BUCH
Großspuriger Titel mit Leben gefüllt
Der Kiezklub wird im Mai 2010 100 Jahre alt. Schon jetzt gibt es das Buch „FC St. Pauli. Das Buch. Der Verein und sein Viertel“. Eine Rezension von Konrad Stahlschmidt

Millerntor-Stadion

Die Haupttribüne vor dem Abriss: Im Jubiläumsjahr wird das Millerntor-Stadion umgebaut
Foto Susanne Katzenberg




Um Himmels Willen!, denkt man sich. Da feiert ein Fußballclub seine ersten nun wirklich nicht ereignisarmen 100 Jahre und zwei Historiker aus dem Fanmilieu machen sich daran, all das und noch mehr aufzuarbeiten. Damit nicht genug, ist doch St. Pauli untrennbar Fußball und Viertel gemeinsam. Und siehe da, die Redakteure der Stadionzeitung „Viva St. Pauli“ Michael Pahl und Christoph Nagel zeigen sich dieser Hercules-Aufgabe gewachsen. Sie füllen den großspurigen Titel auf 415 Seiten ihres opus summum mit Inhalt und Leben.

Herrliche Aufnahmen bebildern eine nahezu allumfassende Aufklärung rund um den Klub. Ob in orangefarbenen Trikots vor der Bergsilhouette Hong Kongs, die Hilfe zur Stadionfinanzierung nach der Zerstörung des 2. Weltkriegs mittels Postkarten und auch die wandelbare Szene St. Paulis in immer neuem Gewand. Das bunte Treiben des Viertels ist schier unerschöpflich vielfältig und dieses Werk greift auch dort mit großen Händen hinein in die Fülle an Geschichten und Anekdoten. Die Vielschichtigkeit des Stadtteils bringt es mit sich, dass dabei nicht jede Facette in einem einzigen Buch bis ins letzte Detail ausgebreitet aufgearbeitet werden kann. Doch Pahl und Nagel nimmt man ab, dass sie es könnten, hätten sie den dafür nötigen Raum. So ist man sich bei jeder Kapitellektüre von neuem sicher: Zumindest nichts, was den Fußball auf St. Pauli bewegte, wird einem unterschlagen.

Die Flanke der Historie dagegen wird sogar zu weit gezogen. Die geraffte Welt- und Fußballchronik, die sich am unteren Seitenrand durch das Buch zieht, wirkt etwas verloren, sucht man doch vergebens nach Anschluss zum Buch. Das Patent des Kaffeefiltersystems vom 8. Juli 1908 hängt trotz der Lüftung des offenen Geheimnisses von Holger Stanislawskis Koffeindrang in der Luft. Vielleicht dient das auch der Ablenkung von dem, was einem sonst nicht mehr loslässt: Die Kurzweilige Synthese aus Entmystifizierung St. Paulis bei gleichzeitiger Verwirklichung, den Mythos hoch leben zu lassen. Und das beginnend mit dem ersten Satz des Vorwortes: „Der FC St. Pauli hat erreicht, was sich viele Menschen wünschen: nicht alleine wegen seiner Erfolge geliebt zu werden, sondern um seiner selbst willen.“

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