Thomas Hitzlsperger

Doku über homosexuelle Fussballer

 „Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken“

Manfred Oldenburg ist Regisseur der sehenswerten Doku „Das letzte Tabu“. Er lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen Profifußballer ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die sich als homosexuell geoutet haben. Interview Matthias Greulich

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RUDI VÖLLER

„Wir sollten mehr auf Frauen hören“

Als Spieler wurde er Weltmeister, spielte in Italien, war Teamchef der Nationalelf und hört nun Sportdirektor bei Bayer Leverkusen auf: Rudi Völler ist immer noch so populär wie in den Achtzigern. Interview Malte Oberschelp und Holger Schmidt.

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"Gesülze ist mir peinlich": Rudi Völler.
Foto Dirk Messner



RUND: Herr Völler, nach der Vize-Weltmeisterschaft 2002 waren Sie wochenlang der Held der Nation. Können Sie den Song „Es gibt nur ein’ Rudi Völler“ inzwischen wieder hören?

Rudi Völler: Am Anfang war es ja noch ganz schön. Noch heute wird das Lied immer mal wieder angestimmt, wenn ich irgendwo hinkomme. Aber damit muss man leben.

RUND: Wäre es im Nachhinein besser gewesen, auf diesem absoluten Höhepunkt der Popularität als Teamchef zurückzutreten?
Rudi Völler: Nein, damit habe ich mich nie beschäftigt. Obwohl mir klar war, dass die Zeiten von Sepp Herberger oder Helmut Schön vorbei sind, in denen man zehn, 15 Jahre Bundestrainer war. Ich habe im Endeffekt den richtigen Zeitpunkt für meinen Abgang erwischt.

RUND: Was war für Sie der entscheidende Grund, nach der EM 2004 sofort aufzuhören?

Rudi Völler: Nach so einer sportlichen Enttäuschung kannst du einfach nicht mehr weitermachen. Du stehst zwar noch unter Vertrag, aber die Grundvoraussetzungen sind derart schwierig, dass es einfach kontraproduktiv wäre, im Amt zu bleiben.

RUND: Inwiefern?
Rudi Völler: Wenn du auf eine WM im eigenen Land zusteuerst, musst du unbefleckt sein. Da kannst du nicht ein solches Negativerlebnis im Rücken haben wie dieses Vorrunden-Aus. Und ich habe gemerkt, dass ich nach vier Jahren etwas leer war. Aber für eine WM im eigenen Land musst du Zuversicht ausstrahlen, so wie Jürgen Klinsmann das auch immer tut.

RUND: Und das hätten Sie nicht geschafft?
Rudi Völler: Wenn ich in der ersten Pressekonferenz nach der Sommerpause gesagt hätte, wir wollen 2006 Weltmeister werden, hätten alle gefragt: Hat der Völler in seiner Karriere zu viele Kopfbälle gemacht? Glaubwürdig konnte das nur ein neuer Mann rüberbringen.

RUND: Haben Sie es als nachträgliche Kritik an Ihrer Arbeit empfunden, dass allerorten der frische Wind gelobt wurde, den Klinsmann ins Nationalteam gebracht hat?

Rudi Völler: Nein. Das ist schließlich immer das gleiche Spiel. Als ich die Nationalelf übernommen habe, gab es die gleichen Sprüche.

RUND: Aber damals lag die Nationalelf auch am Boden.

Rudi Völler: Ja, da lag sie am Boden. Nach der EM 2004 lag sie sicher nicht am Boden. Aber ich kann damit gut umgehen. Dafür waren die vier Jahre einfach zu schön. Und es macht ja auch wirklich Spaß, der Nationalmannschaft von heute zuzuschauen.

RUND: Wie groß ist der Anteil von Klinsmann an der offensiven Grundausrichtung?

Rudi Völler: Die Taktik richtet sich immer nach den Spielertypen. Ich habe, vor allem bei der WM, wesentlich defensiver spielen lassen. Und mit diesem System lagen wir vollkommen richtig. Sonst hätten wir das Endspiel nicht erreicht.

RUND: Würden Sie in der heutigen Situation und mit dem heutigen Spielermaterial auch so offensiv spielen lassen?
Rudi Völler: Das kann ich nicht sagen. Da spielt eine Rolle, dass der Jürgen bislang nur Freundschaftsspiele gemacht hat. Da kannst du mehr ausprobieren. In einer Qualifikation musst du manchmal einfach darauf schauen, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. So zum Beispiel beim 0:0 in Island: Das Spiel war sicher alles andere als gut, aber wir brauchten diesen Punkt, um Gruppensieger zu werden. Und dann musst du auch mal mit einem 0:0 in Island zufrieden sein.

RUND: Fans und Medien hatten dafür weniger Verständnis. Ihr inzwischen legendärer Wutausbruch gegen Waldemar Hartmann ereignete sich genau nach diesem Spiel.
Rudi Völler: Das war eigentlich immer das Grundproblem: Gegen solche Gegner wurde erwartet, dass du nicht nur deutlich gewinnst, sondern auch noch gut spielst. Aber die Freiheit, auf die wichtigen Dinge zu schauen, muss man sich als Bundestrainer nehmen.

RUND: Sie haben sich inzwischen bei Waldemar Hartmann für Ihren Ausbruch entschuldigt.

Rudi Völler: Ich habe mich für die Wortwahl entschuldigt. Nicht für den Ausbruch an sich.

RUND: Viele glauben, Sie hätten durch die Aktion den Druck nach dem schlechten Spiel auf sich nehmen wollen.
Rudi Völler: Nein, das war rein emotional. Das Stadion war kleiner, die Wege kürzer, so dass ich nach dem Abpfiff relativ schnell im Studio war und dort am Bildschirm noch ein paar Minuten der Übertragung gesehen habe. Bei dem, was ich da gehört habe, ist einiges in mir hochgekocht.

RUND: Haben Sie sich danach erleichtert gefühlt? Oder haben Sie gedacht: Oh Gott, was habe ich da gemacht?
Rudi Völler: Ich habe natürlich direkt gemerkt, dass das jetzt kein normales Interview war. Ich bin dann sofort zur Mannschaft, damit alle vorbereitet sind, wenn sie darauf angesprochen werden. Im Nachhinein gab es mehr positive als negative Reaktionen. Aber es hat mich dennoch belastet. Vier Tage später stand das wichtige Spiel gegen Schottland an, und es wurde mehr über mich geredet als über die Schotten.

RUND: Belastet Sie die Sache heute immer noch?
Rudi Völler: Es war danach nicht mehr wie vorher. Es gibt zwei klassische Episoden in meinem Leben, die mich immer wieder einholen – egal, ob ich im Dschungel bin oder in der Antarktis. Das ist zum einen die Geschichte mit Frank Rijkaard bei der WM 1990 und auf nationaler Ebene diese Geschichte mit Waldemar Hartmann.

RUND: Nervt Sie das?
Rudi Völler: Ich kann damit leben, weil die Geschichten für mich ja nicht negativ sind.

RUND: Trotz dieser Aktion hält sich weiterhin hartnäckig Ihr Ruf als „Tante Käthe“ oder dem „lieben Rudi“, der Ihnen selbst gar nicht so recht ist.
Rudi Völler: Ja, der „liebe Rudi“. Ich versuche immer, zu den Leuten freundlich zu sein. Egal, ob am Flughafen oder am Bahnhof. Autogramme gebe ich auch immer gerne, egal bei welcher Gelegenheit. Das ist doch selbstverständlich.


Rudi Völler gegen Maradona

WM-Finale 1990: Rudi Völler gegen Diego Maradona
Foto Pixathlon


RUND: Sie gelten bei den Deutschen als Musterbeispiel an Beständigkeit und Zuverlässigkeit. Werden wir Sie je mit anderem Haarschnitt und ohne Schnurrbart sehen?

Rudi Völler: Schwer zu sagen. Meine Frau versucht, mich zu überzeugen, mal was anderes zu machen. Aber ich mache mir da keine großen Gedanken. Ich gehe ab und zu zum Friseur und lasse mir die Spitzen schneiden, wie jeder andere auch. Aber wenn ich merke, dass die Ecken etwas lichter werden, werde ich sicher auch die Haare etwas kürzer tragen.

RUND: Würden Sie sich selbst als eitel bezeichnen?
Rudi Völler: Ich glaube, nicht mehr als andere auch.

RUND: Wie hat sich Ihre Frau als Italienerin aus einer Weltstadt eigentlich damit abgefunden, dass Sie nun seit Jahren in Leverkusen wohnen? Es gäbe sicher attraktivere Städte auf dieser Welt, in denen Sie auch arbeiten könnten.
Rudi Völler: Sie hat sich damit arrangiert. Sie spricht inzwischen perfekt deutsch und weiß die Wohnqualität hier durchaus zu schätzen. Leverkusen ist zwar nicht groß und hat nicht den Glamour wie vielleicht München oder Berlin. Aber wenn du das brauchst, bist du hier auch ganz schnell in Köln oder Düsseldorf.

RUND: Haben Sie eine Erklärung, wieso Sie ausgerechnet hier heimisch geworden sind?
Rudi Völler: Die Verbindung zu Bayer Leverkusen war deshalb so eng, weil Reiner Calmund mir hier die Möglichkeit gegeben hat, mich als Sportdirektor einzuarbeiten. Ihm über die Schulter schauen zu dürfen war unheimlich wertvoll. Du kannst nicht zu der ersten Managersitzung gehen und sagen: Ich bin der Rudi Völler, ich bin Weltmeister, sonst kann ich nix, aber das kann ich gut.

RUND: Brauchen Sie ein beschauliches Umfeld, um sich wohl zu fühlen?

Rudi Völler: Eigentlich nicht. Ich habe auch bei Vereinen gespielt wie AS Rom oder Olympique Marseille. Das ist schon große Gala-Bühne, und Rom ist die schönste Stadt der Welt. Diese enge Bindung zu Leverkusen ist eben auch durch Zufälle entstanden. Es war schließlich anders geplant. Ich habe meiner Frau damals gesagt: Ich gehe jetzt zum Karriereende noch mal ein, zwei Jahre nach Leverkusen, und dann gehen wir wieder nach Rom zurück.

Das Interview ist in RUND #9_04-2006 erschienen.

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