Taktik
Totgesagte treffen öfter
Lange galt der klassische Neuner als Auslaufmodell. Nun feiert er sein Comeback als Zielspieler neuer Prägung. Eine Analyse von Marius Thomas
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Der Unsichtbare
Beim 1. FC Nürnberg spielt im defensiven Mittelfeld einer der besten Spieler der Liga. Tomáš Galásek mag es gar nicht, wenn zu viel Aufhebens um ihn und sein Spiel gemacht wird. Wir tun es trotzdem. Ein taktisches Porträt von Malte Oberschelp

„Ich bin zufrieden“, sagt Tomáš Galásek. Gerade ist er frisch gefönt aus der Gästekabine des Dortmunder Stadions gekommen. Nürnberg hat 0:0 beim BVB gespielt, nach drei zuletzt weniger erfreulichen Partien mit sieben Gegentoren. Galásek ist froh, dass diesmal wieder die Null stand, vielleicht hat er deshalb einen Tick defensiver agiert als gewöhnlich. Ansonsten spielte er wie immer: unspektakulär, fast unsichtbar, aber enorm wichtig. Am Montag nach dem Spiel kürt ihn der „Kicker“ zum Mann des Spiels.
Ein Topmann ist da in die Bundesliga gekommen, und die hat es gar nicht richtig mitbekommen. Kaum jemand würde an Tomáš Galásek denken, wenn er die besten Spieler der Liga aufzählen sollte. Gut, mit 34 ist er nicht mehr der jüngste. „Die Jahre nehmen zu“, wie Galásek selbst verschmitzt sagt. Doch ihm zuzuschauen ist immer noch eine Augenweide – selbst bei einem 0:0, das bald vergessen sein wird. „Du spürst zu jeder Sekunde, dass Tomáš ein richtig Großer war und für uns noch ist“, sagt sein Trainer Hans Meyer.
Galásek spielt im defensiven Mittelfeld, der wichtigsten Schaltstation im modernen Fußball. Schon seit der Jugend bei Baník Ostrau, seinem tschechischen Heimatverein, wo er 1991 Profi wurde. „Nur die letzten beiden Jahre in Ostrau, bevor ich nach Holland ging, habe ich Ausputzer gespielt“, sagt Galásek. 1996 wechselte er nach Tilburg zu Willem II, einem der kleineren Klubs der Eredivisie, von dort ging es 2000 zu Ajax Amsterdam. Seit dieser Saison spielt Galásek in Nürnberg. „Ich sagte mir, nach zehn Jahren Holland wäre es nicht schlecht, gegen Ende der Karriere noch etwas anderes kennen zu lernen“, sagt er. „Ich will noch ein paar Erfahrungen sammeln – obwohl ich ja schon einige besitze.“
Das gilt besonders auf dem Spielfeld. Gegen den BVB ist Galásek der Mann, der die Defensive stabilisiert und im Mittelfeld die Richtung der Angriffe vorgibt. Er läuft nicht so viel wie zum Beispiel Owen Hargreaves, und er bestreitet auch nicht so viele Zweikämpfe. Wird er attackiert, spielt er den Ball zu Jan Polák oder Marco Engelhardt, seinen Kollegen im Mittelfeld. Einmal zwingt Florian Kringe ihm ein Laufduell auf. Natürlich ist Galásek langsamer, doch anstatt Foul zu spielen oder den Ball zu verlieren, dreht er nach links ein, schirmt den Ball mit dem Körper ab und spielt ihn ruhig zu Engelhardt hinüber. Am Ende der Partie hat Galásek gerade mal einen Fehlpass gespielt und nur einen Freistoß verschuldet.
Doch seine verblüffendste Fähigkeit ist das Stellungsspiel. Wie in einem Ensemble sich gegenseitig abstoßender Magneten hat Galásek immer den idealen Abstand zu seinen Mitspieler. Damit deckt er stets den größtmöglichen Raum ab. Und wie alle großen Spieler auf seiner Position ist er immer genau da, wo der Ball gleich sein wird. Jedes Mal, wenn der schnelle Ebi Smolarek nach einem langen Ball seinem Bewacher entwischt ist oder Dedé zur Grundlinie durchbricht, hat sich Galásek längst hinter die Innenverteidigung zurückfallen lassen und klärt – fast wie früher in Ostrau – als letzter Mann.
„Man muss bemüht sein, im Denken und in der Reaktion immer einen Schritt weiter zu sein als der Gegner“, sagt er. Aber woher kommt diese Fähigkeit? „Das weiß ich nicht. Kann ich nicht erklären“, meint Galásek und lächelt. Taktisch, erzählt er, hat er am meisten von Co Adriaanse gelernt. Der schaffte es mit Willem II bis in die Champions League und nahm seinen Sechser mit, als Ajax ihm den Trainerposten anbot. „Dort hatte ich die Gelegenheit, mit Spielern zusammen zu sein, denen man nicht täglich begegnet“, sagt Galásek. „Witschge, Winter, Ibrahimović.“ Doch zuletzt zog ihm Ronald Koeman den 22-jährigen Hedwiges Maduro vor. Auch deshalb kam Galásek nach Nürnberg.
Heute ist er die Stütze seiner Mitspieler. „In der Umgebung eines solchen Mannes kann jeder Spieler zehn bis 15 Prozent besser werden“, sagt Hans Meyer, der Galáseks Karriere seit seiner Zeit als Coach bei Twente Enschede verfolgte. Auf dem Platz ist das zunächst schwer zu sehen. Alles was in Deutschland als Arbeitsnachweises eines Führungsspielers gilt – die Mitspieler anschreien, den besten Mann des Gegners umhauen – bietet Galásek nicht. Er spielt ruhig, beinahe gleichmütig. Bei Ajax haben sie ihn „die stille Kraft“ genannt. Auch in Nürnberg überzeugt er nur durch sein Spiel. Man weiß, dass man selbst Fehler machen kann, wenn man so einen in der Mannschaft hat. Ein einziges Mal wird Galásek in Dortmund emotional, positiv emotional. Er klatscht ermunternd in die Hände, als dem eingewechselten Nachwuchsstürmer Chhunly Pagenburg der Ball ins Aus springt.
„Hans Meyer wollte mich als erfahrenen Spieler dabei haben“, sagt Galásek nur, „ich versuche, diese Rolle möglichst gut auszufüllen.“ Das tut er mit großer taktischer Disziplin. Wenn sich Ebi Smolarek ins Mittelfeld zurückfallen lässt und ihm einer der Innenverteidiger folgt, nimmt Galásek dessen Platz ein und doppelt Alexander Frei. Stoßen die Club-Außenverteidiger vor – allein Javier Pinolá hat diese Saison fünf Tore vorbereitet und eines erzielt – bildet Galásek mit der Innenverteidigung eine Dreierkette. Als Kringe aus dem linken Mittelfeld auf die andere Seite wechselt, verlässt Galásek seine Position im Zentrum, folgt dem Dortmunder und verhindert eine Überzahl des Gegners. Kein Wunder, dass Nürnberg immer noch die wenigsten Gegentore auf dem Konto hat.
In der tschechischen Nationalelf agiert Galásek anders. „Da spiele ich meist gegen den Mann hinter den Spitzen“, sagt er. „Hier bin ich freier.“ Tatsächlich ähnelt Galásek in Nürnberg eher einem Libero vor der Abwehr als einem modernen defensiven Mittelfeldspieler. Das mag an seiner Prägung liegen, aber auch am Nürnberger 4-3-3. Wer mit drei Stürmern spielt, braucht eine gute defensive Absicherung. Anders als etwa Frank Baumann von Bremen spielt Galásek weniger direkt. Nürnberg gehört nicht zu den Teams, die blitzschnell umschalten und tendenziell wenig Ballbesitz haben. Gegen den Ball ist der Nürnberger Sechser statt auf die Kollegen im Mittelfeld meist auf die Innenverteidiger bezogen. Ende der ersten Halbzeit provoziert Galásek erst einen Dortmunder Ballverlust und spielt danach mit dem Außenrist auf linksaußen zu Ivan Sajenko – ein Hauch von Franz Beckenbauer.
Denn auch in der Offensive ist der Tscheche präsent. Erlaubt es die Situation, rückt er bis in die Spielmacherposition auf. Bevorzugt bedient er die Außenstürmer Sajenko und Róbert Vittek. Dabei spielt Galásek nie da hin, wo der Mann steht, sondern wohin er laufen muss. Ist eine Abwehrseite dicht, ist es der Tscheche, der mit weiten Bällen den Flankenwechsel einleitet. In der 68. Minute schießt Galásek nach einem feinen Doppelpass das erste Mal aufs Tor, der Schuss wird im letzten Moment geblockt. „Vielleicht hat Róbert Vittek von rechts noch gerufen“, sagt er, „aber ich habe nicht mehr erwartet, dass noch einer dazwischengeht“.
Es ist bezeichnend, dass Galásek sich noch nach dem Spiel Gedanken macht, ob er hätte abspielen sollen. „Man sollte die Fähigkeit haben zu sehen, wenn ein Mitspieler besser steht“, meint er. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass heute viele Spieler ichbezogen spielen. Damit kann ich mich bei meiner Natur nicht abfinden.“ Galásek steht für den Kombinationsfußball tschechischer Schule. Auf seiner Position bewundert er Patrick Vieira und Claude Makélélé. „Solche Spieler sind vielleicht nicht so hoch gelobt“, meint er. „Aber man unterschätzt ihre Bedeutung für die Mannschaft.“
Ihm selbst passiert das auch. In der tschechischen Mannschaft stand er stets im Schatten anderer: Pavel Nedvƒõd, Tomáš Rosick√Ω oder Koller. In Nürnberg könnte er der Star sein. Aber er ist es nicht. Dafür ist Tomáš Galásek zu bescheiden, auf wie neben dem Spielfeld. „So möchte ich auch bleiben. Ich sehe keine Notwendigkeit, mich da zu ändern.“
Ob er einmal Trainer werden will, wird er seit einigen Jahren ständig gefragt, erzählt Galásek. „Ich habe schon genug Stress gehabt als Spieler, und auf Reisen war ich auch genug“, sagt er. „Ich werde mir wohl eine ruhigere Beschäftigung suchen.“ Er wirkt wie jemand, der am Ende einer großen Karriere einfach wieder dahin gehen könnte, wo er hergekommen ist und dort noch ein wenig weiter Fußball spielt. Tomáš Galásek muss man sich nicht als zufriedenen Menschen vorstellen. Er ist es einfach.
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