Thomas Hitzlsperger

Doku über homosexuelle Fussballer

 „Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken“

Manfred Oldenburg ist Regisseur der sehenswerten Doku „Das letzte Tabu“. Er lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen Profifußballer ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die sich als homosexuell geoutet haben. Interview Matthias Greulich

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EM-SPIELE
Badelatschen, Gazza und ein Golden Goal
RUND hat 15 legendäre EM-Spiele ausgewählt, Teil 2: 1992 bis 2021. Von Broder-Jürgen Trede.

 

Jürgen Klinsmann mit dem EM-Pokal 1996The Queen was amused: Jürgen Klinsmann mit dem EM-Pokal 1996. Foto: Imago 

 

22. Juni 1992, Halbfinale: Dänemark – Niederlande 2:2 n.V. (1:2, 2:2, 2:2), 5:4 i.E.
Göteborg, Nya Ullevi, 37.450 Zuschauer
„Big-Mac-Truppe“, „Strandkorb-Helden“, „Europameister in Badelatschen“ - Dieses Märchen hätte sich auch der dänische Meistererzähler Hans Christian Andersen nicht besser ausdenken können: Seine Landsleute werden als Nachrücker für das vom Turnier ausgeschlossene Jugoslawien, in dem der Bürgerkrieg tobt, quasi aus Sommerurlaub zurückbeordert zur EM berufen und marschieren dann mit der Lässigkeit eines Underdogs, der mal so gar nichts zu verlieren hat, bis zum Titel. Legendärer Höhepunkt des einmaligen Erfolgswegs: Nach dem Abschlusstraining für Halbfinale überrascht Trainer Richard Møller Nielsen sein Team mit einem McDonald’s-Besuch. Klops- und fritten-gestählt liefern die Dänen danach Titelverteidiger Niederlande einen spektakulären Schlagabtausch. Henrik Larsen erzielt zweimal die Führung (5., 33.), Dennis Bergkamp (23.) und Frank Rijkaard 886.) gleichen jeweils aus. Im Elferschießen treffen alle – bis auf den vier Jahre zuvor noch umjubelten Torschützenkönig van Basten. Im Ohr und Gedächtnis bleiben von diesem Spiel für immer auch die Schmerzensschreie des verletzten Kölners Henrik Andersen. ZDF-TV-Doktor Dieter Kürten diagnostiziert aus der Ferne: „Ich glaube, die Schwellung geht schon zurück.“ Tut sie nicht, denn Andersens Kniescheibe ist gebrochen. Stolz geschwellt bleibt die dänische Brust, erst recht vier Tage darauf nach einem verdienten 2:0-Finaltriumph über Weltmeister Deutschland.


26. Juni 1996, Halbfinale: England – Deutschland 1:1 n.V. (1:1, 1:1, 1:1), 5:6 i.E.
London, Wembley, 75.862 Zuschauer
„Achtung! Surrender! For you Fritz ze Euro 96 iz over." – gewohnt subtil heizt die englische Boulevardpresse den Klassiker an. Und wirklich: Die Partie braucht keinerlei Aufwärmphase, und die Messe in dem von Pelé einst als „Kathedrale des Fußballs“ bezeichneten Stadion ist erst ganz spät gelesen. Paul Ince eröffnet mit einem tollen Volleyschuss ein Festival der Spielfreude, die anschließende Ecke köpft Alan Shearer in die Maschen (3.). Deutschland ist kurz unsortiert, berappelt sich aber schnell und gleicht durch Stefan Kuntz (16.) aus. Ausgerechnet Kuntz, dieser Deutsche mit dem übersetzt komisch-zotigen Nachnamen, später Protagonist im sehenswerten Video zur inoffiziellen Turnier-Hymne „Football’s coming home“ des Comedy-Duos „Baddiel and Skinner“. Das Tempo bleibt weiter extrem hoch, ein Schlagabtausch mit Strafraumszenen im Minutentakt, der Akteuren wie Beobachtern alles abverlangt. Tore fallen aber keine mehr, auch in der Verlängerung, in der wegen der „Golden-Goal-Regel“ nach dem nächsten Treffer tatsächlich alles „over“ wäre, nicht. Gelegenheiten und Herzstillstandsmomente gibt es dafür zuhauf, Glück und Pech wechseln die Seiten: Anderton an den Pfosten (93.), Kuntz per Kopf in den Winkel – aber abseits (97.), Gascoigne mit minimal falschen Zwischenschritt im Rutschen am Ball und verwaisten Tor vorbei (99.). Sp müssen wieder die Elfmeter entscheiden: Bis zum 5:5 treffen alle, dann versiebt Southgate gegen Köpke, und Andy Möller schießt den Ball gegen David Seaman in den rechten Winkel und damit Deutschland ins Finale. For Fritz and also for Kuntz it‘s not over yet.

30. Juni 1996, Finale: Deutschland – Tschechien 2:1 n.G.G. (0:0, 1:1)
London, Wembley, 73.611 Zuschauer
Mit freundlicher Empfehlung von Monika Vogts. Die soll, so geht die Sage, ihrem Ehemann und Bundestrainer Hans-Hubert vor der EM geraten haben: „Nimm den Olli mit​, und er wird es dir danken!“ Gesagt, getan, denn im Finale von Wembley macht der Stürmer als Joker das Spiel seines Lebens: In der 69. eingewechselt für Mehmet Scholl, markiert Bierhoff in der 74. mit dem Kopf den 1:1-Ausgleich und der in der 95. per Drehschuss von der Strafraumgrenze und unter freundlicher Mithilfe von Torwart Petr Kouba das berühmteste in der glücklicherweise nur kurzen Geschichte der „Golden Goals“. Vogts bedankte sich artig. Gedanklich bei seiner Gattin, in Wembley per „Ein-Mann-La-Ola“ bei den Mitgereisten Fans – zweifellos das Bild dieses Finales.

19. Juni 2004, Vorrunde: Tschechien – Niederlande 3:2 (1:2)
Aveiro, Estádio Municipal, 29.935 Zuschauer
Rasanter Angriffsfußball zweier Spitzenteams, garniert mit fünf herrlichen Treffern – vielleicht das beste aller EM-Spiele überhaupt. Schon früh führt die Niederlande durch Bouma (4.) und van Nistelrooy (19.) mit 2:0. Tschechiens Trainer Karel Brückner ordnet daraufhin bedingungslose Offensive an. Startschuss für eine mitreißende Fußball-Gala. „Voetbal totaal“ zelebriert dabei vor allem Tschechien, das – früh belohnt durch Kollers Anschlusstreffer (23.) und angeführt vom sensationell aufspielenden Pavel Nedved – mit zeitweise sieben, acht Akteuren angreift. Als Bondscoach Dick Advocaat nach einer knappen Stunde aus unerfindlichen Gründen mit Flügelstürmer Arjen Robben seinen besten Mann auswechselt, ändert sich die Statik des Spiels vollends. Tschechien prescht weiter mit atemberaubendem Tempo vor und dreht durch Baros (71.) und – nun vollends berauscht – durch Smicer (88.) das Spiel. Die Glücklichen Live-Zeugen in Aveiro und an den TV-Geräten trauen sich kaum, ihren Platz zu verlassen, aus Angst die nächste spektakuläre Szene zu verpassen.Das spanische Fachblatt „Marca“ verneigt sich mit der Schlagzeile: „Ein Denkmal für den Fußball“.

 

24. Juni 2004, Viertelfinale: Portugal - England 2:2 n.V. (0:1, 1:1, 2:2), 6:5 i.E.
Lissabon, Estádio da Luz, 62.564 Zuschauer
Schon in der Vorrunde des 2000er-Turniers liefern sich beide Teams in Eindhoven einen packenden Fight mit hochattraktivem Offensivfußball, der einer Aufnahme in unsere Hitliste der besten und schönsten EM-Endrunden-Spiele absolut würdig wäre. Wir endscheiden uns aber für das Viertelfinale vier Jahre später in Lissabon, dass noch ein wenig heftiger hin und her wogt. England führt früh durch Owen (3.) und wird spät durch Helder Postiga abgefangen (83.). Dann lässt Rui Costas Portugal wie den Sieger aussehen (110.), doch Lampard egalisiert noch (115.). Das Elferschießen ist dann mal wieder nicht die Sache der „Three Lions“. 14 Schützen treten an. Nr. 1 und Nr. 6, Beckham und Rui Costa schießen drüber, Nr. 13, Vassell scheitert an Ricardo, der schließlich als Nr. 14 selbst vollstreckt.


27. Juni 2021, Achtelfinale: Schweiz – Frankreich 3:3 n.V. (1:0, 3:3, 3:3), 5:4 i.E.
Bukarest, Arena Nationala, 22.642 Zuschauer
Solche Wechselbäder gibt es normalerweise nur bei Kneipp und auf Rezept. In Bukarest spielt das berühmte „Momentum“ an diesem Abend Pingpong und liefert dabei ganz großes Fußball-Entertainment. Außenseiter Schweiz geht überraschend durch Seferovics präzisen Kopfball in Führung (15.) und kann nach 55. Minuten per Foulelfmeter auf 2:0 erhöhen. Eine Riesen-Sensation liegt in der Luft. Doch Rodriguez scheitert an Keeper Hugo Lloris, der mit seiner Parade einen unmittelbar folgenden und beispiellosen französischen und wahrlich weltmeisterlichen Offensiv-Orkan entfacht. Erst Mbappé um Zentimeter am Ziel vorbei (56.). Dann Direktspiel des Trios Griezman-Mbappé-Benzema, dessen brillanter Abschluss, bestehend aus Ball-An- und -Mitnahme per Hacke und feinem Lupfer als „Benzema“ in die „Bewegungsschatzkiste“ des Fußballs eingehen muss (57.). Schließlich noch einmal die gleiche Kombi, bei der diesmal zwar Torwart Yann Sommer noch kurz die Finger dazwischenbekommt, aber trotzdem wieder alles viel zu schnell für die Schweiz geht. Benzema vollstreckt erneut, jetzt per Kopf aus 20 Zentimetern (59.). Als Pogba in den Winkel schlenzt und danach lässig tanzt (75.), scheint die Nummer durch. Denkste! Denn die Eidgenossen fighten zurück: Erst trifft Severovic erneut per Kopf (81.), dann Gavranovic zweimal mit dem Fuß. Bei ersten Mal steht er dabei hauchzart im Abseits (85.), beim zweiten Mal zählts (90.). Verlängerung. Oder? Auf der Gegenseite nochmal Coman – fulminant an die Latte (90.+4). Sechs herrliche Tore, dazu noch neun weitere im Elfmeterschießen. Erst der zehnte Schütze, Kylian Mbappé, scheiert. Und ohne dass man sich dagegen wehren könnte, ertönt irgendwo im Hintergrund und immer lauter werdend Peter Maffay: „Und es war Sommer …“   

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