HEIMSPIEL
Tunnelblick
In Brasilien lernte Kevin Kuranyi den Sport kennen, der ihn neben Fußball am meisten fasziniert. Regelmäßig stellte er sich am Strand von Rio auf das Surfbrett. Von Malte Oberschelp.

Ich war zwölf, als mir mein Vater mein erstes Surfbrett geschenkt hat. Damals hat unsere Familie in Rio de Janeiro gelebt, und ich habe versucht, richtig surfen zu lernen. In unserer Gegend war das ganz normal. Wenn man am Strand war, hat man ein bisschen Fußball gespielt, und wenn gute Wellen kamen, sind wir zum Surfen ins Wasser gegangen. Ein Jahr habe ich in Rio direkt am Strand gewohnt, das war die Zeit, in der ich wirklich viel in die Wellen gegangen bin. Da hatte ich auch schon ein zweites Brett. Die übrige Zeit haben wir weiter weg vom Strand gelebt – dann stand wieder mehr der Fußball im Vordergrund.
Als wir 1997 nach Deutschland gezogen sind, war es mit dem Surfen natürlich erst mal vorbei. Hier geht das ja nicht so gut. Schon gar nicht damals in Stuttgart. Um die Zeit, mit 15 Jahren, hat mir Fußball aber auch schon mit Abstand am meisten Spaß gemacht. Nur wenn wir in den Urlaub gefahren sind und am Strand waren, dann bin ich wieder gesurft. Meistens war das in Brasilien oder aber in Panama. Von dort kommt meine Mutter.
Surfen macht einfach richtig Spaß. Das Lebensgefühl dabei ist ein sehr freundliches. Man hat die Sonne, man hat den Strand, man hat das Meer – und man hat seine Ruhe. Das tut gut. Wenn ich surfe, denke ich an gar nichts. Du wartest auf deine Welle, da bist du vollkommen frei und denkst nur an diese eine Welle, an nichts anderes. Ich glaube, das ist so ähnlich wie beim Golfspielen. Manche spielen Golf, um sich zu entspannen, ich habe meine Ruhe beim Surfen. Golf habe ich auch schon mal probiert, aber das war nicht so mein Ding.
Natürlich ist es nicht ganz ungefährlich. Wenn man es lernt, surft man mit dem kleinen Brett, ohne schon darauf zu stehen. Das kann wirklich jeder, wenn er es versucht. Und dann verbessert man sich mehr und mehr, die Wellen werden größer. Bis an die ganz großen habe ich mich aber nicht herangetraut. Die waren zu groß für mich. Man muss schon Profi sein, um in so einer Riesenwelle surfen zu können – oder sehr verrückt. Wenn man da vom Brett fällt oder die Welle falsch nimmt, dann kann man sich leicht verletzen.
Bei Fußballprofis, die gerne Ski fahren, steht ja manchmal im Vertrag, dass sie das nicht dürfen. Das ist bei mir mit dem Surfen aber nicht so. Es gibt wohl auch nicht so viele Spieler, die das machen. Von Bixente Lizarazu weiß man es, der ist anscheinend richtig gut. Soweit ich weiß, ist sein Bruder Profisurfer. Davon gibt es inzwischen eine ganze Menge. Die Brasilianer haben sehr gute Leute, die Australier auch. Früher habe ich mir manchmal professionelle Surfwettkämpfe im Fernsehen angeschaut. Aber ein richtiges Vorbild hatte ich nie – die habe ich mir im Fußball gesucht. Surfen ist mehr für den Spaß.
Ob es dabei etwas gibt, was man für den Fußball lernen kann, weiß ich nicht. Vielleicht bringt es etwas für den Gleichgewichtssinn oder die Körperkraft. Aber insgesamt ist der Sport doch ganz anders als der Fußball. Das einzige, was man mitbringen muss, ist das Bedürfnis, es zu lernen und sich dann langsam zu steigern. Und man braucht einen gewissen Respekt vor dem Meer. Wer glaubt, dass er schon alles kann, der wird bestraft. Da ist es dann wieder wie beim Fußball.
Die Beach Boys? Nein, die habe ich nie wirklich gehört. Ich weiß, dass die ein paar gute Songs über das Surfen gemacht haben, „Surfin’ USA“ und diese Sachen. Aber das ist nicht so meine Musik. Ich war erst einmal in Amerika, und da bin ich nicht gesurft. In Huntington Beach in der Nähe von Los Angeles, wo Jürgen Klinsmann wohnt, soll es ja gute Wellen geben. Aber ich glaube nicht, dass ich da mal zum Surfen hinfahren werde.
Mein Lieblingsstrand ist der Barra da Tijuca, das ist ein Strand in Rio. Da ist das Wasser sauberer als an der Copacabana, und die Wellen sind auch besser. Mein schönstes Surferlebnis hatte ich aber trotzdem an der Copacabana: Ich war einmal mit meinem Bruder dort, als es ungewöhnlich leer war. Und auf einmal sind sehr gute Wellen gekommen. Die haben richtige Tunnel gebildet – und am Ende aus diesem Tunnel herauszukommen, das ist einfach großartig. An diesem Tag hat das viel häufiger geklappt als sonst. Das war wirklich toll.
Im Moment habe ich gar kein Surfbrett daheim. Ganz einfach deshalb, weil ich keine Zeit dafür habe. Als die ersten Surfsimulationen für die Playstation herausgekommen sind, habe ich das öfter mal gespielt, aber das ist auch schon eine ganze Weile her. Inzwischen kann man sogar auf dem Handy surfen. Bloß sind die Spiele bei weitem nicht so gut wie das Erlebnis, ganz in echt auf dem Brett zu stehen.
Aber wenn ich im Urlaub bin, leihe ich mir einfach eins. Ich habe noch ein paar Kumpels in Rio, die auch surfen, die machen das gerne. Dann gehe ich gleich ein paar Mal die Woche los. Manchmal ist es alleine besser, manchmal mit Freunden. Noch viel erreichen will ich mit dem Surfen nicht mehr, es soll einfach nur Spaß machen. Im Moment habe ich sowieso keine Zeit, um noch etwas dazuzulernen und mich zu verbessern. Vielleicht gehe ich, wenn meine Fußballkarriere zu Ende ist, ein Jahr lang an den Strand und surfe jeden Tag. So wie früher. Das wäre ein Wunsch von mir.
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