Biographie

Willi Lemke: Ein Leben für Werder und die Politik 

Senator, SPD-Politiker und 20 Jahre Manager des SV Werder Bremen: Über den am 12. August 2024 verstorbenen Willi Lemke ist eine lesenswerte Biographie erschienen. Von Jörg Marwedel

 

Willi Lemke
Willi Lemke (1946 bis 2024) war unter anderem Aufsichtsratsvorsitzender von Werder Bremen und Sonderberater der UN
Foto Pixathlon

 

Auch seine eigene Biografie hat Willi Lemke noch selbst auf den Weg gebracht und bis zuletzt begleitet. Der langjährige Redenschreiber im Bremer Rathaus Helmut Hafner, ein SPD-Mitglied wie er selbst, und der freie Journalist Ralf Lorenzen haben sich der Aufgabe angenommen. Sie beschreiben ein Leben zwischen Sport und Politik, das am 12. August 2024 kurz vor seinem 78. Geburtstag unvermittelt zu Ende ging – mit einer Hirnblutung. Ein außergewöhnliches Leben.
 
„Ich war Netzwerker, bevor dieses Wort überhaupt bekannt war“, sagte Lemke einmal. Mit dieser Eigenschaft machte er eine spannende Karriere – die vom Landesgeschäftsführer der SPD in Bremen über 20 Jahre als Manager von Werder Bremen bis in den Bremer Senat (Bildungssenator, Innensenator) führte. Zudem war er bis 2016 Aufsichtsratschef seines Lieblingsvereins sowie von 2008 bis 2016 Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden.
 
Dass er in Hamburg aufgewachsen war und dort Sport und Erziehungswissenschaften studierte, sein Idol neben Albert Schweitzer Uwe Seeler war und er als Leichtathlet sogar die HSV-Raute trug – das war der erste Teil seines Lebens. Aber als „Werder-Willi“ wurde er so berühmt, dass er auch nach seiner Rückkehr in die Politik 1999 so genannt wurde. Seine Erfolge als Werder-Manager veranlassten den damaligen SPD-Vorsitzende Willy Brandt, den Lemke sehr verehrte, zu diesem Lob: Lemke sei der „lebende Beweis dafür, dass Sozialdemokraten mit Geld umgehen können“.
 
1994 wurde er vom Wirtschaftsmagazin „Impulse“ als bester Bundesligamanager geehrt – er setzte sich gegen Uli Hoeneß (FC Bayern), Reiner Calmund (Bayer Leverkusen), Dieter Hoeneß (Stuttgart) und Michael Meier (Dortmund) durch. Da hatte er längst aus der „Grauen Maus“ Werder Bremen einen internationalen Spitzenklub gemacht. Das war auch der Titel seines Vortrages, der den Werder-Vorstand damals von ihm überzeugte. Er wurde er zum Prototyp des fortschrittlichen Managers der achtziger und neunziger Jahre.
 
Wodurch Werder nicht nur zum größten Konkurrenten des FC Bayern aufstieg, sondern er mit seiner offensiven Art auch der Lieblingsfeind von Uli Hoeneß wurde. Weil Hoeneß der Meinung war, die anderen Vereine müssten dem FC Bayern noch Geld bezahlen, weil der ihnen die Stadien vollmachte und den anderen Klubs die besten Spieler wegkaufte, nannte ihn Lemke einmal den „Totengräber des deutschen Fußballs. Der wiederum sah in dem Werder-Manager einen „Volksverhetzer“, der die Fußball-Gemeinde mit klassenkämpferischen Sprüchen aufwiegelte.
 
Dabei galt er als Nachfolger von Rudi Assauer 1979 zunächst als Notlösung – vor allem, weil er kein Fußballfachmann war. Doch der Marathonläufer, der schon als Student sein Organisationstalent unter Beweis gestellt hatte (er veranstaltete 1968 eine „Notstandsolympiade“ gegen die unhaltbaren Zustände am Institut für Leibesübungen in Hamburg) und später in Bremen in jedem SPD-Ortsverein zuhause war, hatte jede Menge Ideen, um den mit 2,5 Millionen D-Mark und um die Lizenz bangenden SV Werder wieder flüssig zu machen.
 
Er sorgte mit seinen guten Kontakten zu Wirtschaft und Politik dafür, dass das veraltete Weserstadion renoviert wurde und die Ostkurve, dort wo die Hardcore-Fans stehen und standen, ein Dach bekam. Dadurch klangen die Anfeuerungen viel lauter. Er ließ die Mannschaft die Hymne „Wir stehn für Werder ein“ im Studio aufnehmen – gelungenes Marketing. Er richtete VIP-Logen für die Sponsoren ein, ließ Frauentoiletten bauen, damit der Anteil weiblicher Fans im Stadion steigen sollte – ebenfalls erfolgreich. Und ersetzte den langgedienten Stadionsprecher Karl-Heinz „Spezi“ Meyer, einen Altstadt-Discjockey, durch Christian Günther, einen Moderator von Radio Bremen. Weil Meyer, so Lemkes Urteil, mehr das „Schickimicki-Publikum ansprach. So aber wollte er Werder nicht sehen.
 
So wie Lemke manchen guten Deal für den Verein herausschlug, nahm sein Weg mit den neuen Fernsehverträgen in den 1990er-Jahren so richtig Fahrt auf. Rudi Völler, der einst fünf Jahre für Werder spielte, sagte: „Die großen Pfeiler“ habe Lemke erst durch die Fernsehverträge und die weitere Modernisierung des Weserstadions gesetzt. Da hat er auch die Einlaufkinder an der Hand der Profis eingeführt, eine Idee, die er bei einer Reise nach Brasilien gesehen hatte, und der die Kinder noch mehr an den Verein band.
 
Willi Lemke war so schlau, dass er nur für das Wirtschaftliche zuständig war, während Trainer Otto Rehhagel alles im Sport bestimmte. „Er hätte sich nie getraut, den leistesten Vorschlag zur Mannschaftsaufstellung zu machen. B-Schein hin oder her – es war ausgemachte Sache für Rehhagel, dass der Manager vom Fußball keine Ahnung hatte.“ So steht es in dem Buch. 14 Jahre waren die beiden ein Duo, das sich mehr respektierte als mochte. Heraus kamen in dieser Zeit neben vier zweiten Plätzen zwei Meisterschaften, zwei DFB-Pokalsiege und der Europacupsieg der Pokalsieger 1992.
 
Als Rehhagel Werder 1995 verließ, ging es zunächst auch mit Werder bergab. Einen letzten Titel vor seiner Rückkehr in die Politik gewann Lemke aber noch: Als 1999 der ursprünglich als Interimstrainer im Abstiegskampf eingesetzte ehemalige Werder-Profi Thomas Schaaf erst den Klassenerhalt schaffte und dann noch mit einem 6:5 im Elfmeterschießen gegen den FC Bayern München den DFB-Pokal holte. Dann begann mit Lemkes Nachfolger Klaus Allofs und Schaaf eine fast genau solange erfolgreiche Zeit. Wobei sich Lemke, der 2005 als Nachfolger von Franz Böhmert den Aufsichtsratvorsitz übernahm, häufig als Sparkommissar gerierte. Das kam vor allem bei den Fans nicht so gut an, bewahrte Werder aber vor neuerlichen Lizenproblemen.
 
Lemke musste auch heikle Situationen als Manager überleben. Da war seine Tätigkeit für den russischen KGB zwischen 1970 und 1974, die 1994 aufflog und ihm die „Bild“-Schlagzeile einbrachte: „Willi Lemke: Ich war ein KGB-Spion“. Tatsächlich hatte er das Anwerben der russischen Seite dem deutschen Verfassungsschutz gemeldet und war auf dessen Wunsch ein Doppelagent. Werder-Präsident Franz Böhmert sagte hinterher: „Willi Lemke hatte bei mir bisher drei Sterne, jetzt hat er einen vierten Stern dazubekommen. Er hat seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt.“
 
Auch eine Schwarze Kasse gab es in Lemkes Werder-Zeit, da wurde von vermögenden Freunden des Vereins bei bestimmten Anlässen – zum Beispiel ein Sieg über den FC Bayern – etwas gespendet. Insgesamt 600 000 Mark wurden auf einem Konto der BfG Bank Luxembourg entdeckt. Der Vorstand zeigte sich 2001 selbst an und beglich die hinterzogenen Steuern.
 
Dass Lemke zuweilen ungewöhnliche Situationen für sich nutzte, machte diese vom damaligen Völler-Berater Holger Klemme öffentlich gemachte Mauschelei deutlich. Nach einem Intertoto-Spiel 1982 in Graz bekam er nachts um zwei einen Anruf von drei Nationalspielern. Sie konnten ihre Zeche von 4300 Mark in einem Bordell nicht bezahlen. Lemke kam, löste sie aus und nutzte die Lage bei zwei Spielern aus, mit denen er gerade in schwierigen Verhandlungen steckte, die Unterschrift für ihre Vertragsverlängerung auf einem Bierdeckel zu unterschreiben.
 
Solche Anekdoten störten aber nicht bei seiner Rückkehr in die Politik. Er wurde unter Bürgermeister Henning Scherf erst acht Jahre Senator für Bildung und Wissenschaft, danach Senator für Inneres und Sport. Als Scherf seinen Rückzug ankündigte, bewarb sich Lemke 2005 um das Amt des Bremer Bürgermeisters. Es war eine seiner schlimmsten Niederlagen, als die SPD stattdessen mit großer Mehrheit Jens Böhrnsen nominierte.
 
Ein weiterer Misserfolg war zu seiner Zeit als Bildungssenator die Abschaffung des Studiengangs Sport an der Bremer Universität – aus Spargründen. Ausgerechnet Lemke passierte das, der immer für den Sport gekämpft hatte. Ende 2023 beschloss die Universität Bremen, den Studiengang Sport 2024/25 wieder einzuführen.
 
Als er deshalb genug hatte von der Bremer Politik, half ihm wieder ein Kontakt aus der Werder-Zeit. Der Direktor Roger E. Schärer von der Winterthur-Versicherung (einem früheren Hauptsponsor des Klubs) machte ihn mit Ban Ki-moon, dem Generalsekretär der UNO, bekannt. Der suchte gerade einen Sonderberater für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung.
 
So kam es, dass der Sportler und Politiker Lemke 2008 mal wieder beides verbinden konnte. Er hatte Büros in Genf und New York, reiste in die Konfliktregionen der Welt und oft nach Afrika, wo er sich besonders für bessere Sport-Bedingungen einsetzte. Er saß bei den Olympischen Spielen auf der Tribüne und traf den damaligen US-Präsidenten Barak Obama. Plötzlich war er nicht mehr nur in Bremen, sondern auf der ganzen Welt zuhause. Auch da war seine Stärke, Fundraising zu betreiben, sehr gefragt. 2016, als der Südokoreaner Ban Ki-moon ausschied, war auch für Lemke Schluss. Ebenso im Aufsichtsrat von Werder Bremen, dessen Vorsitz er schon 2014 an Marco Bode abgegeben hatte.
   


„Herr Lemke, übernehmen Sie“ von Helmut Hafer und Ralf Lorenzen, Edition E!nwurf, 246 Seiten, 24 Euro

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