkeit, das ist alles. Ich gebe, was nötig ist.“ Viel? „Nein! Das Nötige. Bei persönlichen Fragen möchte ich meine Familie schützen. Beim Fußball meine Mitspieler. Das müssen Sie nicht unbedingt wissen.“

Der Torwart von Tottenham hat es früh verinnerlicht: Man wäscht seine schmutzige Wäsche lieber innerhalb der Familie. Sein Schicksal war ihm nicht vorherbestimmt. Als Sohn einer Rechtsanwältin für internationales Handelsrecht und eines Bankers hat Hugo eine Erziehung genossen, die es ermöglicht, offen für alle Möglichkeiten, die sich bieten, zu sein. „Sie haben mir Grundlagen mitgegeben, die die Zeit überdauern und die man immer noch weitergeben kann: den Respekt, den Geschmack an der Arbeit, die Neugier auf andere“, gibt er widerwillig zu. Seit er sechs ist, weiß Hugo das. Er meldet sich bei seinem ersten Klub, Cedac de Cimiez, in Südfrankreich an und möchte schon ins Tor, „zunächst aus Spaß, zu spielen, dabei zu sein, sich selber zu übertreffen, zu gewinnen, Verantwortung zu übernehmen“. Ein Plan, von dem er nicht abweicht. Er erzwingt es nicht, Profi zu werden oder Kapitän der Bleus, lässt alles auf sich zukommen und arbeitet unermüdlich, von seinem Talent überzeugt. Ohne sich aufzuspielen. Sein einziges unantastbares Prinzip: Er hat lieber mit anderen gemeinsam Unrecht, anstatt alleine im Recht zu sein. Im südafrikanischen Knysna ahnt er vor der Befragung durch ihren damaligen Nationaltrainer Raymond Domenech, dass sich die französischen Spieler „wie die Arschlöcher verhalten werden“, wie es Domenech kürzlich in seinem Buch „Tout seul“ (Ganz allein) schrieb. Aber Hugo Lloris schweigt. Solidarisch, ohne sich hereinlegen zu lassen.

Neulich in Clairefontaine, im Mediengewitter vor einem Länderspiel, wartet Hugo Lloris ruhig auf sein Interview auf einem Sessel in einer ruhigen Ecke des Aufenthaltsraums im Schloss der Équipe Tricolore. Groß (1,86 Meter), dürr, Oberlippenflaum von einer Woche, jungenhaftes Gesicht, verkörpert er eine Mischung aus aus dem Komiker Pierre Palmade und dem jungen Gary Cooper. Er trägt die ordnungsgemäße Uniform der Nationalelf, ein dunkelblaues Oberteil, Ton in Ton mit Türkis, geschmacklich ... fragwürdig. Einige seiner Kumpels bei der WM 2010, Jérémy Toulalan und Yoann Gourcuff, tauchen seit damals ständig auf der Liste der Nichtnominierten auf, während er unantastbar erscheint. „Man hat den Eindruck, dass sein Bekanntheitsgrad und seine Karriere seine Persönlichkeit nicht beeinträchtigt haben. Ich sehe ihn von Zeit zu Zeit in Nizza. Er hat immer noch die alten Kumpels und es ist, als ob er erst gestern weggegangen wäre“, sagt Cédric Kanté, sein ehemaliger Mitspieler in Nizza zwischen 2006 und 2008.

Seitdem er die Cote d’Azur vor fünf Jahren zunächst Richtung Lyon anschließend im vergangenen Sommer nach London verlassen hat, kehrt er stets zurück, wenn er zwei, drei Tage frei hat. Um seine Freunde zu treffen, die er seit der Schulzeit kennt, „in die ich volles Vertrauen habe und die mir erlauben, mich nicht vom wirklichen Leben abzukoppeln, um mir meiner Privilegien bewusst zu werden“ und mit denen er sich gelegentlich auch betrinkt („das kommt vor, man sieht sich nicht jeden Tag“). Um seine Familie zu besuchen, sein Bruder, der ihm nacheifert (in der Schule wie im Fußballverein) aber nicht seine im April 2008 verstorbene Mutter. „Ich habe diese Prüfung durch den Fußball überwunden, habe diesen Moment mit meinen Mitspielern bei OGC Nizza geteilt. Ich habe es nicht verlangt, aber alle im Klub haben etwas für mich und meine Familie getan. Ich habe drei Tage nach ihrem Tod wieder gespielt und die Zuschauer im Stade du Ray haben ihr mit einer Schweigeminute gedacht. Eine starke Sache für etwas, das so schwer zu akzeptieren ist. Danach muss man den Kopf heben, seine Familie schützen und nach vorne schauen“, sagt er.

Es gefällt ihm, sentimentale Erinnerungen an die Hollywood-Filme zu bewahren, die ihn sein Großvater als Kind entdecken ließ („Errol Flynn, James Stewart, Cary Grant“),bei Büchern („Sachen, die mit der Realität zu tun haben, zuletzt Marc Lévy“) oder Musik (50 Cent, Akon, House) bleibt deutlich weniger hängen. „Ich lenke mich ab und wende mich anderen Dingen zu. Wie dem echten Leben oder dem nächsten Spiel.“ Dieser Hang das jüngst Vergangene schnell weg zu zappen, egal was es sei, ist charakteristisch für die besten Torhüter des Planeten. Das und ein bisschen Verrücktheit gehören zu dieser Position. „Von Beginn an war er ein Draufgänger. Er spielte mit Risiko, räumte bei Duellen in der Luft auf. Er hat sofort das Vertrauen der älteren Mitspieler gewonnen“, erinnert sich Cédric Kanté.

Hinter seiner freundlichen und rationalen Oberfläche steckt ein übermenschlicher Wille, eine chronische Unempfindlichkeit gegen jede Art von Druck mit der Sicherheit im Unterbewusstsein, sich mit Arbeit und seinem Talent aus der Affäre ziehen zu können. „Ich erinnere mich an ihn unmittelbar vor dem Ligapokalfinale gegen Nantes 2006, in das er uns geführt hat, obwohl er anfangs nur Ersatztorwart in seinem ersten Profijahr war. Er hatte Augen, die funkeln, er war hyperkonzentriert, voller Schwung, bereit los zu gehen“, erinnert sich sein damaliger Mitspieler Jacques Abardonado. Seit Lloris Vater ist hat sich die Art und Weise, wie er gegnerische Angreifer unsanft behandelt, zwar nicht verändert. Aber „das hat meine Sichtweise auf das Leben und die Dinge verändert, das ist schon viel.“ Nach der Geburt von Anna-Rose (zweieinhalb Jahre) hat er Marine, seine Freundin, die er schon seit dem Gymnasium kennt, geheiratet und  möchte nicht mehr einen „Lebensrhythmus eines Jugendlichen behalten“.

Seit Sommer 2012 lebt der Kapitän der Franzosen in London, wo er in seiner Freizeit Bekanntschaft mit der kosmopolitischen Gastronomie der britischen Hauptstadt. Wie gewöhnlich hat er seine Aufgabe diskret gemeistert. Anfangs nur Ersatz, hielt er den Mund und hütet nun das Tor einer der besten englischen Mannschaften. Als wäre es nichts.  
Er scheint mehr damit beschäftigt bei seinen jeweiligen Vereinen menschliche Spuren zu hinterlassen als der Nachwelt als Fußballer in Erinnerung zu bleiben. „Als Hugo gegangen ist waren alle im Verein traurig. Alle Ausbilder und Angestellten liebten ihn als Spieler bewunderten den Menschen aber noch mehr. Er hat sich immer gleich verhalten, egal welchen Rang sein Gegenüber hatte. Er war der Gleiche bei einem Empfang im Rathaus oder bei einem Barbecue am Samstagnachmittag“, sagt Robert Duverne, Ausbilder bei Olympique Lyon.

Als Mitbürger und Sprecher der Nationalmannschaft hält sich Hugo Lloris in sicherem Abstand zu den heiß diskutierten Themen (Embryonale Stammzellendiagnostik, Ehe für alle, Präsidentschaftswahlen). „Ich habe dazu eine Meinung, habe aber keine Lust, sie auszubreiten.“ Beim Thema Steuern hält er sich nicht an diesen Diskurs. „Das ist etwas anderes. Egal welche Regierung wir haben, bleibt man Franzose und hat Verpflichtungen, an die man sich hält.“ Selbst bei 75 Prozent Einkommenssteuer ab einer Million, die er in Lyon bezahlen müsste? Er zögert: „... Ja, aber glauben Sie nicht, dass ich deshalb nach England gegangen bin“, sagt er und lacht dabei.

 

Hugo LlorisZurück nach Nizza, um die alten Kumpels zu treffen: Hugo Lloris ist ungewöhnlich beliebt bei seinen ehemaligen Vereinen. Foto Pixathlon

 

Hugo Lloris wurde am 26. Dezember 1986 in Nizza geboren.
26. Oktober 2005: Erstes Ligaspiel (Nizza gegen Châteauroux im Ligapokal)
19. November 2008. Erstes Länderspiel (Frankreich – Uruguay)
23. September 2010 : Geburt seiner Tochter Anna-Rose
31. August 2012 : Hugo lloris verlässt Olympique Lyon und unterschreibt bei den Tottenham Hotspurs

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