POST AUS AFRIKA
Die Party der Piraten
Es ist das wichtigste Spiel im südafrikanischen Fußball: Das Derby Kaiser Chiefs gegen Orlando Pirates sehen 92.000 Zuschauer. RUND-Autor Christian Gülisch berichtet aus Johannesburg.
Foto Christian Gülisch
Plötzlich steht er in der Menge. Totenköpfe zieren sein Gewand, in der Hand eine Pistole. Er hält sie in die Luft, seine Augen in Ekstase. Nur Minuten später steht ein anderer Mann auf, sein Oberkörper nur mit einer gelben Flagge verziert, in der Hand eine AK-47. Menschen jubeln ihm zu, reißen ihm das Gewehr aus der Hand und schießen damit in die Menge. Doch: Es ist nur eine aus Draht zusammen geflochtene Attrappe, genauso wie die Pistole. Wir sind im Stadion, gelb und schwarz stehen sich gegenüber: Kaiser Chiefs gegen Orlando Pirates.
Bereits auf der Fahrt zum Spiel wird klar: Dies ist kein normales Derby. Vor dem FNB Stadion in Johannesburg, von Weltmeisterschaft noch als Soccer City bekannt, stauen sich die Autokolonnen. Aus einer zweispurigen Straße wird ein vierspuriger Highway, die gegenüberliegende Fahrbahn wird einfach mit in Beschlag genommen: Wer um diese Zeit in die falsche Richtung will, hat Pech gehabt. Der kilometerlange Weg zum Stadion wird zu einer einzigen Party. Im Schritttempo wälzen sich die Autohorden über den Asphalt. Die Hälfte davon sind Minibusse, die charakteristischen südafrikanischen Taxis, mit Soundsystemen ausgestattet, deren hämmernder Bass sogar die zahlreichen Vuvuzelas übertönt. Alle zehn Meter kommt der Verkehr zum Stehen, die Türen der Minibussi gehen auf, die Insassen springen auf die Straße, tanzen zur Musik des jeweiligen Taxis und steigen wieder ein. In fast jedem Auto sitzen Anhänger von beiden Mannschaften, versuchen sich aus dem Auto gelehnt mit dem Brüllen von Sprechchören zu übertreffen. Die Buccaneers, so der Spitzname der Orlando Pirates, verschränken dabei ihre Arme vor dem Kopf, das Zeichen des Vereinsemblems, auf dem ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen zu sehen ist.
Die Geschichte der beiden realisierenden Vereine ist so besonders, wie das Derby selber. Orlando ist ein Teil von Soweto, bis zum Ende der südafrikanischen Apartheid ein Township der armen schwarzen Bevölkerung. Hier wurde der Fußballverein Orlando Pirates 1937 gegründet, benannt nach den Piraten in dem Hollywood Film 'Der Herr der sieben Meere'. Im Jahr 1960, bereits im zarten Alter von 16 Jahren betritt der junge Kaizer Motaung die Bühne des Profifußballs im Dress der Orlando Pirates. Dort spielt der vielversprechende Stürmer acht erfolgreiche Jahre bevor er 1968 von der US-Amerikanischen Profiliga angeworben wird und zu den Atlanta Chiefs wechselt. Gleich im ersten Jahr wird er dort Toptorschütze der Liga. Trotzdem kehrt er 1970 wieder zurück nach Johannesburg, um sein eigenes Team zu Gründen: Die Kaizer Chiefs, benannt nach ihm selber und seinem ehemaligen Verein in der nordamerikanischen Liga. Bis heute ist Kaizer Motaung der Präsident der Kaizer Chiefs. Der Verein entwickelte sich rasch zu einer Erfolgsstory und überholte bald die Orlando Pirates beim Sammeln von Trophäen und wurde zum beliebtesten Fußball-Team in Südafrika. Bis zu 15 Millionen Fans sollen die Kaizer Chiefs unterstützen. Bei jedem Auswärtsspiel sind die Anhänger der 'Amakhosi', so der Name der Chiefs in Zulu, den Fans des Heimteams zahlenmäßig bei weitem überlegen.
So auch an diesem 26. Februar: Das FNB-Stadion, in dem auch das Finale der Weltmeisterschaft 2010 ausgetragen wurde, ist bis zum Bersten gefüllt - 92500 Zuschauer haben den Weg zum Spiel gefunden, zwei Drittel davon sind in Gelb gekleidet, die Farben der Chiefs.
Die Atmosphäre im Stadion ist beeindruckend: Anders als bei der Weltmeisterschaft, die Vuvuzelas nur als monotones Bienensummen kannte, verwandeln die Anhänger der jeweiligen Teams die Plastiktröten in rhythmische Blasinstrumente oder benutzen sie für Choreographien. Man kann die Spannung in der Luft förmlich fühlen, denn dieses Derby ist anderes als die Duelle der letzten Jahre. An diesem Samstagnachmittag geht es nicht nur um die Ehre oder die Vorherrschaft in Soweto, es ist ein Spiel, dass den Verlauf der Meisterschaft entscheidend beeinflussen kann. Anders als in den fünf Jahren zuvor wird der Titel in dieser Saison wohl nicht nach Pretoria zu den Supersports United oder Mamelodi Sundowns gehen. An der Spitze der Tabelle stehen die Orlando Pirates mit 45 Punkten gefolgt von den Kaizer Chiefs und Ajax Kaptstadt (beide 43 Punkte). Es ist der 23. von 30 Spieltagen, am Freitag hatte Ajax die Free State Stars bereits mit 1:0 besiegt und war nun über Nacht an die Tabellenspitze geklettert. Wer auch immer dieses Derby gewinnen würde, könnte als Tabellenführer in den Saisonschlussspurt starten.
Dementsprechend engagiert starten die Spieler in die erste Halbzeit, wobei man den Orlando Pirates die Nervosität deutlich anmerken kann. Das Team der ersten Viertelstunde, sind die Kaizer Chiefs und sie nutzen ihre Überlegenheit bereits in der 12. Minute, als Rechtsaußen Jimmy Tau bis zur Grundlinien vorstößt und in den 5 Meter Raum flankt. Die Pirates-Innenverteidigung wirkt orientierungslos, verschätzt sich und Nutznießer ist niemand geringeres als Kaizer Motaung Junior, der den Ball aus vier Metern in das Tor köpft.
Das Stadion explodiert, überall springen Menschen in gelben Trikots auf, jubeln ausgelassen, zwischen ihnen vereinzelt Anhänger der Pirates, die kopfschüttelnd auf das Geschehen blicken: Ausgerechnet Kaizer Motaung Junior - Sohn des verhassten Chiefs-Gründers und Präsidenten. Junior hat nicht gerade den Ruf ein herausragender Fußballer zu sein, aber ausgerechnet er trifft in diesem so wichtigen Derby. Neben mir stehen zwei Pirates-Fans, sie schimpfen laut auf den Torwart, der wohl zu zögerlich agierte, Angst kommt auf, das letzte Derby im November haben die Buccaneers 3:1 verloren. Doch die Chiefs lassen das Spiel nach ihrem Führungstor merklich aus ihren Händen gleiten, die Pirates haben zwei große Chancen zum Ausgleich, doch sie verfehlen das Tor knapp. Bereits nach einer halben Stunde wird das Spiel allerdings zum ersten Mal unterbrochen, bereits vor dem Spiel glich der Rasen mehr einem Acker als einem Spielfeld: Vor zwei Wochen spielte U2 ein Konzert ihrer Welttournee in diesem Stadion, die Grünfläche hatte sich davon nicht erholen können. Während die Spieler sich an der Seitenlinie mit Getränken versorgen, sprinten zehn Arbeiter mit Heugabeln bewaffnet auf das Spielfeld und versuchen die gröbsten Löcher zu stopfen.
In der zweiten Halbzeit kommen die Pirates gestärkt aus der Kabine und übernehmen sogleich die Kontrolle über das Mittelfeld und das Spiel. Zudem entblößen die Pirates immer mehr Löcher in der Abwehr der Chiefs. Besonders Itumeleng Khune, Südafrikas Nationaltorwart bei der WM, zeigt immer wieder Schwächen in der Straftraumbeherrschung, doch die Pirates können kein Kapital daraus schlagen. Bis kurz vor Schluss: Wir sind in der 93. Minute, der Schiedsrichter hat die Pfeife schon im Mund als Ndumiso Mabena den Ball von Rechtsaußen in den Strafraum flankt. Khune verschätzt sich und Pirates-Stürmer Thulasizwe Moses Mbuyane, Minuten vorher noch im Abseits, erzielt per Kopf den 1:1 Endstand. Diesmal jubelt nur ein Drittel des Stadiums, dafür umso ausgelassener. Nicht wenige Anhänger der Chiefs haben Tränen in den Augen, doch der Ausgleich war mehr als verdient. Später wird der holländische Pirates-Trainer Ruud Krol von einem "big win" sprechen. Die Buccaneers haben zwar nur einen Punkt aus dem Spiel mitgenommen, doch sie haben auch ihre Tabellenführung verteidigt.
Auf dem Weg nach Hause starren die meisten Gelben apathisch auf den Boden, schütteln ihren Kopf und sehen den Pirates-Fans zu, wie sie ausgelassen feiern. Das größte und bedeutendste Spiel im südafrikanischen Fußball, es verläuft vollkommen friedlich.
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