INTERVIEW
„Pizarro zeigte den Mittelfinger“
Hamburg, Clubheim des FC St. Pauli: Dirk Felsenheimer alias Bela B. hat sich extra diesen Ort für das Interview ausgesucht. Obwohl es lausig kalt ist, kommt der Musiker in Fahrt, als er erzählt, wie er Fan des FC wurde. Interview Matthias Greulich und Oliver Lück.
Bela B. Fotos: Astrid Grosser
RUND: Herr Felsenheimer, finden Sie es nicht auch ein bisschen frisch hier?
Bela B.: Ja, es zieht.
RUND: Der Verein will Heizkosten sparen.
Bela B.: Gut möglich.
RUND: Wie oft sind „Die Ärzte“ bereits angesprochen worden, den FC St. Pauli mit einer Spende von den enormen Schulden zu befreien?
Bela B.: Oft. Und es werden auch ständig noch diese Vergleiche gezogen, ob ich oder Die Ärzte nicht was Ähnliches machen könnten wie Die Toten Hosen bei Fortuna Düsseldorf. Die haben damals eine Mark pro verkaufter Eintrittskarte für einen neuen Stürmer gespendet. 100.000 Mark kamen damals zusammen. Wir haben so etwas nicht gemacht. Es gibt ja auch nur einen St.-Pauli-Fan bei den Ärzten. Doch vor allem in den 90ern sind wir immer wieder gebeten worden, den Verein zu unterstützen. Wir haben dann ein Klohäuschen fürs Stadion spendiert.
RUND: Sie alleine engagieren sich häufiger.
Bela B.: Mit kleineren Spenden oder mit irgendwelchen Aktionen, wenn ich zum Beispiel helfe, Dauerkarten zu verkaufen. Ich will aber gar nicht, dass meine Karriere oder die Karriere meiner Band in irgendeiner Form in Verbindung mit dem FC St. Pauli gebracht wird.
RUND: Gibt es zwischen den Ärzten und den Toten Hosen tatsächlich immer noch diesen Konkurrenzgedanken?
Bela B.: Als Bommerlunder noch Sponsor des FC St. Pauli war, wurde vor den Spielen ständig „Eisgekühlter Bommerlunder“ von den Toten Hosen gespielt. Und wenn Fortuna Düsseldorf hier zu uns ins Stadion kam, lief „Bommerlunder“ gleich zweimal, was mich damals tierisch genervt hat. Doch bis auf die Tatsache, dass es beide Bands in etwa gleich lange gibt, sehe ich inzwischen gar keine Parallelen und auch kein Konkurrenzdenken mehr.
RUND: Wie sind Sie als Berliner an den FC St. Pauli geraten?
Bela B.: Das war 1993. Bis dato war ich überhaupt kein Fußballfan und lebte in Berlin. Als Punkrocker hatte ich einige schlechte Erfahrungen mit Fans von Hertha BSC gemacht. Auch heute gibt es dort noch ein rechtes Hooliganpotenzial. Für mich war Fußball ätzende Prollscheiße. Dann erzählte mir aber Jan (Anm. der Red.: Jan Vetter alias Farin Urlaub, Sänger der Ärzte), dass er in Hamburg immer ins Stadion gehe, weil ihm Leute von der geilen Stimmung erzählt hatten. Von ihm wusste ich auch, dass es beim FC St. Pauli eine Affinität zur Hafenstraße gab und dass der Torwart Volker Ippig gleichzeitig Hausbesetzer war. Und dann erzählte Jan mir noch, dass in der Halbzeitpause immer „Westerland“ gespielt werde und richtig viele Leute mitsingen würden. Er habe eine Gänsehaut bekommen und einige Tage später den Wunsch gehabt, Die Ärzte wieder zusammenzubringen.
RUND: Der FC St. Pauli als Auslöser für die Wiedervereinigung der Ärzte?
Bela B.: Ja, das war die Initialzündung. Der FC St. Pauli ist einer der Gründe, dass es Die Ärzte wieder gibt. Heute wird „Westerland“ am Millerntor aber nicht mehr gespielt.
RUND: Warum das nicht?
Bela B.: Weil der jetzige Stadionsprecher Die Ärzte hasst. Er mag Die böhsen Onkelz lieber. Das hat er mir mal erzählt.
RUND: Sie sind dem Verein dennoch treu geblieben.
Bela B.: 1997 bin ich nach Hamburg gezogen, und irgendwann gehörte dieses Ritual, alle zwei Wochen ins Stadion zu gehen, einfach dazu. Irgendwann gehörte ich dieser Szene an, die Punkrock hört, ins Stadion geht und in Clubs rumhängt. Im gleichen Jahr habe ich mir auch meine erste Dauerkarte geholt, und die Nähe zum Verein wuchs. Es stellte sich sogar heraus, dass Sven Brux (Anm. der Red.: beim FC St. Pauli verantwortlich für Organisation und Sicherheit im Stadion) auch Punkrocker war und dass ich mich auf einem unserer Konzerte mal mit ihm geprügelt hatte.
RUND: Was war denn passiert?
Bela B.: Er hatte mich angespuckt, als ich auf der Bühne stand. Dann habe ich zurückgespuckt. Und weil er größer war als ich, dachte er wohl: „Okay, da habe ich leichtes Spiel.“ Er ist auf die Bühne geklettert, wir haben uns gegenübergestanden und so ein bisschen rumgehauen, bis sich so Rocker-Ordner eingemischt haben. Wir waren beide keine Schläger, wollten uns das vom anderen aber nicht gefallen lassen.
RUND: Vor einigen Jahren haben Sie schon einmal für den Verein gesungen: die Stadionhymne „You’ll never walk alone“ in verschiedenen Versionen.
Bela B.: Das war eine doofe Sache damals. Das Lied wird mir nie wieder über meine Lippen kommen.
RUND: Weil Ihre Version nicht mehr am Millerntor gespielt wird?
Bela B.: Nein, weil ich finde, dass sich gewisse Leute mir gegenüber echt scheiße verhalten haben. Das hat jetzt nichts mit beleidigter Leberwurst zu tun. Der Verein hatte mich gefragt, ob ich „You’ll never walk alone“ neu interpretieren würde. Ich habe zugesagt und die Platte sogar umsonst aufgenommen. Dann wurde seitens der Fans und der Medien viel Dreck auf mich geschüttet, was mir überhaupt einfiele, einfach so die Stadionhymne zu covern. Irgendwann dachte ich bloß: „Okay Leute, macht euren Scheiß alleine. Der Song ist für mich gestorben.“
RUND: Gerade in den letzten vier Jahren hatten Sie es als Fan des FC St. Pauli nicht ganz leicht.
Bela B.: Genau das bewundere ich so an uns Fans: Dass wir jetzt im vierten Jahr in der Regionalliga sind, was wirklich nicht einfach ist. Als mir das mal jemand prophezeite, sagte ich: „Zwei Jahre noch, dann bin ich nicht mehr dabei.“ Dass wir alle jetzt immer noch hingehen, obwohl wir in jeder Saison mehr enttäuscht als überrascht werden, wundert mich wirklich. Wir haben alle diesen unerschütterlichen Glauben, dass die Tortur, dass diese Marter bald vorbei ist. Und dann sitzt oder stehst du da, guckst aufs Spielfeld und denkst: „Das kann doch nicht wahr sein, warum sind hier 20.000 Leute?“ Ich habe Kreisligisten oder Frauenfußballteams gesehen, die besser waren. An manchen Tagen ist es wirklich Hardcore am Millerntor.
RUND: Haben Sie Rituale, die Ihnen helfen, die Rückschläge zu verarbeiten?
Bela B.: Auf jeden Fall wird immer viel Bier getrunken, klar. Ich halte mich mit einem Misserfolg aber auch gar nicht so lange auf, meine Enttäuschung verfliegt meist relativ schnell.
RUND: Wird in den letzten Jahren im Stadion mehr getrunken als noch zu Bundesligazeiten?
Bela B.: Glaube ich nicht, obwohl wir mehr Bierstände und jetzt auch die Halbliterbecher vom Fass haben – kann also schon sein, dass etwas mehr getrunken wird. Bei mir ist es allerdings nicht mehr oder weniger geworden.
RUND: Wie viel schaffen Sie denn so pro Spiel?
Bela B.: Unterschiedlich, fünf oder sechs, wenn es gut läuft.
RUND: Große?
Bela B.: Halbe, ja klar. Ich bin aber gar nicht so der Riesenbiertrinker. Ich kann das nicht mehr massenweise in mich reinschütten – habe ich früher vielleicht zu oft gemacht. Mir macht Bier trinken auch mehr Spaß, wenn es warm ist und die Sonne scheint. Mein Motorrad musste ich trotzdem schon am Stadion stehen lassen.
RUND: Wie lange waren Sie nach dem legendären 2:1-Sieg gegen den FC Bayern vor fünf Jahren euphorisiert?
Bela B.: Mindestens eine Woche. Dieses Glücksgefühl kommt auch heute immer noch wieder. Das war der Knaller. Aber auch nach der Pokalniederlage gegen die Bayern vergangenes Jahr, war ich noch drei Tage euphorisiert, weil wir die bessere Mannschaft waren. Als vor dem Spiel der Mannschaftsbus der Bayern ankam und durch die Menschenmenge musste, war das schon geil, da diese zukünftigen Weltmeisterhelden sitzen zu sehen. Und dann zeigte uns Pizarro, glaube ich, auch noch den Mittelfinger. Ich habe ein Foto gemacht, nur leider sind diese blöden Handykameras zu langsam, da war sein Arm schon wieder unten.
RUND: Was hat ihn so wütend gemacht?
Bela B.:Es wurden halt so Lieder gesungen und es wurde rumgeschrieen: „Scheiß Millionäre“ und so was – auch wenn ich mich dabei etwas zurückhalten musste.
RUND: Ob Sie wollen oder nicht: Sie zählen zu den Edelfans des FC St. Pauli?
Bela B.: Gemessen an den Hochglanzstars in Deutschland sehe ich mich da schon etwas anders. Beim FC St. Pauli kommen viele ideelle Sachen dazu, das Gefühl im Stadion, das Gefühl, was die Fanpolitik des Vereins angeht. Ich kann mich damit immer noch identifizieren, auch wenn ich jetzt in meinem eigenen Haus wohne und zwei Autos habe – das ist doch völlig egal. Der FC St. Pauli ist halt der Verein für mich, der Verein, zu dem ich passe. Das hat mit der Identifikation zu tun, mit dem verzweifelten Ankämpfen gegen das Unvermeidliche. In meinen Songtexten interessiert mich das auch mehr als die puren Erfolgsgeschichten.
RUND: Das glorreiche Scheitern.
Bela B.: Ja, dieses Sich-nicht-unterkriegen-Lassen, um dann doch alle paar Jahre so eine Überraschung aus dem Hut zu zaubern, wie im DFB-Pokal. Dann laufen hier Millionäre mit angeekelten Gesichtern auf den Platz und sehen gegen uns richtig alt aus.
RUND: Schadenfreude?
Bela B.: Ja, das ist auch Schadenfreude, aber auch dieses David-gegen-Goliath-Phänomen. Wenn Miroslav Klose dann fassungslos unseren Torwart anguckt, weil der ein Tor vereitelt hat, ist das einfach ein schöner Moment.
RUND: Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass Sie Schnorrern nichts mehr geben würden. Nerven Sie die vielen „Retter“-Kampagnen, mit denen der FC St. Pauli versucht, sich am Leben zu erhalten?
Bela B.: Nein, diese Aktionen haben dem Verein ja tatsächlich geholfen. Ich habe zum Beispiel den Ball vom 2:1-Sieg gegen die Bayern ersteigert. Ich habe also etwas gekriegt für meine Spende.
RUND: Wie teuer war der Ball?
Bela B.: 5555 Euro.
RUND: Spielen Sie ab und zu mit ihm?
Bela B.: Natürlich nicht! Den habe ich zu Hause in einer Vitrine.
RUND: Ihr privater St. Pauli-Schrein.
Bela B.: Genau. In der Vitrine steht auch eine Plastikfigur von Olli Kahn, wie er gerade die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Die Eintrittskarte vom Spiel liegt natürlich auch drin, und das Weltpokalsiegerbesieger-T-Shirt mit der Mannschaftsaufstellung und dem Endstand drauf.
RUND: In „Wiehr thind sssuper“ auf Ihrer Soloplatte singen Sie: „All die tolle Du-bist-Deutschland-Euphorie. Deutschland wäre doch lieber die USA.“ Die Platte kam knapp vier Wochen vor der WM raus. Wo haben Sie in den WM-Monaten für sich Grenzen gezogen?
Bela B.: Zunächst dachte ich nur: „Jetzt bringe ich diese Platte und dieses Lied raus und drei Wochen später fahren die überall mit Deutschlandfahnen rum. Die werden mich in der Luft zerreißen.“ Es war auch so, dass ich auch von Freunden einiges an Kritik zu hören bekam: „Was soll denn das“ Jetzt hat man mal positive Gefühle, ohne dass man sich als Nazi fühlt. Das kannst du doch nicht kaputt machen. Du gehörst doch nicht zu diesen Alt-68ern. Du bist doch kein Hippie.“
RUND: Warum haben Sie das Lied geschrieben?
Bela B.: Weil ich eine dezidierte Meinung und Angst vor einem Rechtsruck habe. Ich beobachte mit Besorgnis, wie Politiker von rechts-konservativ-christlichen Parteien mit der Ausländerangst auf Stimmenfang gehen. Das sind Sachen, die sollten wir nicht vergessen. Wir sollten auch nicht vergessen, was in diesem Land passiert ist. Ein erhöhter Nationalstolz ist sicher nicht die Lösung unserer Probleme. Stolz auf unser Fußballteam zu sein, dass die für uns, für unser Land was erkämpfen und dass man gerne in diesem Land lebt, ist alles kein Problem für mich. Die Leute allerdings, die jetzt immer noch mit Deutschlandfahnen herumfahren, finde ich, ehrlich gesagt, total bescheuert.
RUND: Seit der WM hat sich für Fußballfans vieles verändert. Auch Anhänger des FC St. Pauli mussten zum Beispiel persönliche Daten abliefern oder wurden mit Stadionverboten bestraft.
Bela B.: Und das, obwohl gar keine Hinweise auf irgendwelche Straftaten vorlagen. Es ist ein Unding, wie schon wieder auf wirklich hanebüchene Art und Weise versucht wird, den Widerstand gegen rechte Strukturen zu kriminalisieren. Wir haben ein Neonazi-Problem in diesem Land. Es gibt durchaus auch kluge Rechte und Neonazi-Nationalisten in diesem Land, wo es einem wirklich schwerfällt, dagegenzuhalten. Und nun werden St.-Pauli-Fans kriminalisiert.
RUND: Links und rechts werden in einen Topf geschmissen.
Bela B.: Es wird immer schnell von Gewalt von links und rechts gesprochen, aber genau in dieser Reihenfolge. Und wenn dann über rechte Straftaten gesprochen wird, machen die Leute öffentlich immer gleich klar, dass sie auch gegen Gewalt von links sind. Dabei gibt es nur einen verschwindend geringen Teil von gewaltbereiten St.-Pauli-Fans, weil sie sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen wollen. Dass Fans vom Millerntor wie Streitbrecher unterwegs wären, ist mir noch nie zu Ohren gekommen. Gegen diese staatliche Macht, gegen diese Diskriminierung kannst du aber nur mit Hilfe der Öffentlichkeit vorgehen. Dafür möchte ich meine Prominenz auch nutzen.
Das Interview ist in der RUND-Ausgabe #19_02_2007 erschienen.
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