trikotsammlEr
Michael Tarnat: Eine Karriere in Polyester
Über 300 Trikots hat Michael Tarnat in seiner Laufbahn gesammelt. Getauscht hat er aber nur mit Gegenspielern, vor denen er Respekt hatte. Zidane war dabei, Ronaldinho auch. Die Stars von Manchester United nicht. Von Roger Repplinger.
Die Jungs haben ihre Sachen im Obergeschoss, verteilt auf drei Räume. Im hinteren Michael Tarnats Trikotsammlung: 250, 300 Leibchen in Holzregalen. Gezählt hat er sie nie. Trikots der Teams, für die er gespielt hat: MSV Duisburg, Karlsruher SC, Bayern München, Nationalmannschaft, Manchester City, Hannover 96. Und Trikots der Gegner. Eine Laufbahn in Polyester.
Tarnat, inzwischen 37 Jahre alt, hat von Anfang an gesammelt. Bei den Bayern fing er dann richtig an, weil „man da plötzlich auf Spieler traf, die man nur vom Fernsehen kannte. In zehn, 15 Jahren werde ich in diesen Raum gehen und sagen: Da hast du mal gespielt, und dort auch, und da war dieses und dort jenes“, sagt Tarnat.
Niklas spielt eine große Rolle. Der Sohn, acht Jahre alt, spielt bei Hannover in der F-Jugend im zentralen Mittelfeld und schläft in Bayern-Bettwäsche. Als der Papa 2003/04 für Manchester City in der Premier League kickte, interessierte sich der Sohn für Torhüter. Darum hängt in Niklas Zimmer eine Leine unter der Decke. Parade der Handschuhe berühmter Keeper: David Seaman, Manchester City, mit Widmung: „To Niklas. Safe hands.“ David James, ebenfalls Manchester City, Tim Howard, vom Lokalrivalen Manchester United, Jens Lehmann, FC Arsenal, und Carlo Cudicini, FC Chelsea. Die Bundesligahandschuhe von Sepp Maier, Toni Schumacher, Oliver Reck, Tim Wiese, Timo Hildebrand, Oliver Kahn, Gabor Kiraly. Dazu an der Wand die Trikots von Shaun Wright-Phillips, Steve McManaman, Nicolas Anelka, die alle bei Manchester City unter Vertrag standen. In Niklas’ Zimmer sieht man die Tapete nicht. Bayern-Trikots sind die Tapete.
Im Zimmer des Vaters: Cafus Jersey von der WM 1998. Slaven Bili_, Kroatien, mit dem Tarnat beim Karlsruher SC zusammen gespielt hat, ebenfalls WM 1998, Viertelfinale. Das einzige gute Spiel der deutschen Mannschaft bei dieser WM. Ausgeschieden. Mazedonien, Barcelona, Real Madrid, Bordeaux, Dortmund, Bielefeld. Die WM-Trikots aller Spieler von 1998 mit Unterschriften. Ein Trikot von Pizarro aus Peru. Ein Beckham-Kindertrikot mit Unterschrift. Pavel Nedved von Juventus Turin und Ronaldinho vom FC Barcelona. In jedem Fach liegen 20 Hemden. Gewaschen, zusammengelegt. „Würde ich die ungewaschen hier reinlegen, bekäme ich Schwierigkeiten mit meiner Frau“, lacht Tarnat. Selbst Beckhams Schweiß stinkt. Ist ein Gast da und will ein Trikot, bekommt er es. Der Sohn zieht die Leibchen an, wenn er zum Kicken geht. Auch das echte von Zidane. Michael Tarnat hat ein entspanntes Verhältnis zu diesen Dingen.
Es gibt zehn, 15, an denen er hängt. Die verschenkt er nicht. Die zieht Niklas nicht an. „Da sagt meine Frau: .Lass’ das mal liegen’“, sagt Tarnat, „ich hab’ damit weniger ein Problem.“Dem Schwager, der auf Mönchengladbach steht, hat er das Hemd von Stefan Effenberg gegeben: „Der hatte Tränen in den Augen.“ Zum Geburtstag bekam er das Trikot von Oliver Neuville. „Es hat nicht jeder die Möglichkeit, sich ein Trikot von seinem Idol zu holen“, sagt Tarnat. Er hat sie, aber er hat auch keine Idole.
Im Raum zwischen dem Trikotzimmer und Niklas’ Bude liegt statt Teppich Kunstrasen, darauf sieben Bälle, zwei kleine Tore. Falls das Wetter so schlecht ist, dass die beiden nicht raus können. An der Wand das auf vier Meter Breite und zwei Meter Höhe vergrößerte Bild der Bayern-Meistermannschaft von 2002 bei der Siegerehrung. Ballack mit Rückennummer 13. Thorsten Fink mit Sohn, Tarnat mit dem vierjährigen Niklas auf den Schultern. Samuel Kuffour, Bastian Schweinsteiger, Jens Jeremies, der die Schale hält, Owen Hargreaves, Willy Sagnol. Das Bild hing im VIP-Raum des Olympiastadions. Als die Bayern auszogen fragte Tarnat, ob er es haben kann.
Beim Weltpokalfinale 2001 war er nicht dabei. Tarnat bat Ersatztorwart Bernd Dreher, ein Trikot mitzubringen. Das Champions League-Finale 2001 lief ohne ihn, damals gewann der FC Bayern nach 25 Jahren wieder mal den Europapokal. Alle haben sich zu sehr gefreut, um ans Tauschen zu denken.
„Erinnerung aus Stoff“: Tanne Tarnat hat mit vielen Gegenspielern das Trikot getauscht. Foto Kai Müllenhoff
Trikots mit Rückennummern gibt es seit August 1928. Die Idee hatte der englische Trainer Herbert Chapman. Chapmans FC Arsenal kam im Hillsborough-Stadium in Sheffield erstmals mit Rückennummern auf den Trikots aus der Kabine. Der Coach erhoffte eine Erhöhung des Spieltempos, da sich seine Jungs dank der Nummern nun besser erkannten. Die Gentlemen der englischen Profiliga waren empört und verboten den neumodischen Kram. 1933 führte die Football Association Rückennummern fürs Pokalfinale FC Everton gegen Manchester City ein. Das Einzige, in dem Dixie Dean je stand. Einer der berühmtesten Mittelstürmer Englands war die erste Nummer neun der Geschichte. Everton gewann 3:0. Die Nummern wurden eingeführt, um den Kommentatoren von BBC Radio die Arbeit zu erleichtern. Außerdem steigerten sie den Verkauf der Stadionhefte, weil da drin stand, wer welches Trikot trug. Namen auf den Trikots, ein Beitrag zur Heroisierung der Spieler und ein gewinnträchtiges Instrument des Merchandisings, gibt es in der Bundesliga seit der Saison 1995/96. Seit wann Trikots getauscht werden, wissen auch die Weisen nicht. Wahrscheinlich schon immer.
Michael Tarnat fragt entweder den Gegenspieler oder wird von ihm gefragt. Als Tarnat mit Manchester City das Derby gegen United mit 4:1 gewann, hatte Cristiano Ronaldo sein Trikot schon einem anderen City-Spieler versprochen. „Sorry“, sagt Ronaldo. Holte sich Tarnat halt ein anderes. In der Halbzeit hat er sich noch nie um ein Trikot bemüht, weil das kein Tauschen ist, sondern eine untertänige Bitte. Dabei geht es doch genau darum, dass Gleiche tauschen und man sich die Hand schüttelt. Das Spiel ist nämlich nicht zu Ende, wenn der Schiedsrichter abpfeift, sondern wenn sich die Spieler die Hand schütteln, alles begraben, was im Spiel war, und Trikots tauschen.
Oft ist es Zufall: „Es wird mit dem getauscht, der einem beim Schlusspfiff gerade entgegenkommt“, sagt Tarnat. Zwei- oder dreimal wollte Niklas unbedingt ein bestimmtes Trikot, da musste sich der Papa anstrengen. In einigen Teams gibt es Favoriten, deren Trikots alle möchten. Das kann schwierig werden. Bei Michael Tarnat hält sich fragen und gefragt werden die Waage. Daran, wie oft man von gegnerischen Spielern nach dem Trikot gefragt wird, merkt man, welches Ansehen man in Kollegenkreisen genießt.
Tarnat tauscht nicht mit jedem. Und nicht jeder tauscht mit ihm. Da gab es in einem Europapokalspiel einen spanischen Gegenspieler, der war schon im Spiel stinksauer. „Der schimpfte, ich hab ihn zwar nicht verstanden, aber ich konnte mir denken, was gemeint war“, sagt Tarnat. Den hat er gar nicht erst gefragt. Wenn ein Gegenspieler unfair spielt, oder sich so benimmt, dass man den Respekt vor ihm verliert, tauscht man nicht. „Nö, möchte ich nicht“, sagt Tarnat dann. Oder, wenn es ganz hart war: „Mit dir heute nicht.“
„Durchs Tauschen zollt man dem Gegner Respekt. Man drückt aus: Gute Leistung von dir und fair benommen“, erklärt Tarnat. Ist es anders, kommt der Handel nicht zustande: „Meistens haben beide ein Gefühl, ob man tauscht oder nicht.“ Da war zum Beispiel das Spiel gegen Real Madrid, Champions League. Bayern gewann 1:0 in Madrid und kam eine Runde weiter. „Die waren besser, aber Olli hat alles gehalten, und kurz vor Schluss ein Schuss von Elber, Canizares lässt ihn rein. Die waren so enttäuscht, die haben nicht getauscht“, erinnert sich Tarnat. Kann er verstehen.
Darum hat Tarnat auch kein Trikot vom Endspiel 1999 gegen Manchester United: „Da hatten wir schon den Henkel in der Hand. Was dann kam war keine schöne Erfahrung. Da lagen wir im Gras und keiner hat an Trikottausch gedacht.“ Von diesen Spielen braucht Tarnat kein Trikot. Da ist die Erinnerung aus einem anderen Stoff.
Zurück |