INTERVIEW
„Ich fühle mich nicht als Revoluzzer“
Trainingsgelände des FC Arsenal. Jens Lehmann nimmt sich zwei Stunden Zeit, um mit RUND über die mögliche Rückkehr in die Bundesliga, Angela Merkel und die Weltmeisterschaft 2006 zu sprechen. Interview Matthias Greulich und Raphael Honigstein.

wenn er seine Gesprächspartner aus dem Konzept bringen will. Foto Heiko Prigge
RUND: Herr Lehmann, unter Torleuten scheint es zwei Philosophien beim Waschen der Handschuhe zu geben. Ihr Nationalmannschaftskollege Timo Hildebrandt lässt sie vom Zeugwart in der Maschine reinigen. Wie machen Sie es?
Jens Lehmann: Immer selbst. Mit der Hand und nur mit Wasser.
RUND: Warum, gehen die Handschuhe dann weniger schnell kaputt?
Jens Lehmann: Ich habe dann eine bessere Haftung.
RUND: Der Pressesprecher von Arsenal sagte uns, dass Sie die Handschuhe erst dann wechseln, wenn Sie verlieren. Als Arsenal in der Immaculate Season 2003/04 ungeschlagen blieb, mussten Sie 49 Spiele lang mit einem einzigen Paar auskommen?
Jens Lehmann: Ja, genau. Die Handschuhe von damals habe ich aufgehoben.
RUND: In Deutschland wurden Sie lange Zeit nicht so positiv gesehen hat wie in England. Das hat sich sehr geändert. Beim Champions-League-Spiel von Arsenal beim HSV sind Sie vom Hamburger Publikum bejubelt worden.
Jens Lehmann: Ja, Wahnsinn. Ich habe dort in zehn, zwölf oder noch mehr Spielzeiten gespielt und bin jedes Mal ausgepfiffen worden. Und jetzt wurde ich zum ersten Mal mit Applaus begrüßt. Herrlich.
RUND: Bei Arsenal war mal der Weltrekordtorschütze der Keeper, Rogério Ceni, im Gespräch. Er hat 68-mal getroffen, Sie zweimal. Wäre es ein Traum, auch noch mal für Arsenal ein Tor zu schießen?
Jens Lehmann: Das hört sich gut an, aber man muss immer die Situation sehen. Wenn ich nach vorne gehe, um ein Tor zu schießen heißt das, wir liegen hinten. Und das ist kein Traum, sondern ein Albtraum. Das muss ich leider so sagen. Wobei die Situation bei Schalke in Dortmund damals perfekt war und eines der tollsten Erlebnisse, die ich je im Fußball hatte.
RUND: Was würde Arsène Wenger sagen, wenn Sie über Feld spurten würden?
Jens Lehmann: Er mag das nicht so gerne.
RUND: Wenger hat sich jetzt dahingehend geäußert, dass er die Qualifikationsspiele für Turniere der Nationalmannschaften für überflüssig hält.
Jens Lehmann: Da hat er Recht. Es gibt ja Spiele wie gegen San Marino oder Zypern, ohne denen jetzt zu nahe treten zu wollen. Man muss da hin und die Reisestrapazen auf sich nehmen. Aber es ist doch schöner, wenn man unter den großen Nationen eine Qualifikationsrunde startet, wo man alleine schon wegen des Fußballs gerne zuguckt. Das ist doch viel attraktiver für die Zuschauer und effektiver bei der Planung für die Vereine, weil man weniger Spiele hat.
RUND: Diplomatie ist ein gutes Stichwort. Glauben Sie, dass Sie eine Revolution in der Nationalelf angezettelt haben? Angefangen bei den Handschuhen bis hin zu der Regelung der freien Schuhwahl? Weitergehend überhaupt gegen die alten Mächte im deutschen Fußball?
Jens Lehmann: Meinen Sie Adidas?
RUND: Ja, zum einen. Aber auch den Machtblock des FC Bayern und der „Bild“-Zeitung. Das Establishment, wenn man so will. Sie sind derjenige, der aus der Kälte kam, und das Blatt scheint sich zu wenden.
Jens Lehmann: Ich fühle mich nicht als Revoluzzer. Erstens habe ich das nicht alleine gemacht. Es gab noch mindestens einen weiteren Spieler, der ein großes Interesse daran hatte, wegen seiner gesundheitlichen Probleme. Und zum zweiten gibt es Leute beim DFB wie den Präsidenten Dr. Zwanziger, der ein intelligenter und aufgeschlossener Mann ist. Er kennt die Interessen der Spieler und des DFB und weiß, was man vom Produkt Nationalmannschaft will. Ich glaube nicht, dass ich da alleine den Ausschlag gegeben habe. Zusammen mit anderen hatte ich ein gesundheitliches Interesse. Dann, wenn man über Finanzen spricht, hatte ich ein Interesse daran, dass wir nicht benachteiligt werden, wie wir das gegenüber Adidas-Spielern immer waren. Und wir haben irgendwann Leute vorgefunden, die auch ein Ohr für die Probleme hatten, die sich dort aufgetan haben. Wenn Adidas meint, als Einzige ein Monopol haben zu müssen, was sie sonst bei keiner anderen Mannschaft dieser Welt haben, ist das deren Sache. Und was die „Bild“-Zeitung damit zu tun haben soll, wüsste ich jetzt nicht.
RUND: Sie sind öfter gegen Wände gelaufen und haben gesagt, dass das Problem sei, dass vieles miteinander zusammenhänge. Die Bayern-Lobby beim DFB und in gewissen Medien zum Beispiel. Nun scheint es, als ob sich im Zuge der WM und des Ausrüsterstreits einiges ändert. Man könnte sagen, Sie sind als Sieger aus der Sache hervorgegangen.
Jens Lehmann: Ich habe noch nie in meinem Leben so eine Aussage getätigt, dass es ein Problem sei, dass es Zusammenhänge gibt. Mein Körper profitiert von der freien Wahl der Ausstattung. Das gilt auch für andere Spieler, die nachkommen, die sonst Probleme bekommen hätten, wenn sie ihre Schuhe immer wieder hätten wechseln müssen. Ich fühle mich nicht als Sieger. Das ist ein Ausdruck, den Sie vielleicht gebrauchen, aber nicht ich.
RUND: In „Deutschland. Ein Sommermärchen“ haben Sie dennoch offene Worte gebraucht und die Meinungsmache beim Namen genannt. War das eine bewusste Entscheidung?
Jens Lehmann: Ja, natürlich. Das war so, dass muss man ja sehen. Ich bin 1998 zur Nationalmannschaft gekommen. Dann gab es direkt eine Situation, ich glaube ein Jahr später, als Andy Köpke aufgehört hatte. Ich habe in der Qualifikation zur EM ganz gut gespielt. Dann kam Oliver Kahn nach einer Verletzung zurück, und wir hatten ein Spiel in der Türkei, wo er spielte und Fehler machte. Ich hatte trotzdem keine Chance mehr. Sicherlich auch, weil Bayern München sich extrem für ihn eingesetzt hat und damals beim Bundestrainer Erich Ribbeck auf offene Ohren gestoßen ist. Wenn man in meiner Position ist, sieht man, was für ein medialer Druck aufgebaut worden ist: Diese indirekte Einflussnahme war nicht immer gut für den Fußball. Damit musste ich zurechtkommen. Aber das kümmert mich jetzt nicht mehr.
RUND: Haben Sie in der Nationalmannschaft die Attacken einiger Medien gegen Klinsmann diskutiert?
Jens Lehmann: Das ist mir jetzt zu allgemein. Was für Attacken?
RUND: Die Kampagne der „Bild“-Zeitung nach der 1:4-Niederlage im Freundschaftsspiel gegen Italien. Als die Arbeit des Bundestrainers massiv infrage gestellt wurde.
Jens Lehmann: Das habe ich nicht so verfolgt. Da war ich ganz froh, dass ich in London wohne und nicht täglich die deutschen Stimmungen mitkriege. Natürlich wusste ich, dass die Stimmung nicht so gut war, aber dass es tatsächlich darum ging, ob Klinsmann weitermacht oder nicht, ging ein wenig an mir vorbei. Die Diskussion darüber hätte ich auch nicht verstanden, wie wahrscheinlich die meisten Spieler nicht.
RUND: Was denkt die aktuelle Generation der Nationalspieler über Kolumnisten, die forderten, man müsse wieder mit Libero spielen?
Jens Lehmann: Sagen wir mal so: Die meisten Kolumnisten schreiben ihre Kolumnen über Fußball deswegen, weil das häufig die einzige Möglichkeit für sie ist, noch im Fußballgeschäft zu arbeiten. Franz Beckenbauer oder Günther Netzer jetzt mal ausgenommen. Bei den anderen gibt es wenige Gute. Sie haben dann auch meistens die Entwicklungen im modernen Fußball verpasst, werden aber für provokative Meinungen bezahlt. Als Spieler sollte man sich davon nicht beeinflussen lassen. Die Mannschaft hatte immer sehr, sehr großen Respekt und fast schon Bewunderung für Klinsmann, weil man wusste: Er stellt sich total dagegen. Das war eine Art Vorbildfunktion, die er dort ausgeübt hat. Man konnte sicher sein, wenn es einen mal selbst betreffen sollte, dass einem die Presse aus irgendwelchen Gründen nicht wohl gesinnt war, dass Klinsmann mit Sicherheit zu einem stehen würde. Das war nicht bei allen Trainern so. Einige haben sich halt den Medien gegenüber „loyaler“ verhalten. Klinsmann nicht. Ich kannte ihn noch als Spieler und hatte da schon Hochachtung vor ihm.
RUND: Hat diese Wagenburgmentalität der Nationalmannschaft geholfen? Es gibt ja auch Vereinstrainer, die so etwas künstlich aufbauen, um die Spieler zusammenzuschweißen.
Jens Lehmann: Ich glaube, man kann viele Sachen nehmen, die uns da als Mannschaft nach vorne gebracht haben. Wir hatten einen großen Teamgeist. Das hat man gesehen. Der war nicht nur zur Schau getragen, der Teamgeist war wirklich da. Natürlich gab es immer ein, zwei, Unzufriedene, die nicht spielten und nicht so auf dieser Welle mit schwammen. Im Verlauf des Turniers haben selbst diese Spieler gesehen, dass der Zug Fahrt aufgenommen hat und sind lieber aufgesprungen, anstatt zu versuchen, ihn noch anzuhalten. Am Ende war dann dieses Bild der völligen Harmonie, was natürlich auch nicht so ganz stimmte. Alles in allem glaube ich, dass Klinsmann mit seiner Art und Weise schon unheimlich viel dazu beigetragen hat, dass dieser Teamgeist entstanden ist.
RUND: Der Teamgeist scheint auch in Ihrem Klub zu herrschen. Alle sprechen in England davon, dass dieser Arsenal-Elf die Zukunft gehört, sie vielleicht in zwei, drei Jahren die Liga dominieren wird. Ist es schade, dass Sie nicht mehr Teil dieser Zukunft sein werden?
Jens Lehmann: Aus meiner Erfahrung als Fußballspieler weiß ich, dass es nie so gekommen ist, wenn man sagte: „Die Mannschaft ist so jung, hat so viel Potenzial, in drei, vier Jahren wird sie die Mannschaft schlechthin sein.“ In Schalke damals haben wir es gesagt, als wir in die Bundesliga aufgestiegen sind, danach wären wir beinahe abgestiegen. Auf einmal waren zehn Spieler weg. In Dortmund war es ähnlich. Da muss man mal abwarten. Es ist nicht planbar. Wir haben tolle Spieler, zweifelsfrei. Aber manchmal kommen kleine Mosaiksteinchen zusammen, die eben den Erfolg ausmachen oder verhindern können. Das kann man jetzt nicht sagen. Ich freue mich, solange ich bei Arsenal spiele, weil ich den Fußball, den wir spielen, auch sehr attraktiv finde. Aber irgendwann ist die Zeit hier vorbei, früher oder später.
RUND: issen Sie, wie es persönlich mit Ihnen weitergeht?
Jens Lehmann: Dass meine Kinder hier zur Schule gehen, ist eine Tatsache, die klar dafür spricht, bei Arsenal zu bleiben. Andererseits wäre es vielleicht auch interessant, meine Laufbahn in Deutschland zu beenden, wo sie begonnen hat. Wir sind dabei zu überlegen. Ich sage wir, denn ich kann nicht in die Stadt X gehen, wenn ich schon im Voraus weiß, dass das nichts mit meinen Kindern und meiner Frau wird.
RUND: Welche Städte sind das?
Jens Lehmann: Ohne jetzt Namen zu nennen: Ich hatte mal eine Anfrage da wusste ich schon vorher, das dass nichts wird. Aber es wird schon eine Lösung geben.
RUND: Konnte Sie Angela Merkel von den Vorteilen des Standorts Deutschland im WM-Mannschaftsquartier überzeugen?
Jens Lehmann: Sie hat mich mit ihrer Art, wie sie war, überzeugt, dass sie es schon richten könnte. Dass es besser wird. Wir haben nicht nur fünf Minuten geredet, wie es im Film zu sehen war, sondern noch zweimal. Aber ich glaube, wenn ich mir über einen Vereinswechsel Gedanken mache, dann kann das ernsthaft keine Rolle spielen.
RUND: Sie hatte nach der Niederlage im Halbfinale gegen Italien in der Kabine auch nicht das eingefrorene Lachen wie andere Politiker.
Jens Lehmann: So, wie ich sie kennen gelernt habe, war sie deswegen unheimlich sympathisch, weil sie nicht den Eindruck von Macht vermittelt, sondern relativ bescheiden und aus dem Leben daherkommt. Bei einer Person in einer solch mächtigen Position ist das glaube ich recht selten. Manche haben ja auch die Vorgänger kennen gelernt. Helmut Kohl war sehr nett, aber mit dieser machtvollen Aura: „Hier bin ich!“ Das war Helmut Kohl, der da vor einem stand. Imposant. Gerhard Schröder war auch sympathisch, hatte aber auch schon so eine Ausstrahlung von Macht.
RUND: Hat sich Ihre Sicht auf Deutschland während der WM verändert?
Jens Lehmann: Ja, sehr sogar. Als wir wieder wegmussten, waren wir richtig traurig, denn Deutschland haben wir noch nie so schön erlebt. Einerseits vom Wetter her, andererseits von der Stimmung, der Begeisterung der Leute. Wahnsinn. In England war diese Stimmung nicht. Es war zwar auch schön, aber diese Euphorie, diese neue Atmosphäre in Deutschland mussten wir wieder verlassen. Das war schade.
RUND: War das Gefühl stärker für Sie, als „Ausländer“?
Jens Lehmann: Kann ich jetzt nicht sagen. Darüber habe ich mit den anderen nicht gesprochen. Aber für mich war es schon extrem gut.
RUND: Was haben Ihre englischen Freunde gesagt?
Jens Lehmann: Die Freunde von mir sagen, dass sie ein ganz anderes Bild von Deutschland haben. Sie hätten nicht gedacht, dass Deutschland so ist. Und einer meinte dann nach einer kurzen Pause etwas scherzhaft: „Die planen wieder irgendetwas.“
RUND: Hat Sie das ein bisschen stolz gemacht?
Jens Lehmann: Es hat mich gefreut. Letzte Woche habe ich noch mit Thierry Henry gesprochen. Er sagte, egal, wo sie hingekommen sind, haben die Leute die französischen Fahnen rausgeholt und applaudiert. Er meinte, das wäre extrem toll für die Spieler gewesen. Auch die Spieler der Elfenbeinküste hatten denselben Eindruck. Die waren alle begeistert.
Das Interview ist in RUND #21_04_2007 erschienen.
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