KOLUMNE
Skepsis gegen den „Piano-Man“
Unser Kolumnist Oliver Fritsch schreibt bei www.rund-magazin.com über das aktuelle Geschehen auf und neben dem Platz. Dieses Mal macht sich der Macher des Onlinedienstes www.indirekter-freistoss.de seine Gedanken über die häufig ungerechte Kritik an den Schiedsichtern.

RUND-online-Kolumnist: Oliver Fritsch
Deutsche Schiedsrichter erlangen selten höchstes internationales Niveau, die Diskussionen über sie allerdings auch nicht. Michael Weiner hat im DFB-Pokalendspiel die zwei hässlichen Stuttgarter Szenen beide falsch bewertet: Viel zu gnädig bestrafte er Fernando Meira für dessen Tritt gegen Marek Mintal, der mir als VfB-Anhänger die Lust am Endspiel genommen hat. Ich möchte keine Mannschaft unterstützen, die auf diese Weise ein Spiel gewinnt, und ich wollte nicht, dass eben dieser Meira den Pokal überreicht bekommt. Vielleicht bin ich einfach zu wenig Fan und bekomme diesen Status jetzt aberkannt. Und bei Cacaus Schlag gegen Andreas Wolf ließ Weiner zunächst weiterspielen und war bei der Bewertung der Szene auf die Hilfe seines Assistenten angewiesen. Allerdings ist das, was ihm viele Fans im Internet vorhalten, Unsinn: dass er das Spiel nicht im Griff gehabt habe, was so viel heißt: Er trage eine Mitschuld an den Entgleisungen. An diesen schwarzen Stuttgarter Minuten waren nur die Stuttgarter selbst schuld – und sonst keiner.
Den Freistoß, den Herbert Fandel im Champions-League-Finale Kaká aus Mailand zugestand und aus dem das 1:0 folgte, hätte auch nicht jeder gepfiffen. Manche Engländer sahen sich in ihrer Skepsis gegenüber dem „Piano Man“ und seiner Nominierung bestätigt. Man muss es nicht als Boulevard-Stil oder Paranoia brandmarken, wenn man mal darüber nachdenkt, ob Fandels Art, Spiele zu leiten, gewissen Teams eher entgegenkommt. Zufall, dass der AC Mailand alle Spiele unter ihm gewonnen hat und Liverpool noch keines?
Bei der Fifa sind deutsche Schiedsrichter übrigens weniger gut gelitten als bei der Uefa. Markus Merk, Leiter des EM-Finals 2004, wurde bei der letzten WM nach zwei schwachen Leistungen in der Vorrunde für die K.o.-Phase freigestellt. Darüber war er so erbost und enttäuscht, dass er erst nach einigem Zögern seine Karriere fortsetzte. Schalke – nein, liebe Schalker, das folgende bitte nicht als Wundenbohren missverstehen – Schalke also, entnehmen wir der Presse, verzeiht nun Merk. Wie schön! Merk hat nämlich kein Schalke-Spiel mehr gepfiffen, seitdem er Bayern München am 19. Mai 2001 in Hamburg in der Nachspielzeit einen indirekten Freistoß servierte – und die Schalker daraufhin vier Minuten und, na, Sie wissen schon. Für einen Schiedsrichter, dem das Etikett „Weltschiedsrichter des Jahres“ (2004 und 2005) am Hals baumelt, ein nicht unerheblicher Makel, wenn er von den Spielen einer Spitzenmannschaft seines Landes ausgenommen ist. Zu fragen ist auch, ob dieser Titel noch ernst zu nehmen ist. Der Publizist Erik Eggers hat jüngst die „International Federation of Football History & Statistics“, die diese und andere Wahlen organisiert, als Ein-Mann-Betrieb eines Sonderlings entlarvt. Die internationale Vernetzung, auf die dieser die Wahlen fußt, scheint ein Potemkinsches Dorf zu sein.
Zurück zu den Schalkern. Ihr Vorwurf war immer schon sehr emotional und wirkte dadurch etwas hilflos: Angeblich habe Merk den Freistoß in der 94. Minute verhängt, obwohl nur drei Minuten Nachspielzeit angezeigt wurden. Das ist falsch, es geschah in der 93.; es hat nur so lange gedauert, bis der Freistoß ausgeführt wurde. Doch hätte es überhaupt einer Nachspielzeit bedurft? In der 89. Minute, beim Stand von 0:0, zeigt der Schiedsrichterassistent drei Minuten Nachspielzeit an. Unstrittig gilt als Ursache dafür das zeitverzögernde Spiel der Bayern, den Nutznießern des Spielstands. Nun fällt in der 90. Minute das 1:0 gegen sie. Könnte man nun nicht die Nachspielzeit als hinfällig beachten? Warum soll ausgerechnet derjenige von den Folgen eines Vergehens profitieren, das er begangen hat? Wer das bejaht, der gesteht dem Mörder seiner Großmutter ein Recht auf die Erbschaft zu. Es wäre also durchaus mit intuitivem Rechtsempfinden (und auch den Regeln) in Einklang zu bringen gewesen, wenn Merk nach 90 Minuten abgepfiffen hätte und die Zeitschinder bestraft.
Auch hätten die Schalker die Freistoßentscheidung selbst bemäkeln können, denn seit Einführung der Regel 1992 ist der „Rückpass“ auf den Torwart in der Bundesliga, von der Etablierungsphase vielleicht abzusehen, höchstens fünf Mal, und dann nur in viel deutlicheren Situationen, geahndet worden. Zuletzt (und nach meiner Beobachtung das erste Mal nach 2001) übrigens 2005 gegen Rost im Schalker Tor, bevor der Kölner Podolski, den Ball unter die Latte wuchtete. In der Saison 2001/02 hat Merk eine ähnliche Situation in Mönchengladbach durchgehen lassen.
An diesem Beispiel hätte man also proseminarhaft rechtsphilosophische Erörterungen und Empirie betreiben können, doch die Schalker Fans beschränkten sich auf ihren eigenen Argumentationsstil: „Wir gehen nie mehr zum Zahnarzt!“, singen sie noch heute. „Wir gehen nie mehr zum Zahnarzt!“
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Skepsis gegen den „Piano-Man“
Unser Kolumnist Oliver Fritsch schreibt bei www.rund-magazin.com über das aktuelle Geschehen auf und neben dem Platz. Dieses Mal macht sich der Macher des Onlinedienstes www.indirekter-freistoss.de seine Gedanken über die häufig ungerechte Kritik an den Schiedsichtern.

RUND-online-Kolumnist: Oliver Fritsch
Deutsche Schiedsrichter erlangen selten höchstes internationales Niveau, die Diskussionen über sie allerdings auch nicht. Michael Weiner hat im DFB-Pokalendspiel die zwei hässlichen Stuttgarter Szenen beide falsch bewertet: Viel zu gnädig bestrafte er Fernando Meira für dessen Tritt gegen Marek Mintal, der mir als VfB-Anhänger die Lust am Endspiel genommen hat. Ich möchte keine Mannschaft unterstützen, die auf diese Weise ein Spiel gewinnt, und ich wollte nicht, dass eben dieser Meira den Pokal überreicht bekommt. Vielleicht bin ich einfach zu wenig Fan und bekomme diesen Status jetzt aberkannt. Und bei Cacaus Schlag gegen Andreas Wolf ließ Weiner zunächst weiterspielen und war bei der Bewertung der Szene auf die Hilfe seines Assistenten angewiesen. Allerdings ist das, was ihm viele Fans im Internet vorhalten, Unsinn: dass er das Spiel nicht im Griff gehabt habe, was so viel heißt: Er trage eine Mitschuld an den Entgleisungen. An diesen schwarzen Stuttgarter Minuten waren nur die Stuttgarter selbst schuld – und sonst keiner.
Den Freistoß, den Herbert Fandel im Champions-League-Finale Kaká aus Mailand zugestand und aus dem das 1:0 folgte, hätte auch nicht jeder gepfiffen. Manche Engländer sahen sich in ihrer Skepsis gegenüber dem „Piano Man“ und seiner Nominierung bestätigt. Man muss es nicht als Boulevard-Stil oder Paranoia brandmarken, wenn man mal darüber nachdenkt, ob Fandels Art, Spiele zu leiten, gewissen Teams eher entgegenkommt. Zufall, dass der AC Mailand alle Spiele unter ihm gewonnen hat und Liverpool noch keines?
Bei der Fifa sind deutsche Schiedsrichter übrigens weniger gut gelitten als bei der Uefa. Markus Merk, Leiter des EM-Finals 2004, wurde bei der letzten WM nach zwei schwachen Leistungen in der Vorrunde für die K.o.-Phase freigestellt. Darüber war er so erbost und enttäuscht, dass er erst nach einigem Zögern seine Karriere fortsetzte. Schalke – nein, liebe Schalker, das folgende bitte nicht als Wundenbohren missverstehen – Schalke also, entnehmen wir der Presse, verzeiht nun Merk. Wie schön! Merk hat nämlich kein Schalke-Spiel mehr gepfiffen, seitdem er Bayern München am 19. Mai 2001 in Hamburg in der Nachspielzeit einen indirekten Freistoß servierte – und die Schalker daraufhin vier Minuten und, na, Sie wissen schon. Für einen Schiedsrichter, dem das Etikett „Weltschiedsrichter des Jahres“ (2004 und 2005) am Hals baumelt, ein nicht unerheblicher Makel, wenn er von den Spielen einer Spitzenmannschaft seines Landes ausgenommen ist. Zu fragen ist auch, ob dieser Titel noch ernst zu nehmen ist. Der Publizist Erik Eggers hat jüngst die „International Federation of Football History & Statistics“, die diese und andere Wahlen organisiert, als Ein-Mann-Betrieb eines Sonderlings entlarvt. Die internationale Vernetzung, auf die dieser die Wahlen fußt, scheint ein Potemkinsches Dorf zu sein.
Zurück zu den Schalkern. Ihr Vorwurf war immer schon sehr emotional und wirkte dadurch etwas hilflos: Angeblich habe Merk den Freistoß in der 94. Minute verhängt, obwohl nur drei Minuten Nachspielzeit angezeigt wurden. Das ist falsch, es geschah in der 93.; es hat nur so lange gedauert, bis der Freistoß ausgeführt wurde. Doch hätte es überhaupt einer Nachspielzeit bedurft? In der 89. Minute, beim Stand von 0:0, zeigt der Schiedsrichterassistent drei Minuten Nachspielzeit an. Unstrittig gilt als Ursache dafür das zeitverzögernde Spiel der Bayern, den Nutznießern des Spielstands. Nun fällt in der 90. Minute das 1:0 gegen sie. Könnte man nun nicht die Nachspielzeit als hinfällig beachten? Warum soll ausgerechnet derjenige von den Folgen eines Vergehens profitieren, das er begangen hat? Wer das bejaht, der gesteht dem Mörder seiner Großmutter ein Recht auf die Erbschaft zu. Es wäre also durchaus mit intuitivem Rechtsempfinden (und auch den Regeln) in Einklang zu bringen gewesen, wenn Merk nach 90 Minuten abgepfiffen hätte und die Zeitschinder bestraft.
Auch hätten die Schalker die Freistoßentscheidung selbst bemäkeln können, denn seit Einführung der Regel 1992 ist der „Rückpass“ auf den Torwart in der Bundesliga, von der Etablierungsphase vielleicht abzusehen, höchstens fünf Mal, und dann nur in viel deutlicheren Situationen, geahndet worden. Zuletzt (und nach meiner Beobachtung das erste Mal nach 2001) übrigens 2005 gegen Rost im Schalker Tor, bevor der Kölner Podolski, den Ball unter die Latte wuchtete. In der Saison 2001/02 hat Merk eine ähnliche Situation in Mönchengladbach durchgehen lassen.
An diesem Beispiel hätte man also proseminarhaft rechtsphilosophische Erörterungen und Empirie betreiben können, doch die Schalker Fans beschränkten sich auf ihren eigenen Argumentationsstil: „Wir gehen nie mehr zum Zahnarzt!“, singen sie noch heute. „Wir gehen nie mehr zum Zahnarzt!“
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