NIEMAND SIEGT AM MILLERNTOR
Als die Gegengerade bebte
Die alte Gegengerade am Millerntor wird abgerissen: Wir erinnern an fünf Spiele des FC St. Pauli, um die sich Legenden ranken. Ein Auszug aus dem Buch "Niemand siegt am Millerntor" von René Martens, erschienen im Werkstatt-Verlag.
FC St. Pauli - FC Homburg 2:1, 24. Juni 1987
1:3 hatte die Elf von Willi Reimann das Hinspiel der Erstliga-Relegation verloren, durch teilweise erschreckende Fehler. Trotzdem war das Millerntorstadion ausverkauft, RTL übertrug das Spiel live. Als Jürgen Gronau in der 72. Minute zum 1:0 traf, brodelte das Stadion, und man fühlte jetzt, dass alles gut werden würde. Aber dann wurde ein Elfmeter nicht gegeben, während Homburg einen nicht berechtigten Strafstoß zugesprochen bekam - und auch nutzte. Doch die Moral des Teams war ungebrochen, und in der 88. Minute erzielte Studer noch das 2:1. St. Paulis Elf lief nach dem Spiel eine Ehrenrunde, und die Zuschauer verhielten sich so, als gelte es, den Aufstieg zu feiern. Das war in gewisser Hinsicht auch in Ordnung. Das knappe Scheitern war ein großer Erfolg, denn niemand hatte damit rechnen können, dass sich Neuling St. Pauli als Dritter der 2. Liga überhaupt für die Relegation qualifizieren würde.
FC St. Pauli - RW Oberhausen 2:0, 24. Mai 1988
Der Aufstieg in die 1. Liga gelang dem FC schließlich ein Jahr später. Zum vorletzten Spiel der Saison gegen Oberhausen kamen an einem Dienstag um 19.15 Uhr 14.200 Zuschauer. Mit etwas Glück ergatterten sie eine von 5.000 Tüten mit Knabbermischung, die ein Werbepartner zur Verfügung gestellt hatte - die Kommerzialisierung des Fußballs befand sich noch in einem harmlosen Stadium. Das Spiel war nur mittelmäßig, aber das kümmerte niemanden. Nachdem Dirk Zander und Hansi Bargfrede getroffen hatten, brach eine Euphorie aus, die sich im weiteren Verlauf des Abends in einem Hupkonzert rund um das Stadion entlud. Sicher war der Aufstieg zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch da es sich um das letzte Heimspiel handelte, musste gefeiert werden. Zum entscheidenden Spiel nach Ulm reisten nur 800 Fans – weil bereits alles klar schien oder weil die Auswärtsfahrerei noch nicht so stark verbreitet war.
FC St. Pauli - VfB Stuttgart 2:1, 26. August 1988
Der „Spiegel“ schrieb ein paar Wochen später in einer Reportage: „Der Arbeitssieg beim 2:1 gegen den VfB Stuttgart mit seinen sensiblen Fußball-Ästheten wie Karl Allgöwer und Jürgen Klinsmann bewirkt ein kollektives Glücksgefühl, das sich im Klublokal bis zum Morgendämmern in Gesängen, Trinksprüchen und Verbrüderungen entlädt. Es ist - auch - der Triumph über die höhere Gesellschaftsschicht.“ Heute klingt das albern, aber vielleicht war die Beschreibung damals korrekt. Sicher ist, dass es eines der großen Spiele in der erfolgreichsten Bundesligasaison der Vereinsgeschichte war. Angetrieben vom Publikum, bog St. Pauli das Spiel durch zwei Gronau-Tore noch um. Anstoß war damals um 18.15 Uhr, denn Flutlicht gab es noch nicht; die Anlage wurde erst im folgenden Frühjahr installiert.
FC St. Pauli - Hannover 96 1:0, 6. Juni 1993
Der rotbehoste Publizist Kay Sokolowsky hat ja nicht ganz Unrecht, wenn er in dem Buch „Ballhunger. Vom Mythos des brasilianischen Fußballs“ über Leonardo Manzi schreibt: „Er rannte wie nicht gescheit den Platz hinauf und hinunter, stolperte über die eigenen Beine, forderte Bälle, ohne sie dann annehmen zu können, versiebte die schönsten Chancen, schnitt anschließend Grimassen wie der dumme August im Zirkus“ und entwickelte zudem kein „Gefühl für die Grenzen seines Körpers“. Dennoch: Eine ganz, ganz wichtige Chance versiebte der Brasilianer nicht: Am letzten Spieltag der Saison 1992/93 wuchtete er in der 73. Minute den Ball per Kopf ins Hannoveraner Tor. Die Folge: St. Pauli blieb in der 2. Liga.
FC St. Pauli - Hansa Rostock, 3:2, 24. März 1996
Viele Erinnerungen an den Kampf um den Klassenerhalt in der Saison 1995/96 sind auf diese Partie fixiert - obwohl danach noch zehn Spieltage ausstanden. Nach einer Heimniederlage gegen Mönchengladbach war St. Pauli in akute Abstiegsnot geraten, umso wichtiger war das zweite Spiel am Millerntor in Folge. Die Bundesliga-Sonntagsspiele wurden noch um 17.45 Uhr angepfiffen, es regnete eimerweise, und man empfing den Erzfeind aus Mecklenburg, der in jener Saison derart stark war, dass er am Ende nur knapp die UEFA-Cup-Teilnahme verpasste. 2:2 stand es bis zur 88. Minute, und mit dem Sieg rechnete schon niemand mehr, als ein gewisser Kay Stisi, neun Minuten vorher für Jens Scharping eingewechselt, den Ball ins Netz drosch. Der Mann ist seitdem ein Held, obwohl er sonst nicht nennenswert in Erscheinung trat. Am Ende stand St. Pauli auf Platz 15.
Das Millerntor-Stadion von oben: Im Vordergrund ist die Gegengerade zu erkennen, die nun abgerissen wird
Foto Henning Angerer/Pixathlon
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