PORTRÄT
Auf dem Weg ins Schalker Herz
Seit Mirko Slomka Trainer beim FC Schalke 04 ist, geht es mit den Königsblauen steil nach oben. Doch welchen Anteil am Erfolg hat der 39-Jährige am aktuellen Höhenflug? Und wird er erst von den Fans anerkannt, wenn er die Meisterschale nach Gelsenkirchen bringt?

Mit Schalke an der Spitze: Mirko Slomka Foto Jens Sundheim
Dort, wo Marc Wilmots oder Ebbe Sand eine ewige Bleibe gefunden haben, dort ist Mirko Slomka bisher nicht angekommen: mitten im Schalker Herzen. Diesen sorgsam behüteten Raum wird er erst an jenem Tag betreten dürfen, an dem er die Meisterschale durch die Arena trägt. Und wahrscheinlich bleibt selbst dann ein letztes Gefühl des Zweifels. Zu fremd ist dieser Mann, ein Lehrer. Mathe und Sport hat der gebürtige Hildesheimer studiert, aktiv war er beim SC Harsum oder TSV Fortuna-Sachsenross Hannover. Slomka ist der einzige Quereinsteiger in der Bundesliga. So einer hat es schwer an diesem Ort der Traditionen, wo raue Burschen wie Huub Stevens verehrt werden, wo die Vergangenheit leuchtet und die Gegenwart jenseits des Fußballs trist und grau aussieht.
Slomka stammt aus einer Welt, die fremd wirkt im Antiidyll Gelsenkirchen. Ski und Tennis hat er während des Studiums unterrichtet. Er ist ein Diplomat, kein Typ der geradeheraus sagt, was er denkt. Auf Schalke unterscheiden viele immer noch zwischen „denen da oben“, den Leuten mit exklusiven Autos und edlen Maßanzügen, und „uns hier unten“. Slomka steht mit seinen Jeans und dem samtenen Jackett irgendwo dazwischen. Freundlich, aber irgendwie ungreifbar. Ohne festen Platz im Weltbild. Außerdem ist er ein hoch analytischer Mensch. Solche Leute haben es besonders schwer in Umgebungen, wo die Emotionen dominieren. „Ich komme aus einfachen Verhältnissen“, sagt der Sohn eines Arbeiters beim Haushaltsgerätehersteller Miele zwar, aber auf Schalke wirkt er fast so exotisch wie Ralf Rangnick, der sich hier nie aus seiner Professorenschublade befreien konnte.
Dabei ist längst klar, dass das Geheimnis der beeindruckenden Saison im von Slomka geprägten Gegenmodell zu Rudi Assauers affektgesteuertem Schalke liegt. Wo Assauer deftige Formulierungen hervorstieß, formuliert der 39-Jährige sauber und exakt, wo der frühere Manager mit rauchiger Stimme provozierte, mahnt Slomka zur Besonnenheit. Seine Stimme klingt dann sanft, aber bestimmt, seine Sprache ist klar, nur die Substanz der Aussagen bleibt manchmal etwas dünn. „Die Gelassenheit ist Mirko Slomkas größte Stärke“, sagt Klubmanager Andreas Müller anerkennend. Die Contenance hat Slomka auch in schwersten Situationen noch nie öffentlich verloren, in der zur Hysterie neigenden blau-weißen Fußballwelt wirkt diese Kontrolliertheit wie ein Wunderelixier.
Im Kern arbeite er seit über einem Jahr akribisch daran, „dass wir mal wegkommen von drei Kontakten pro Spieler auf unter zwei im Schnitt“, sagt der Fußballlehrer, was nichts anderes als eine Beschleunigung des Fußballs bedeutet. „Eine hohe Geschwindigkeit im Spiel zu erreichen, ohne hektisch zu sein“ laute das oberste Kriterium, erklärt Slomka. Er ist der erste Trainer seit dem Umzug in die Arena 2001, dem es gelingt, Tempo und Gelassenheit – den magischen Zweiklang des modernen Fußballs – auch im Umfeld zu verankern. Die Fans sind rasend angesichts der greifbaren Erfüllung, derweil der 39-jährige Trainer dafür sorgt dafür, dass der Laden nicht in Hektik verfällt.
Selbst der seit Jahren Interna an die „Bild“-Zeitung ausplaudernde Maulwurf schweigt mittlerweile unter Slomka, der eine besondere Nähe zu den Spielern pflegt – ein Überbleibsel aus seiner Zeit als Cotrainer. Selbstverständlich stellte er sich auch an die Seite der Mannschaft, als sie wochenlang nicht mit Journalisten sprach, und nahm ihr so den Druck. „Ich konnte das voll mittragen“, sagt er. Seither wirkt das Team wie eine verschworene Einheit. Noch zu Beginn des Schweigens im November wurde über Slomkas Entlassung diskutiert, wenige Wochen später war er der Trainer des heißesten Meisterschaftsanwärters.
Doch neben dieser breiten Spur des Erfolgs verläuft diese andere Linie durch die Karriere des Niedersachsen. Immer wenn es irgendwo schwierig ist, wenn es Konflikte gibt, dann geht Slomka als lächelnder Profiteur aus der Situation hervor. Nicht selten bleibt ein Opfer auf der Strecke.
Schon sein erstes Engagement als Cheftrainer hatte dieses Muster. Als A-Jugendtrainer von Tennis Borussia Berlin legte er der Klubführung im Sommer 2000 ein Konzept für die Zukunft vor. TeBe war gerade die Lizenz für den Profifußball entzogen worden, „es herrschte Chaos“, wie Slomka sich erinnert. Robert Jaspert, der die Amateure trainierte, bewarb sich auch um den Job, doch Slomka bekam die Zusage. Der unterlegene Kollege soll damals ziemlich enttäuscht gewesen sein, auch menschlich.
Im Januar 2006 war Ralf Rangnick, Slomkas Vorgänger auf der Schalker Bank, derart desillusioniert, dass er den Kontakt völlig abbrach. Dabei war Slomka fünf Jahre lang Rangnicks Assistent, die beiden waren sehr gute Freunde geworden. „Darüber möchte ich eigentlich nicht mehr sprechen“, sagt Slomka heute, und auch Rangnick hat kein Interesse daran, diese alte Geschichte neu aufzurollen. Ursache des Bruchs war Slomkas Verhalten in den Tagen der Amtsübernahme. Er verzichtete auf ein klärendes Gespräch mit dem Freund und Vorgänger und schickte nach seiner Einigung mit Schalke einfach eine SMS. Das war’s.
Auch die Episode mit Frank Rost gehört in diese Reihe. Der Torhüter wurde im vergangenen Herbst auf die Bank versetzt, „aus rein sportlichen Gründen“, wie Slomka bis heute versichert, was Rost wiederum heute noch nicht glaubt. Schon drei Monate zuvor hatte der Trainer bestimmt, dass der erfahrene Spieler die Kapitänsbinde abgeben müsse. „Weil ich in diesem Amt jemanden wollte, der im Zentrum des Platzes Einfluss nehmen kann“, erklärt er.
Geplant oder nicht, Rosts schleichende Entmachtung gehört zum Fundament des Schalker Erfolgs, denn sie war der letzte Schritt weg vom alten Assauer-Schalke. Parallelen in den Fällen Jaspert, Rangnick und Rost sieht Slomka freilich nicht. In jedem Fall ist nun Marcelo Bordon der unangefochtene Chef unter den Spielern, sein Wirken sei ein „riesiger Bestandteil des Erfolges“, meint Slomka. Denn der Kader, der lange als zerstrittener Haufen galt, präsentiert sich nach der Verschiebung der Machtpole als homogene Einheit. Slomka agiert äußerst geschickt, wenn es um die Steuerung von Einfluss geht, solche Sachen sind entscheidend bei der Führung einer großen Mannschaft.
Doch die meisten Spieler wurden noch von Rudi Assauer verpflichtet, es ist die Philosophie Rangnicks, die das Spiel prägt. Wo genau liegt da Slomkas Anteil jenseits seiner beruhigenden Wirkung? „Jeder im Verein hat seinen Anteil“, antwortet Slomka. Klar erkennbar ist noch nicht einmal, ob er die Stilllegung des Schalker Selbstzerstörungstriebes bewusst betrieben hat oder ob er nach Jahren der internen Kämpfe einfach ein Schlachtfeld der Verwundeten und Gefallenen betreten hat, auf dem die Widerstände längst gebrochen waren.
Sicher ist nur: Slomka hat ziemlich gut mit der Mannschaft gearbeitet. Lincoln ist endlich zu einem modernen Fußballer geworden, und die Entdeckung von Manuel Neuer, dem größten Spielbeschleuniger zwischen den Pfosten des deutschen Fußballs, war ein Geniestreich. Auch das starrsinnige Vertrauen in den stolpernden Kevin Kuranyi und dessen wundersame Wandlung vom Würmchen zum leuchtenden Schmetterling, ist eine große Trainerleistung. „Fachliche Qualitäten hat er, sonst hätte ich nicht so lange mit ihm zusammen gearbeitet“, sagt Rangnick. Mirko Slomka hat sich Respekt verschafft, und das war für einen Fußballtrainer mit großen Zielen schon immer wichtiger als die Liebe der Fans und all der Einflussnehmer rund um einen fiebernden Fußballklub.
Daniel Theweleit
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