KOLUMNE
„Ich war nicht das Maskottchen“
Unser Kolumnist Oliver Fritsch schreibt jede Woche bei www.rund-magazin.com. Dieses Mal macht sich der Macher des Onlinedienstes www.indirekter-freistoss.de seine Gedanken über das Finale der Bundesliga.

Die Frage aller Fragen: Wurde Stuttgart nur Meister, weil die Bayern mit Trainer Ottmar Hitzfeld schwächelten? Foto Urban Zintel
Randnotizen am letzten Spieltag: Mehmet Scholl ist von seinem Klub mit Blumen und Tränen verabschiedet worden, auch er blickte mit einer humorvollen, gelassenen Rührung auf 15 Jahre Bayern München zurück. Doch Zwischentöne seinerseits waren nicht zu überhören. In einem famosen Interview mit der „SZ“ rückte er die angebliche Nähe zu seinem Manager in ein kühleres Licht: „Viele meinen, ich hätte eine Freundschaft mit Uli Hoeneß, aber das ist es keinesfalls. Freundschaft bedeutet Gleichberechtigung, und ich bin mir nicht sicher, ob er gemerkt hat, dass ich auf die 37 zugehe. Wir haben immer schwierige Phasen miteinander gehabt, aber die Basis stimmte.“ Im Fernsehen betonte Scholl nach seinem Spiel, in dem er nochmals ein echtes Scholl-Tor schoss: „Ich bin und war nicht das Maskottchen.“ Ist das die Unzufriedenheit eines Vielgelobten, aber Vernachlässigten, der in der letzten Saison dem kreativen Mangel der Bayern-Elf zum Trotz kaum zum Einsatz kam?
Den ehemaligen Mitstreiten und Alpha-Tieren Effenberg und Matthäus, Repräsentanten des bayerischen Leitbilds, zollt er zwar Respekt, der „SZ“ sagt er aber auch: „Ich hatte immer eine andere Meinung zur Außendarstellung des FC Bayern als meine Kapitäne. Ich habe keine Ahnung, ob mein Modell durchsetzbar wäre, aber es hieße: Lasst doch dieses FC Großkotz, das geht den Leuten doch nur noch auf die Nerven!“ Gott sei Dank gab es in München nicht mehr Scholls, sonst hätte man den Klub noch mögen müssen. Als im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion Tore für den FC Bayern gemeldet wurden, buhten wie üblich alle (als hätten die VfBler an diesem Tag nicht ihre neue Souveränität durch Ignoranz untermauern können); als der Torschütze Scholl angezeigt wurde, gab es Applaus.
Nach dem Schlusspfiff dröhnten U2, Guns „n’ Roses, und der unvermeidliche Freddie Mercury in einer Lautstärke aus den Boxen, dass man sich nur wundern kann, dass Jugendschützer und Gesundheitspolitiker noch nicht vor Hörschäden durch Stadionbesuche warnen; für Gesänge und Sprechchöre blieb wenig Raum. Ähnlich war es nach der Niederlage der deutschen Elf gegen Italien im Juli 2006, als sie in Dortmund „You’ll never walk alone“ in einer unsäglichen Version der Hermes House Band (oder einem Äquivalent) spielten, statt die Fans auf ihre Weise reagieren zu lassen. Sie zum Beispiel selber singen zu lassen.
In einer feinsinnigen Analyse vertritt Holger Gertz in der „SZ“-Wochenendbeilage die Auffassung, dass sich Fans im Internet die Macht und die Stimme zurückerobert hätten, die ihnen im Stadion im Zuge der „Eventisierung“ des Fußballs genommen worden seien. Miroslav Kloses Imageverlust in Bremen durch seinen Seitensprung mit den Bayern sei nicht zuletzt durch die Fan-Beiträge in Online-Foren beschleunigt worden. Gertz schreibt: „Wenn ein Spieler des eigenen Teams, Miro&lav genannt wird, ist das wie ein Urteil, das vernichtender klingt als die wechselnden Kosenamen der Boulevardblätter, die ihn Viruslav nennen, wenn er krank ist. Oder Miroslove, wenn er mit rätselhaften Handzeichen seine Familie grüßt. Oder Klößchen, wenn er schlecht spielt.“ Dass Journalisten dem Fan-Internet mehr Bedeutung zukommen ließen, begründet er mit der mangelhaften Pressearbeit der Vereine: „So ein Forum ist ergiebiger als die in Ritualen erstarrte klassische Pressekonferenz. Ein Forum ist die Pressekonferenz von unten.“
Die Bayern rechnen noch dieses Jahr mit Klose, wie Aufsichtsrat Helmut Markwort am DSF-Stammtisch verriet, es sei denn, „Werder Bremen verhält sich weiterhin trotzig“ – als redete er über ein Kind. Eine im Unterton despektierliche Gratulation richteten die Diskutanten im DSF, aber nicht nur dort, an den VfB durch die anmaßende Behauptung, es sei „noch nie so leicht gewesen, Meister zu werden“, was ja nur heißen kann, dass erstens die Qualität der Liga schlecht sei und es sich zweitens folglich um einen schwachen Sieger handeln müsse. Doch woran sind diese Urteile festzumachen? An der erreichten Punktzahl? Das wäre ein schwaches Indiz, zumal man eigentlich die Ausbeute des Zweiten (und Dritten) heranziehen müsste, die es zu übertrumpfen gilt. Und da liegen Schalke und Bremen mit 68 und 66 Punkten über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Sicher, wenn die Bayern ein schwaches Jahr spielen (und das ist wohl damit gemeint), tut sich anderen die seltene Chance auf. Doch wenn die Bayern Erster werden, nimmt man die mangelnde Konkurrenzfähigkeit ihrer Rivalen als Beweis für die Schwäche der Liga. Ja, was denn jetzt? Kommt man unabhängig vom Saisonausgang immer zum selben Schluss?
Was lernen wir? Stuttgart ist Meister, Schalke und Bremen Zweiter und Dritter. Doch das Maß vieler Dinge bleibt der FC Bayern, der im nächsten Jahr ohnehin nur noch aus Lichtjahren Entfernung zu betrachten sein wird. Vielleicht kann Uli Hoeneß den Konkurrenten ja sein Fernglas leihen, das er dieses Jahr benötigt hat, um das Titelrennen zu beobachten.
Link zum Scholl-Interview (SZ)http://www.sueddeutsche.de/sport/bundesliga/artikel/848/114734/
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