SERDAR TASCI
Ruhepol im Chaos?
So schnell geht das. Im Jahr 2007, im Alter von 20 Jahren, Deutscher Meister, Nationalspieler, in dieser Saison eines der Löcher in der Abwehr des VfB Stuttgart. Innenverteidiger Serdar Tasci sucht, nach Verletzungen und Rückschlägen, was er schon mal hatte: Sicherheit. Von Markus Gamm
Vor dem Eingang zu den Umkleidekabinen des VfB Stuttgart liegen Grashalme. Die Trainingseinheit war mal wieder länger als geplant. Wie so häufig in dieser Saison. Also wird die Pause bis zur nächsten Einheit am Nachmittag kürzer. Schnell die Kickschuhe ausklopfen, dann verschwinden die Spieler im Kabinentrakt.
Dort ist es laut. Aus der Kabine der Profis brummt der Bass einer Stereoanlage. Hinter der Türe nebenan ziehen sich die Kicker der U-19 des VfB um. Auch nicht leise.
Am Ende des Gangs links ein Raum, ein paar Stühle stehen herum, da geht die Türe auf.
Serdar Tasci (23) in Badelatschen und Shorts. Die schwarzen Haare nach hinten gegelt, schwarze Augen, gezupfte Augenbrauen.
Seine Familie stammt aus Yusufeli, eine Stadt im Nordosten der Türkei. Serdar Tasci betet fünfmal am Tag. Die Frage, ob er für die türkische oder die deutsche Nationalmannschaft spielen soll, hat er sich nie gestellt.
Am 10. Juli 2010 trifft in Port Elizabeth (Südafrika) Deutschland auf Uruguay. Das Spiel um Platz drei bei der Weltmeisterschaft. Die letzten Minuten. Die Spieler von Joachim Löw führen mit 3:2, der Bundestrainer winkt einen Einwechselspieler zu sich. Hastig steckt die Nummer 5 das Trikot in die Hose und zupft an den Stutzen. Währenddessen lässt sich Mannschaftskollege Mesut Özil vor seiner Auswechslung von den Fans im Nelson-Mandela-Bay-Stadium feiern. Lange. Die Nachspielzeit. Endlich darf Serdar Tasci auf den Platz. Zum ersten und letzten Mal in diesem Turnier.
Viele hatten mit Tasci als Stammspieler gerechnet. Er wahrscheinlich auch. Der erste Knick in seiner Karriere.
Vor der WM gehörte Tasci zu Löws Lieblingsschülern. „Serdar hat viele Qualitäten, die ich sehr schätze. Vor allem hat er eine sehr gute Spielauslösung“, lobt Löw. Tasci löst Zweikämpfe spielerisch, ohne die dem Bundestrainer verhassten Fouls in der Nähe des Strafraums. „Es fallen so viele Tore aus Standardsituationen, die müssen wir vermeiden“, sagt Löw. Gegen den Ball arbeitet Tasci mit geschicktem Zweikampfverhalten und gutem Stellungsspiel, mit dem Ball baut er das Spiel durch schnelle, flache Pässe in die Spitze auf. Genau das, was der moderne Fußball von Innenverteidigern fordert.
Doch beim schwachen Auftritt der Nationalelf gegen Argentinien im Februar 2010 wackelt auch Tasci. Der Ausfall von Kapitän Michael Ballack kurz vor der WM lässt Tascis Chancen auf einen Platz neben Per Mertesacker sinken. Ohne Ballack verändert sich die Spielweise der DFB-Elf. Löw setzt auf den erfahrenen Arne Friedrich, der es dem Trainer mit einer starken WM dankt, und nicht auf den offensiv stärkeren, defensiv schwächeren Tasci. „In der Innenverteidigung im Verlauf eines Turniers in die Mannschaft zu rutschen, ist schwer“, erklärt Tasci. Ihm bleibt nur die Bank.
Auch in der Hinrunde der Saison 2010/2011 läuft es nicht. Er kommt spät aus dem WM-Urlaub, die Vorbereitung läuft schon auf Hochtouren. VfB-Trainer Christian Gross berücksichtigt ihn nicht, kritisiert ihn öffentlich, im Herbst 2010 verletzt sich Tasci am Oberschenkel. In der Hinrunde macht er nur neun Spiele. Tasci muss zuschauen – für ihn „das Schlimmste, was einem Fußballer passieren kann“. Er sieht, wie der VfB weder unter Gross noch unter Interims-Coach Jens Keller vorwärts kommt. Der VfB steht auf Platz 17 und Tasci, der sich als Führungsspieler im Team sieht, kann im Abstiegskampf nicht helfen. „Klar, an den Spieltagen war ich oft in der Kabine und habe mit den Jungens gesprochen. Unter der Woche habe ich aber hauptsächlich Einzeltraining absolviert“, sagt er.
Das macht ihm zu schaffen. Bundestrainer Löw meldet sich monatelang nicht bei ihm. Sein Comeback beim VfB muss er immer wieder verschieben. Einsam dreht er seine Runden auf dem Trainingsplatz, er ist weit weg – von der Form, von der Mannschaft.
Gegen Bayern München, im letzten Spiel vor der Winterpause, steht er wieder in der Startelf, erstmals seit dem zehnten Spieltag. Der VfB Stuttgart verliert mit 3:5, im DFB-Pokal wenige Tage später, erneut gegen die Bayern, sogar mit 3:6. Tasci ist Teil einer löcherigen VfB-Abwehr.
Es ist von „Abschwung“ (Stuttgarter Zeitung) die Rede, Tasci wird „Symbol der Talfahrt“ (ARD-Sportschau) des VfB.
Was seine Kritiker vergessen: Auch wenn Tasci bei der WM nur zwei Minuten spielte, trainiert hat er acht Wochen lang fast jeden Tag. Formkrisen oder Verletzungen sind nach einer solchen Belastung nicht selten. Andere Nationalspieler hatten ähnliche Probleme. Die Frage ist, wie sie damit umgehen.
Bei Tasci haben die Entwicklungen der vergangenen Monate Spuren hinterlassen: „Als Kind stellst du dir unter Profi-Fußball nur vor, dass du in einem ausverkauften Stadion gewinnst und Erfolge feierst. Erst, wenn es mal nicht läuft, merkst du, dass dieses Geschäft doch sehr viel komplizierter ist.“ Er spricht ruhig, mit monotoner Stimme, man merkt, wie groß der Druck ist, der auf ihm lastet. Entweder der Spieler und sein Club ziehen sich gegenseitig hoch. Oder es droht das Horrorszenario, das sich in Stuttgart keiner ausmalen kann- der Absturz in die Zweitklassigkeit. Tasci ist „sicher, dass wir es schaffen“, aber das Gesicht, dass er dabei macht, ist fast zu ernst.
Tasci schaut auf die Uhr. Er entschuldigt sich. Das Nachmittagstraining fängt bald an. Er steht auf, verabschiedet sich höflich und verlässt den chaotischen Raum.
Jemand müsste die Stühle aufräumen.
Ruhepol im Chaos?
So schnell geht das. Im Jahr 2007, im Alter von 20 Jahren, Deutscher Meister, Nationalspieler, in dieser Saison eines der Löcher in der Abwehr des VfB Stuttgart. Innenverteidiger Serdar Tasci sucht, nach Verletzungen und Rückschlägen, was er schon mal hatte: Sicherheit. Von Markus Gamm
Einst ein Musterschüler von Joachim Löw: Serdar Tasci im Trainingsanzug des DFB
Foto Pixathlon
Vor dem Eingang zu den Umkleidekabinen des VfB Stuttgart liegen Grashalme. Die Trainingseinheit war mal wieder länger als geplant. Wie so häufig in dieser Saison. Also wird die Pause bis zur nächsten Einheit am Nachmittag kürzer. Schnell die Kickschuhe ausklopfen, dann verschwinden die Spieler im Kabinentrakt.
Dort ist es laut. Aus der Kabine der Profis brummt der Bass einer Stereoanlage. Hinter der Türe nebenan ziehen sich die Kicker der U-19 des VfB um. Auch nicht leise.
Am Ende des Gangs links ein Raum, ein paar Stühle stehen herum, da geht die Türe auf.
Serdar Tasci (23) in Badelatschen und Shorts. Die schwarzen Haare nach hinten gegelt, schwarze Augen, gezupfte Augenbrauen.
Seine Familie stammt aus Yusufeli, eine Stadt im Nordosten der Türkei. Serdar Tasci betet fünfmal am Tag. Die Frage, ob er für die türkische oder die deutsche Nationalmannschaft spielen soll, hat er sich nie gestellt.
Am 10. Juli 2010 trifft in Port Elizabeth (Südafrika) Deutschland auf Uruguay. Das Spiel um Platz drei bei der Weltmeisterschaft. Die letzten Minuten. Die Spieler von Joachim Löw führen mit 3:2, der Bundestrainer winkt einen Einwechselspieler zu sich. Hastig steckt die Nummer 5 das Trikot in die Hose und zupft an den Stutzen. Währenddessen lässt sich Mannschaftskollege Mesut Özil vor seiner Auswechslung von den Fans im Nelson-Mandela-Bay-Stadium feiern. Lange. Die Nachspielzeit. Endlich darf Serdar Tasci auf den Platz. Zum ersten und letzten Mal in diesem Turnier.
Viele hatten mit Tasci als Stammspieler gerechnet. Er wahrscheinlich auch. Der erste Knick in seiner Karriere.
Beim Freundschaftsspiel im Februar 2010: Serdar Tasci im Zweikampf mit Lionel Messi
Foto Pixathlon
Foto Pixathlon
Vor der WM gehörte Tasci zu Löws Lieblingsschülern. „Serdar hat viele Qualitäten, die ich sehr schätze. Vor allem hat er eine sehr gute Spielauslösung“, lobt Löw. Tasci löst Zweikämpfe spielerisch, ohne die dem Bundestrainer verhassten Fouls in der Nähe des Strafraums. „Es fallen so viele Tore aus Standardsituationen, die müssen wir vermeiden“, sagt Löw. Gegen den Ball arbeitet Tasci mit geschicktem Zweikampfverhalten und gutem Stellungsspiel, mit dem Ball baut er das Spiel durch schnelle, flache Pässe in die Spitze auf. Genau das, was der moderne Fußball von Innenverteidigern fordert.
Doch beim schwachen Auftritt der Nationalelf gegen Argentinien im Februar 2010 wackelt auch Tasci. Der Ausfall von Kapitän Michael Ballack kurz vor der WM lässt Tascis Chancen auf einen Platz neben Per Mertesacker sinken. Ohne Ballack verändert sich die Spielweise der DFB-Elf. Löw setzt auf den erfahrenen Arne Friedrich, der es dem Trainer mit einer starken WM dankt, und nicht auf den offensiv stärkeren, defensiv schwächeren Tasci. „In der Innenverteidigung im Verlauf eines Turniers in die Mannschaft zu rutschen, ist schwer“, erklärt Tasci. Ihm bleibt nur die Bank.
Zwei Nationalspieler, die lange nicht mehr berufen wurden: Michael Ballack und Serdar Tasci
Foto Pixathlon
Auch in der Hinrunde der Saison 2010/2011 läuft es nicht. Er kommt spät aus dem WM-Urlaub, die Vorbereitung läuft schon auf Hochtouren. VfB-Trainer Christian Gross berücksichtigt ihn nicht, kritisiert ihn öffentlich, im Herbst 2010 verletzt sich Tasci am Oberschenkel. In der Hinrunde macht er nur neun Spiele. Tasci muss zuschauen – für ihn „das Schlimmste, was einem Fußballer passieren kann“. Er sieht, wie der VfB weder unter Gross noch unter Interims-Coach Jens Keller vorwärts kommt. Der VfB steht auf Platz 17 und Tasci, der sich als Führungsspieler im Team sieht, kann im Abstiegskampf nicht helfen. „Klar, an den Spieltagen war ich oft in der Kabine und habe mit den Jungens gesprochen. Unter der Woche habe ich aber hauptsächlich Einzeltraining absolviert“, sagt er.
Das macht ihm zu schaffen. Bundestrainer Löw meldet sich monatelang nicht bei ihm. Sein Comeback beim VfB muss er immer wieder verschieben. Einsam dreht er seine Runden auf dem Trainingsplatz, er ist weit weg – von der Form, von der Mannschaft.
Gegen Bayern München, im letzten Spiel vor der Winterpause, steht er wieder in der Startelf, erstmals seit dem zehnten Spieltag. Der VfB Stuttgart verliert mit 3:5, im DFB-Pokal wenige Tage später, erneut gegen die Bayern, sogar mit 3:6. Tasci ist Teil einer löcherigen VfB-Abwehr.
Es ist von „Abschwung“ (Stuttgarter Zeitung) die Rede, Tasci wird „Symbol der Talfahrt“ (ARD-Sportschau) des VfB.
Was seine Kritiker vergessen: Auch wenn Tasci bei der WM nur zwei Minuten spielte, trainiert hat er acht Wochen lang fast jeden Tag. Formkrisen oder Verletzungen sind nach einer solchen Belastung nicht selten. Andere Nationalspieler hatten ähnliche Probleme. Die Frage ist, wie sie damit umgehen.
Bei Tasci haben die Entwicklungen der vergangenen Monate Spuren hinterlassen: „Als Kind stellst du dir unter Profi-Fußball nur vor, dass du in einem ausverkauften Stadion gewinnst und Erfolge feierst. Erst, wenn es mal nicht läuft, merkst du, dass dieses Geschäft doch sehr viel komplizierter ist.“ Er spricht ruhig, mit monotoner Stimme, man merkt, wie groß der Druck ist, der auf ihm lastet. Entweder der Spieler und sein Club ziehen sich gegenseitig hoch. Oder es droht das Horrorszenario, das sich in Stuttgart keiner ausmalen kann- der Absturz in die Zweitklassigkeit. Tasci ist „sicher, dass wir es schaffen“, aber das Gesicht, dass er dabei macht, ist fast zu ernst.
Tasci schaut auf die Uhr. Er entschuldigt sich. Das Nachmittagstraining fängt bald an. Er steht auf, verabschiedet sich höflich und verlässt den chaotischen Raum.
Jemand müsste die Stühle aufräumen.
Bei einem Werbedreh mit den Kollegen der Nationalelf: Serdar Tasci
Foto Pixathlon
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