REKORD
Torjäger mit Handschuhen
Rogerio Ceni hat es geschafft: Der brasilianische Keeper hat sein 100. Tor geschossen. Von Sebastian Knoth
Foto Pixathlon
Es läuft die 53. Minute. Das Derby zwischen dem FC S√£o Paulo und Lokalrivale Corinthians plätschert beim Spielstand von 1:0 für den Gastgeber vor sich hin. Viel wurde mal wieder im Vorfeld der Partie spekuliert, philosophiert und gemutmaßt. Nach dem Fußball selbst, ist das Diskutieren über alles rund um den Ball Volkssportart Nummer 2 in Brasilien.
Schafft er es endlich? Wird ihm das Kunststück ausgerechnet gegen den Erzrivalen Corinthians gelingen? Des Öfteren fällt die Zahl 99. Und ein ums andere Mal ist von einem außergewöhnlichen Jubiläum die Rede. Eigentlich sei er schon viel zu alt, aber im Fußball sei doch alles möglich, oder?
An diesem Sonntag, dem 27. März, liegt etwas ganz besonderes in der aufgeheizten Stadtluft der lateinamerikanischen Millionenmetropole. Die Fans in der Arena Barueri – das Morumbi, normalerweise die Heimstätte des Traditionsvereins S√£o Paulo, hatte am Vortag als Austragungsort eines Iron-Maiden Konzertes hinhalten müssen – warten geduldig. Sie feiern sich und ihre Teams ausgelassen. Es scheint ja schließlich die Sonne.
Dann: ein Freistoß. Die Menge verstummt und auf einmal ist die Spannung im ovalen Betonkessel kaum auszuhalten. Der letzte Biss in den Hot Dog, ein Autohupen in der Ferne ertönt, das Spektakel kann beginnen: Die Nummer 01 des FC S√£o Paulo schaut noch kurz in Richtung des gegnerischen Gehäuses, tippelt auf der Stelle, läuft schwerfällig an und streichelt das runde Leder á la „Icke“ Hässler aus gut 20 Metern in das linke obere Eck. Ausnahmezustand! Fans und Spieler liegen sich in den Armen. Der in Hysterie verfallene Fernsehkommentator bekommt seinen Mund nicht zu. Sein schnelles Quasseln gleicht einer Maschinengewehrsalve:
„Er geht in die Historie ein… es ist sein 100. Tor…Rogério Ceni, 38 Jahre alt, hat den Ball versenkt…seine Name ist nun in den Geschichtbüchern sicher…die S√£o Paulo Fans explodieren hier im Stadion…das Tor ist von Rogério Ceni, es ist seins...ein Fest…der Moment könnte nicht schöner für Rogério Ceni sein, er wird von allen umarmt…ein perfekter Freistoß…genießen Sie diesen historischen Moment mit uns…!!!“
Hundert Tore. Eine Zahl, die nicht viele Stürmer auf ihrem Trefferkonto vorweisen können. Der ehemalige deutsche Nationalspieler Carsten Jancker beispielsweise nicht. Rogério Ceni hat die 100 tatsächlich voll gemacht. Und das als Torhüter. Hierzulande kennen die Fans bis auf Hans-Jörg Butt, der sich während seiner langen Karriere immer mal wieder vom Elfmeterpunkt versuchen durfte, eigentlich keine treffsicheren Torhüter. Ok, das Beispiel des legendären Hanke-Lupfers über den zurückeilenden Butt mag die paranoiden Sicherheitsfanatiker darin bestätigen, dass das Risiko eines schnellen Gegentreffers auf Grund des leerstehenden Tores unkalkulierbar und viel zu groß sei. Und wenn schon: Die Nummer 1 hat den Elfmeter oder Freistoß eben zu versenken, um dann in Windeseile wieder in seinen Kasten zu sprinten. Und wenn nicht? Dann ist es Teil der Show. In Südamerika nehmen Trainer und Fans dieses risikobeladene Spektakel gerne in Kauf.
Neben dem ehemaligen paraguayischen Schlussmann Chilavert, der es immerhin auf über 50 Treffer gebracht hat, ist der 1973 geborene Rogério Ceni der wohl weltweit bekannteste Torverhinderer mit eingebauter Torgarantie. Im Oktober 1997 trafen die beiden sogar mal aufeinander. Das Spiel endete 3:3. Aber das Duell der torhungrigen Goal-Keeper ging wegen eines verwandelten Elfmeters an Chilavert. Bemerkenswert ist außerdem: Über die Hälfte der Buden des Rogério Ceni sind Freistoßtreffer und keine „billigen“ Strafstöße. Bei seinem Heimatverein FC S√£o Paulo genießt der sympathische Rechtsfuß seit Jahren Heldenstatus. Seit 1990 im Verein. Über 900 offizielle Einsätze. Gewinner der Copa Libertadores. Weltpokalsieger. Etliche Tite bei der Wahl zum besten Spieler der brasilianischen Meisterschaft. Nicht zu vergessen: Weltmeister 2002 darf sich der 38-jährige selbstverständlich auch schimpfen – wenn auch ohne Einsatz.
Im Herbst seiner Karriere angekommen, könnte sich der Torwart-Methusalem eigentlich eine wohlverdiente Pause gönnen. Die lange Liste seiner Erfolge macht selbst einem Olli Kahn Konkurrenz, die Geheimratsecken sind bald im Nacken angekommen und die Mit- und Gegenspieler gingen mittlerweile locker als seine Söhne durch. Aber auch weiterhin sehnt sich die Nummer 01 täglich nach dem Umgang mit dem runden Leder. Trotz seiner fast 40 Lenze auf dem Buckel, müde scheint Rogério Ceni noch lange nicht.
Und das Resultat des Derbys? Nebensache. Denn dass das Spiel letztendlich 2:1 für S√£o Paulo ausgegangen ist, interessierte an diesem sonnigen Sonntag in der Millionenstadt eigentlich keinen so recht.
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