THEMENWOCHE
„Ich kenne schwule Profis, auch in der Nationalelf“
John Blankenstein ist der einzige Schiedsrichter im Profifußball, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hat. 17 Jahre lang pfiff der Niederländer in der holländischen Ehrendivision, im Europapokal und auch bei Länderspielen. Nach seiner aktiven Laufbahn arbeitete er als Schiedsrichterbeobachter der UEFA. Im August 2006 verstarb Blankenstein im Alter von 57 Jahren an einem Nierenleiden. RUND führte eines der letzten Interviews mit ihm.
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RUND: Herr Blankenstein, wann haben Sie sich als Schiedsrichter öffentlich geoutet?
John Blankenstein: Als ich neu im Profifußball war, wurde ich in Interviews gefragt, ob ich verheiratet bin. Ich habe ganz offen geantwortet: „Nein, ich bin schwul“ – schon war es öffentlich. Ich hatte nichts mehr zu verbergen, und das war ein gutes Gefühl. Diese Ehrlichkeit wurde in Holland sehr positiv aufgenommen. Ich wurde nie angefeindet. In Holland akzeptiert man mich als Schwulen, es ist nicht so ein großes Thema wie anderswo.
RUND: Im Ausland ist das ganz offensichtlich anders.
John Blankenstein: 1994 sollte ich das Finale der Champions League zwischen dem AC Mailand und dem FC Barcelona leiten. Doch das Spiel wurde mir entzogen. Den Italienern war ich als Holländer nicht unparteiisch genug, da bei Barcelona mehrere Holländer im Team spielten. Und diese rosa Sportzeitung „La Gazzetta dello Sport“ schrieb außerdem, dass ich ja schwul sei, was erst recht gegen mich sprechen würde. Ähnliches habe ich auch in England vor einem Länderspiel erlebt. Der „Daily Mirror“ schrieb mit großen Buchstaben: „Tonight’s Referee Is Gay“.
RUND: Warum hat gerade der Fußball ein Problem mit Homosexualität?
John Blankenstein: Fußball ist eine Machowelt. Die allgemeine Auffassung ist noch immer, dass zu einem Fußballer eine schöne Frau gehört. Zwei küssende Männer zerstören dieses heile Bild.
RUND: Sind die Gefahren eines Outing für Spieler größer als für Schiedsrichter?
John Blankenstein: Als schwuler Spieler würde man große Probleme bekommen, vor allem mit den Fans der Gegner. Und Vereinswechsel ins Ausland wie nach Spanien oder Italien kannst du dann auch vergessen. Man müsste mit allen Konsequenzen leben. Schiedsrichter sind individueller, wir haben keine Fans, es sind sowieso alle gegen uns. Da macht es keinen Unterschied, dass ich auch noch schwul bin.
RUND: Homosexuelle Fußballer leben in einer ständigen Angst.
John Blankenstein: Diese Spieler sind das Ergebnis einer falschen Welt, in der sie leben. Sie müssen immer aufpassen, dass sie sich nicht wie Homosexuelle bewegen. Sie müssen sich konzentrieren, den harten Kerl raushängen zu lassen. Diese Spieler sind nicht sie selbst. Ich kenne einige schwule Profis, sogar in der holländischen Nationalmannschaft. Die schützen sich, indem sie verheiratet sind oder eine Freundin haben. Man weiß, dass man die ganze Welt betrügt und vor allem sich selbst. Das ist eine Rolle, die alles unerträglich schwer macht. Sie verdrängen ihre Gefühle und verhalten sich wie Machos. Nachts suchen sie aber doch nach ihrer sexuellen Befriedigung.
RUND: Werden Sie von Profis nach Rat gefragt?
John Blankenstein: Oft, dann aber meist außerhalb des Fußballumfeldes. Für einige bin ich eine Art Sachverständiger, der sie beraten kann. Ich erzähle denen, dass sie sich Gedanken machen sollen, was es bedeutet, wenn sie das Rampenlicht nach der Karriere verlassen. Dann kehren sie in das normale Leben zurück und haben nicht mehr diese Verpflichtung, sich betrügen zu müssen. Sie müssen sich darauf einstellen, dass es Probleme geben wird. Dann ist man nicht mehr ein Teil einer Fußballmannschaft, sondern einer von vielen. Dann kommt es irgendwann heraus, und man trennt sich von seiner Familie. Das sind Tragödien.
RUND: Wenn man heterosexuelle Profis auf das Thema anspricht, wollen sie häufig gar nichts dazu sagen.
John Blankenstein: Das ist natürlich kaum zu verstehen. Die Angst muss riesengroß sein, in eine falsche Ecke gestellt zu werden und sich die Finger zu verbrennen. Es wird nicht darüber geredet, weil der Mut fehlt, seine Meinung zu äußern. Das ist traurig.
RUND: Muss erst etwas Schlimmes passieren, damit ein Umdenken einsetzt?
John Blankenstein: Ich glaube schon, dass man einen Schockeffekt braucht, damit sich endlich etwas ändert – obwohl ich mir das natürlich nicht wünsche. Schöner wäre es, wenn der erste sich stark genug fühlt und sich outet. Und wenn er den Beschimpfungen von außen dann standhält und sich alles positiv entwickelt, würde es wie beim Domino eine Kettenreaktion auslösen: Einer nach dem anderen würde nachziehen. Dann wäre wohl endlich auch dem Naivsten klar, dass es Schwule auch im Fußball gibt. Doch niemand hat den Mut, der erste zu sein.
RUND: Weil die viele Fußballfans noch nicht so weit sind?
John Blankenstein: Wissen Sie, die Welt ist sehr bekloppt. Ein gutes Beispiel dafür kommt sogar aus Holland. Einmal sollte der Torhüter von Feyenoord Rotterdam ein rosa Trikot bekommen. Das hat einen riesigen Protest ausgelöst, weil das keine männliche Farbe ist. Am Ende ist es grün oder gelb geworden. Schon die Farbe ist also ausreichend, um manche Leute zu schockieren.
Das Interview führte Oliver Lück
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