STARGAST
Andrés Iniesta: Ein Engel am Ball
Zum Karriereende: Andrés Iniesta war der leise Star des FC Barcelona. Ein Porträt von Ronald Reng.
Wie auf Kirchengemälden: Das schneeweiße Gesicht
Andrés Iniestas. Illustration Herr Müller/ilikeyourbadbreathdaddy
Andrés Iniestas. Illustration Herr Müller/ilikeyourbadbreathdaddy
Er trägt den roten Trainingspullover in der Größe medium. So ist er ihm zu groß. Die Ärmel hängen ihm bis über die Hände. Als das Vormittagstraining beginnt, gibt die Frühlingssonne den Fußballprofis des FC Barcelona einen goldenen Stich, und Andrés Iniesta krallt die Finger in die Pulloverärmel. Als ob er sich irgendwo festhalten müsste. Als ob er sich im eigenen Pullover verstecken wollte.
Andrés Iniesta, 1,69 Meter groß, macht es den Fans am Trainingsplatz leicht, ihn in der Masse der Mitspieler zu übersehen. Statt den Gesten einer Berühmtheit sendet er nur die Schüchternheit eines Jungen aus. Wenn man nach dem Training des Champions-League-Siegers die Mädchen mit den schrillen Stimmen, die Touristen mit ihren Videokameras, die Behindertenschüler mit dem seligen Lächeln fragen würde, ob Iniesta auch da war, sie wüssten es nicht und würden sagen: Aber wir haben Messi gesehen! Doch gerade seine Staruntauglichkeit hat Andrés Iniesta berühmt gemacht.
Er ist ein footballer’s footballer, wie Briten sagen. Ein Spieler, der in der Szene gerade deshalb verehrt wird, weil die Massen seinen Wert angeblich nicht erkennen. Alle, die sich dem inneren Zirkel des Fußballs zurechnen – Profispieler, Trainer, Talentesucher, Agenten, Reporter – sind besessen davon, solche Spieler zu entdecken, ihnen zu huldigen. Denn damit beweisen sie doch ihre tiefe Fachkenntnis. Die Besonderheit eines Ronaldinhos kann jeder erkennen. Aber sagen zu können, der beste Verteidiger der Welt sei Nemanja Vidić von Manchester United oder Ián Córdoba von Inter Mailand und in Barças B-Team gebe es einen 17-jährigen, Bojan Krkić, der sie alle, Rooney, Klose, Eto’o, übertreffen werde, das macht einen zum Insider, hebt einen über die Massen heraus. „Alle meine Freunde fragen mich nach Ronaldinho“, sagt Barças isländischer Stürmer Eiður Guðjohnsen. „Wie er ist, was er macht, ob er mit mir redet. Und ich erzähle ihnen von Iniesta.“
Längst hat Iniestas Popularität absurde Formen angenommen: Hunderte Experten, die ihn als ihren persönlichen Geheimtipp preisen; dabei ist er das offenste Geheimnis des Fußballs geworden. Regelmäßig ist Iniesta Barças Bester. „Der Bonbonverteiler“, taufte ihn sein Ex-Trainer Frank Rijkaard. Iniestas Pässe aus dem Mittelfeld sind zuckersüße Geschenke für die Zuschauer wie die Mitspieler. Seine Entscheidungen trifft er mit der Schnelligkeit eines übersinnlichen Denkers. Sein Geist blitzt. Mit welcher Widerstandskraft sein schmächtiger Körper den Ball verteidigt, ist unerklärlich, sein taktisches Verständnis lässt einen an den eigenen Augen zweifeln: „Er ist an so vielen Orten, dass es scheint, es seien zwei Iniestas auf dem Platz“, sagt Rijkaard.
Er ist der Liebling der Fußballszene, seit er elf war. Damals holte Barça ihn aus den Weiten der Mancha, der dürren Heimat Don Quijotes, ins 700 Kilometer entfernte Barcelona. Er wurde eine vier. Diese Trikotnummer gehört bei Barça dem defensiven Mittelfeldspieler – vor allem aber steht sie mehr als jede andere Position für Barças Stil. Hier ist der defensive Mittelfeldspieler kein Zerstörer, sondern ein technisch brillianter Spieleröffner. „Schau dir mal diesen Iniesta im Jugendteam an“, sagte Pep Guardiola, der Übervater unter Barças Vierern, eines Tages zum jungen Xavi Hernández: „Xavi, du wirst mich in Rente schicken. Und Iniesta uns alle.“
Iniesta lachte, als ihm Xavi das erzählte. „Und Du, Xavi, hast Angst bekommen, was?“ Sie spielen längst zusammen, Iniesta mit Xavi, 1,65 Meter, und Deco, 1,74 Meter, als Mittelfeld der drei Zwerge. Endlich zusammen. Zu lange waren zwei von Iniestas Stärken, seine Vielseitigkeit sowie seine Fähigkeit, sich sofort und fehlerlos im hitzigsten Spiel zurechtzufinden, Iniestas Schwäche: Er war, bis zu dieser Saison, Barças idealer zwölfter Mann, der immer eingewechselt wurde, wo etwas zu reparieren war, aber eben selten in der Startelf stand. Ob er oft wütend, traurig war, für seine Stärken mit der Ersatzbank bezahlen zu müssen? „Durch den Kopf gehen einem viele Sachen“, sagt er nur.
Iniesta lachte, als ihm Xavi das erzählte. „Und Du, Xavi, hast Angst bekommen, was?“ Sie spielen längst zusammen, Iniesta mit Xavi, 1,65 Meter, und Deco, 1,74 Meter, als Mittelfeld der drei Zwerge. Endlich zusammen. Zu lange waren zwei von Iniestas Stärken, seine Vielseitigkeit sowie seine Fähigkeit, sich sofort und fehlerlos im hitzigsten Spiel zurechtzufinden, Iniestas Schwäche: Er war, bis zu dieser Saison, Barças idealer zwölfter Mann, der immer eingewechselt wurde, wo etwas zu reparieren war, aber eben selten in der Startelf stand. Ob er oft wütend, traurig war, für seine Stärken mit der Ersatzbank bezahlen zu müssen? „Durch den Kopf gehen einem viele Sachen“, sagt er nur.
Ein Spiel ändert selten die Welt, aber etwas änderte sich in jener Mainacht 2006 in Paris, als Barça im Champions-League-Finale zur Halbzeit 0:1 gegen Arsenal zurücklag und, wieder einmal, Iniesta eingewechselt wurde. Seit dem 2:1-Sieg ist er Stammspieler. „Der glücklichste Fußballer der Welt“, sagt er. Er hat eine in der Sonne Spaniens rare Hautfarbe. Iniestas Gesicht ist schneeweiß wie das der Engel auf mittelalterlichen Kirchengemälden. Und so schwebt er über den Trainingsplatz, die schwierigste Ballkontrolle, die kompliziertes Drehung läßt er einfach aussehen. Ein Engel.
Andrés Iniesta krempelt die zu langen Ärmel seines zu großen Trainingspullovers bis über die Ellenbogen hoch. Für einen Moment wirkt er wie ein entschlossener Kämpfer; ein Held der Massen. Dann, schon beim nächsten Torschuss, rutschen ihm die Ärmel wieder herunter.
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