EM 2012

„Transparenz? Haben wir hier nicht!“

In fünf Jahren wird die EM in Polen und der Ukraine angepfiffen, einer der Spielorte könnte Lemberg sein. Auch in der West-Ukraine hoffen Oligarchen auf das große Geld, das auch nötig sein wird, um die marode Infrastruktur zu verbessern. Von Olaf Sundermeyer.


Das modernste Stadion der Ukraine: Die Arena in Donezk Foto Özgür Albayrak



Wenn Pjotr Deminski am Kopfende seines wuchtigen fünf Meter langen Tisches sitzt, dessen grüne Marmorplatte die goldfarbene Applikation eines Fußballfeldes ziert, kommt er auf allerlei Gedanken: Dem wohlhabendsten Mann der gesamten West-Ukraine fällt dann zum Beispiel ein, dass er mit seinem Fußballclub „Karpaty Lemberg“ lieber in der polnischen Ekstraklasa als in der „Hohen Liga“ der Ukraine spielen würde: Dort nämlich hat die Mannschaft des Oligarchen keine Chance gegen Dynamo Kiew oder Schachtjor Donezk, wo Männer das Sagen haben, die noch mehr Geld in den Fußball stecken können als der ehemalige Bergmann Deminski. In Polen dagegen würde sich Karpaty höchst wahrscheinlich für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren – „und dort lässt sich Geld verdienen“. Nur leider lassen die Uefa-Statuten das nicht zu, „noch nicht“, stellt Deminski fest.

Überhaupt: Beim Stichwort Europa ist der Mann mit der sonoren Stimme schnell bei seinem Vorbild. Das ist nämlich Silvio Berlusconi, Ex-Staatspräsident Italiens und Klubchef des AC Mailand. Der Name fällt ein paar Mal im Gespräch mit dem Erdöl-, Kohle- und Banken-Oligarchen, über den in der Stadt blutige Gerüchte darüber kursieren, wie er es zu Reichtum gebracht hat.

Ohne diesen Typus des Regionalfürsten ist die Euro 2012 in der Ukraine nicht vorstellbar, schlicht nicht machbar. Bei der Uefa ist das kein Geheimnis. Nur diese Leute haben das Geld, um die nötigen Straßen, Hotels und Flughäfen zu bauen. In den vier mutmaßlichen Spielorten Lemberg, Kiew, Donezk und Dnipropetrovsk hofft man bereits auf die Anbindung an das europäische Netz der Billigflieger. Der Kiewer Vertreter dieser Kategorie, Grigorij Surkis, wird in der Ukraine bereits als „Vater des Erfolges“ der Gastgeberschaft gefeiert. Mit dem höchsten Orden des jungen Staates geschmückt, lächelt er vom Titel der ukrainischen Sportzeitung Komanda (Mannschaft) ebenso, wie von der polnischen Tylko pilka (Nur der Ball).

Surkis ist Exekutivmitglied der Uefa, Vorsitzender des ukrainischen Fußballverbandes und inzwischen unumstrittener Chef des ukrainischen EM-Organisationskomitees. Je näher die EM rückt, desto mehr wächst Surkis zur ernst zu nehmenden politischen Größe. Wie die meisten Oligarchen im Land gehört er zum „blauen“ Lager der „Partei der Regionen“ von Premierminister Viktor Janukowitsch, dem Gegenspieler des europafreundlichen „orangenen“ Präsidenten Viktor Juschtschenko.

Auch Pjotr Deminski saß eine Zeit lang für die „Partei der Regionen“ im Parlament in Kiew: „Natürlich haben unsere Politiker in unserem Land erkannt, dass Fußball und Politik zusammengehören, weil der Fußball eine Massenbewegung ist.“ Mit grober Sorgfalt entblättert Deminski einen umständlichen Bauplan mit der Skizze eines Stadions: dem neuen Lemberger Fußballpark Ukraina. Uefa-tauglich ist es noch lange nicht. Noch streitet man in der Stadt über die zwei Alternativen: Ausbau oder Neubau eines anderen Stadions. Deminski favorisiert den Ausbau, den er selbst finanzieren will, zumal sein Club das Stadion samt umliegender Grundstücke gerade erst von der Stadt gekauft hat. „Sehen Sie, wir haben hier mindestens drei Vorrundenspiele. Das sind 36.000 Zuschauer mal 30 bis 50 Euro Eintritt mal drei; da kommt schon einiges zusammen.“

Bislang allerdings gilt Lemberg mit seinem maroden Charme des 19. Jahrhunderts als die Stadt mit den schlechtesten Voraussetzungen unter den vier Spielorten. Im zentralen Hotel George etwa, das mit seiner pittoresken K.u.K.-Fassade und einer imposanten Eingangshalle protzt, muss der Gast – bei Bedarf – die Etagentoilette aufsuchen.

Eine Stunde auf holprigen Straßen entfernt liegt die Stadt Tarnopol. Hier macht sich der „orangene“ Bürgermeister und Businessman Roman Zastavy Hoffnung, dass seine Stadt wenigstens als Mannschaftsquartier berücksichtigt wird: „Am liebsten hätten wir die Franzosen hier.“ Dazu müsste sich aber wohl die Kulisse des heimischen Drittligisten ändern. Dem französischen Stürmer Thierry Henry zumindest, der sich weltweit gegen Rassismus im Fußball einsetzt, hätte folgende Szene beim Spiel gegen Brovary bestimmt nicht gefallen: Als ein Spieler der Auswärtsmannschaft beim Stand von 1:0 die rote Karte sieht, begrüßen das 40 junge Männer mit nacktem Oberkörper (dazu zwei angezogenen Frauen) mit einem strammen Hitlergruß: Über zehn Sekunden lang recken sie den rechten Arm in den blauen galizischen Himmel, unter dem deutsche Soldaten einst widerwärtig gewütet haben. Schon in der ersten Halbzeit wehen vereinzelt die deutschen Rufe „Heil Hitler“ zur Haupttribüne rüber, ohne dass jemand davon Notiz nimmt. Die halbnackten Jungs des Fanclubs West wild Firm gelten in der Stadt als rechte Schläger: „Am liebsten gehen sie auf farbige Studenten los, vor allem aus Asien studieren viele an unseren Universitäten“, erzählt der Tribünennachbar hinter vorgehaltener Hand.

Ein anderer Missstand in der Ukraine ist die Korruption, die sämtliche Lebensbereiche umfasst. So wundern Pjotr Deminski auch kritische Nachfragen nicht: „Ja, ja, ich weiß, dass es bei Ihnen immer viel um Transparenz geht. Wir haben diese Tradition nicht, und als Investor muss man sich auch davor schützen. Käufer des gesamten Areals ist der private Club Karpaty – und dessen Finanzbericht wird schließlich einmal im Jahr in der Wochenzeitung Karpaty veröffentlicht.“

Frage: „Herr Deminski, besitzen Sie eigentlich auch eine Zeitung?“ Antwort: „Ja.“ Und welchen Titel trägt sie? „Karpaty!“

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