BRASILIEN
Gewinnen heißt vergessen
Das Maracanã ist mehr als eines der größten Fußballstadien der Welt. In der modernisierten Arena will Brasilien  das Trauma der WM-Niederlage 1950 gegen Uruguay überwinden. Von Sebastian Knoth.

Maracana
Fußballtempel: Das Maracanã in Rio de Janeiro vor dem Umbau. Foto Sebastian Knoth





Für viele Fußballbegeisterte außerhalb Brasiliens nur ein gewöhnliches Stadion, ist das Maracanã unter dem Zuckerhut eine mit Mythen verbundene, sakrale Stätte. Dort wurden Helden und Sündenböcke geboren,. Die goldenen Fußabdrücke zahlreicher Idole, von Pelé und Zico über Franz Beckenbauer, bis hin zu aktuellen Stars wie Ronaldo, verweisen in der Eingangshalle auf die Größen des Fußballs, die sich hier auf dem Platz unvergessene Spiele lieferten. Didi, Schütze des ersten Maracanã-Tores, ist ebenso wie der krummbeinige Engel – die „Freude des Volkes“ – Mané Garrincha mittels einer Plakette und zahlreicher Poster vor den Pforten des Stadions verewigt worden. In einem nicht nur Fußballverrückte äußerst ansprechenden Museum können Besucher alte Baupläne, hölzerne Sitzbänke, das legendäre gelbe Trikot Garrinchas mit der Nummer 7 sowie den Lederball bewundern, mit dem Pelé 1969 sein 1000. Tor für Santos erzielte.


Fußbabdruck Franz Beckenbauer

Die Füße des Kaisers: Vor dem Maracanã haben die Großen des Weltfußballs ihre Spuren hinterlassen
Foto Sebastian Knoth



Aber wann wurde der Mythos des Maracanã geboren?

Mit dem Bauvorhaben des weltweit größten Stadions zog Brasilien 1946 in das Rennen um die Vergabe der Weltmeisterschaft 1950. Schon das Turnier 1942 sollte an die Samba-Nation gehen, doch der Krieg in Europa machte der Fußballwelt einen Strich durch die Rechnung. Nach Kriegsende war dann Brasilien an der Reihe, nach Uruguay 1930, ging das Weltturnier wieder an ein südamerikanisches Land. Es bahnte sich der Aufschwung des frischen, selbstbewussten und prosperierenden Brasiliens an. – „50 Jahre Fortschritt in nur fünf Jahren“ sollte kurze Zeit später zum Leitsatz der Vargas-Regierung werden. Brasilien, seine Politiker und das Volk strebten nach mehr. Mehr Größe, wirtschaftlicher, aber auch sportlicher Natur. Mit einem Triumph in dem neu errichteten monumentalen und gigantischen Stadion wollte Brasiliender ganzen Welt seine Hingabe, seinen Stolz und insbesondere die spielerische und hemmungslose Lebensfreude demonstrieren. Ein Jahr nach der Vergabe erfolgte die Grundsteinlegung und binnen drei Jahren sorgten 1500 Arbeiter für die Errichtung der damals international größten Arena, die bis zu 200.000 Zuschauer beherbergte.

Das Turnier begann ganz nach dem Geschmack der Gastgeber, denn en masse wurden die Abwehrreihen der Konkurrenz durch schnelles und kreatives Spiel entblößt. Stürmer wie Ademir – Torschützenkönig der Veranstaltung – sowie Jair und Zizinho spielten ihre Gegenspieler reihenweise schwindelig und versetzten das Publikum in einen Rausch.

Brasilien - Uruguay

Trauma: Am 16. Juli 1950 verlor Brasilien 1:2 gegen Uruguay, der sicher geglaubte Weltmeister-Titel war verloren. Im Museum des Stadions wird die Niederlage dokumentiert.
Foto Sebastian Knoth



Vor dem entscheidenden Spiel stand der Sieger mit Brasilien bereits fest, lediglich die Höhe des Triumphes schien noch offen. Was dann folgte, ist schwer in Worte zu fassen. Die anschließende Niederlage gegen Uruguay, gleichbedeutend mit dem Verlust des sicherglaubten ersten Weltmeistertitels, provozierte bei einigen Zuschauern einen Herzinfarkt und, bei den Überlebenden eine traumatische Erfahrung unbeschreiblichen Ausmaßes. Der Dramaturg und Sportjournalist Nelson Rodrigues bezeichnete den Verlust später als „brasilianisches Hiroshima“ und der Anthropologe Juca Kfouri sah darin eine „Katastrophe, ein kollektives Drama und eine nationale Katharsis“. Torhüter Barbosa sollte seines Lebens nicht mehr froh werden. Als einer der Hauptverantwortlichen der Niederlage gebrandmarkt, verfolgte ihr der Ruf des Vaterlandverräters bis ins Grab. Der besagte Journalist Rodrigues notierte Jahre später: „Der Brasilianer hat das Gelbfieber vergessen, nicht aber den Torwartfehler von Barbosa.“

Dieses 60 Jahre andauernde Trauma gilt es nun zu verarbeiten. Besser noch, endgültig aus den kollektiven Gedächtnis auszuradieren. Nur an der Stätte der empfindlichsten Niederlage, kann der ruhmreichste Sieg erreicht werden. Gewinnen heißt vergessen, ganz besonders in Brasilien, aber noch mehr im Maracanã.

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