INTERVIEW
„Ich habe wieder Spaß“
Ein Fußballlehrer in der vierten Liga: Seit der Winterpause arbeitet Falko Götz bei Holstein Kiel. Mit dem Tabellenführer der Regionalliga will er aufsteigen – und langfristig neue Strukturen schaffen, wie es ihm schon bei Hertha BSC gelang. Interview Roger Repplinger

Falko Götz

„Ich gucke nicht in die Vergangenheit“: Falko Götz Foto Maak Roberts




RUND: Herr Götz, haben Sie jetzt, als Trainer von Holstein Kiel in der vierten Liga, viel Freizeit?

Falko Götz: Nein, eigentlich nicht. Im Gegenteil. Ich bin ja nicht nur Cheftrainer von Holstein Kiel, sondern trage die gesamte sportliche Verantwortung in diesem Verein. Die Arbeit an den organisatorischen Strukturen wurde mir abgenommen, ich arbeite daran, die sportlichen Strukturen neu zu gestalten, ein neues Fundament zu legen, professionellere Strukturen zu entwickeln. Wir wollen ein Ausbildungsbetrieb für Spieler anderer Vereine werden, wir wollen die richtigen Spieler holen, wir wollen das Scouting intensivieren, die Spielbeobachtung, Talente finden.

RUND: Wie oft trainieren Sie in der Woche?
Falko Götz:Wir arbeiten unter Vollprofibedingungen. Vier, fünf Spieler machen ein Studium oder eine Ausbildung. Ich halte es für sehr wichtig, dass die auch ein berufliches Standbein haben. Für den Einen oder Anderen wäre es fahrlässig, nur auf die Karte Fußball zu setzen.

RUND: Mit dem, was Sie hier in Kiel machen, haben Sie Erfahrung.
Falko Götz: So ist es. Als Spieler bei Hertha BSC Berlin habe ich keine Strukturen vorgefunden. Als Cheftrainer der Jugendabteilung von Hertha haben wir angefangen, Strukturen zu entwickeln. Als ich dann von 1860 München als Cheftrainer zurück nach Berlin gekommen bin, hatte ich die Erfahrung der Zeit im Jugendbereich und so war der Brückenschlag von Jugend zu Profis möglich. Das wollen wir auch hier in Kiel möglichst schnell hinbekommen.

RUND: Wie steht es denn mit der Infrastruktur beim Tabellenführer der Regionalliga Nord?
Falko Götz: Im Augenblick fehlt nichts. Wir haben ein schönes Trainingsgelände, ein schnuckeliges Stadion, und wir können die Bedingungen permanent verbessern.

RUND: Was haben Sie an der Spielweise geändert?
Falko Götz: Ich will, dass wir aggressiver, offensiver spielen. Wir spielen attraktiver, das sagen die Zuschauer.

RUND: Sie sind in der Winterpause zum Tabellenführer gewechselt, da muss man doch die Spieler erst mal überzeugen, was zu ändern.
Falko Götz: Das muss man immer. Wir haben alles in ständiger Rücksprache mit den Spielern gemacht. Ich habe sehr früh mit den Spielern telefoniert und als ich hier war, mit jedem gesprochen. Wenn ich heute merke, dass Spieler im Training überfordert sind, müde sind, dann reagiere ich.

RUND: Wie haben Sie es gemacht, damit die Spieler nicht den Eindruck bekamen: Jetzt kommt der Bundesligatrainer und modelt hier alles um.
Falko Götz: Da hab ich nicht drüber nachgedacht.

RUND: Sie waren Nachfolger eines erfolgreichen Trainers, das ist doch schwierig.
Falko Götz: Ich gucke nicht in die Vergangenheit, die Entscheidung, einen neuen Trainer zu holen, um bestimmte Dinge voranzubringen, hatten die Verantwortlichen von Holstein Kiel zu treffen.

RUND: Was haben Sie taktisch verändert?
Falko Götz: Wir haben von Dreierkette mit Libero auf Viererkette umgestellt. Taktisch konnte das jeder meiner Spieler. Die Spieler haben den Willen, mehr aus ihren Potenzialen zu machen, offensiver zu spielen. In der Vergangenheit wurde nach einem Führungstor das Ergebnis verwaltet, jetzt versuchen wir, das Spiel zu bestimmen, das zweite und dritte Tor zu schießen und dem Gegner unser Spiel aufzuzwingen. Das klappt ganz gut, nur mit den Chancen gehen wir fahrlässig um.

RUND: Hat sich im Gefüge der Mannschaft etwas verändert?
Falko Götz: Das Standing einiger Spieler hat sich verändert. Das ist immer so, wenn ein neuer Trainer kommt. Es ist ein hoher Leistungswillen in der Mannschaft, es gibt jetzt ein Konkurrenzverhalten. Ich habe über keinen Spieler ein abschließendes Urteil was die Zukunft angeht.

RUND: Wie lange hat der Prozess gedauert, bis Falko Götz, der unter anderem bei Gladbach und Frankfurt im Gespräch war, in Kiel landete.
Falko Götz: Neun Monate. Das Projekt geisterte lange durch meinen Kopf. Es wurde mir auf anrührende Weise angetragen. Viele von den Jobs, die mir in der Ersten und Zweiten Liga angeboten wurden, waren Feuerwehreinsätze. Da bin ich nicht der richtige. Ich sehe meine Stärken im Entwickeln, Ausbilden. Ich bin ein Fußballlehrer. Ich komme auch ganz gut damit zurecht, wenn ich die Zeitung aufschlage und keine knalligen Überschriften über mich und meine Arbeit lese.

RUND: Der größte Unterschied zur Bundesliga …
Falko Götz: ... ist, dass ich jetzt viel mehr von meiner Arbeitszeit auf die Tätigkeit als Fußballlehrer verwende und nicht in erster Linie Öffentlichkeitsarbeiter bin. Ich hab das Heft hier viel mehr selbst in der Hand.

RUND: Die Trainer der gegnerischen Mannschaften werden ihren Jungs sagen: Zeigt’s dem Bundesligatrainer. Das ist fast wie ein Pokalspiel zwischen Bundesliga und vierter Liga.
Falko Götz: Das ist so. Das hab ich auch so erwartet. Wir sind Tabellenführer, der Verein hat einen Ruf, der Trainer war in der Bundesliga. Damit kommen hier alle klar.

RUND: Wie bekommen Sie die langfristigen, strukturellen, und die kurzfristigen Ziele zusammen?
Falko Götz: Priorität hat: Mit der ersten Mannschaft Erfolg haben. Also der Aufstieg in die Dritte Liga. Am Ende der Saison wollen wir den Status quo ermitteln, dann beschäftigen wir uns mit dem Nachwuchsbereich, führen mit Scouts Bewerbungsgespräche. Die Strukturen, die dann entstehen sollen, richten sich auch nach der Liga, in der wir dann sind.

RUND: Fehlt Ihnen die Bundesliga?
Falko Götz: Nö. Man kann hier ja alles aufbauen, alles verbessern. Ich weiß, dass ich nicht in der Bundesliga arbeite. Mir fehlt nichts. Ich sehen eine Kontinuität, die nichts mit der Liga zu tun hat, sondern mit meiner Arbeit. Das Aufbauen und Entwickeln zieht sich doch wie ein roter Faden durch meine Karriere. In hab nie in festen Strukturen gearbeitet, sondern die immer mit entwickelt. Ich bin weg gegangen, wenn es am schönsten war.

RUND: Wann sollte man sehen, dass Ihre Arbeit fruchtet?
Falko Götz: In einem Jahr sollte man Fortschritte sehen.

RUND: Was bedeutet es, wenn Trainerverpflichtungen in der Bundesliga davon abhängen, ob ein Tor in der Nachspielzeit fällt, und dann der alte Trainer bleibt. Es quasi von einem Zufall abhängt, und nicht die Idee und das Konzept des neuen Trainers entscheiden?
Falko Götz: Ich sage dazu nichts, oder nur so viel: Diese Betrachtung ist nicht unzutreffend, und das hat auch etwas damit zu tun, dass ich hier bin und nicht in der Bundesliga. Ich war mir sicher, dass ich mit Kiel das Richtige mache, auch für mich, für meine Karriere.

RUND: Auch wenn Sie wenig Freizeit haben, machen Sie den Eindruck, als ob es Ihnen gut geht.
Falko Götz: Der Eindruck täuscht nicht. Ich wollte wieder Spaß an der Arbeit haben und den hab ich.

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Holstein Kiel
Am 26. Mai 1912 der größte Erfolg des KSV Holstein: Gewinn der Deutschen Fußball-Meisterschaft. 1:0 im Endspiel gegen den Karlsruher FV. Ernst Möller verwandelte einen Elfmeter. 10.000 Zuschauer waren im Hamburger Stadion Hoheluft.
1963 Qualifikation für die neu gegründete Bundesliga verpasst., statt dessen Regionalliga Nord. 1974 hauchdünn – punktgleich mit Olympia Wilhelmshaven – nicht qualifiziert für die neue zweigleisige Zweite Bundesliga. Kiel nun drittklassig in der Oberliga Nord. 1978 Aufstieg in die Zweite Bundesliga Nord, nicht qualifiziert für die 1981/82 eingeführte eingleisige Zweite Liga. Wieder Oberliga. Nach Einführung der Regionalliga 1994/95 kickt Kiel in der Regionalliga Nord. 1996 Ab-, 1998 Aufstieg. Im Jahr 2000 misslingt als Achter die Qualifikation für die neu gegründete zweigleisige Regionalliga Nord. Aufstieg in der darauf folgenden Saison. Abstieg in der Saison 2007 trotz 48 Punkten auf Grund des schlechteren Torverhältnisses in die Oberliga. 2008 Meister der Oberliga, doch durch Drittliga-Reform 2008/09 kein Aufstieg in die eingleisige Dritte Liga, sondern Qualifikation für die dreigleisige Vierte Liga – die Regionalliga. Ziel: 2012 in der Zweiten Liga zu spielen.

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