STARGAST
Hirn und Klasse
Er hat heute seinen Rücktritt bekanntgegeben: Wenn es nach Sir Alex Ferguson gegangen wäre, hätte Paul Scholes noch um ein Jahr in Manchester verlängert. Von Jérome Bac
Einzelne Spieler, so scheint es inzwischen sind wichtiger als Mannschaften. Auszeichnungen von Einzelpersonen bald mehr wert als Titel oder Meisterschaften. In England ist man schon nahe an einer Überdosis: Wer wird den Titel des besten Spielers der englischen Liga einheimsen: Didier Drogba oder Wayne Rooney? Das Funkeln des Mannes aus Manchester oder die Effizienz des Londoners? Bei solch eilfertiger Hast vergisst man vielleicht ein wenig zu schnell den dritten Mann. Die Alternative. Kürzlich allerdings hat Cesc Fábregas, Mittelfeldspieler bei Arsenal, die Sache ohne Umschweife zusammengefasst: „Für mich ist Paul Scholes der Beste. Der kann alles: Pässe spielen, Tore machen, arbeiten. Er ist seit Jahren an der Spitze. Ich hoffe, eines Tages sein Niveau zu erreichen, aber das wird nicht leicht.“
Scholes immer noch einer der besten Spieler des Königreichs? Sein Trainer Alex Ferguson sagt: „Es ist fabelhaft, Paul in der Mannschaft zu haben. Er ist frisch, befreit, er scheint seinen Beruf mehr noch als zuvor zu lieben. Er spielt lang oder kurz, dribbelt, greift an. Paul hat sich schon immer durch zwei Dinge ausgezeichnet, die man selten vereint findet: Hirn und Klasse.“
Es hat sich also nichts groß verändert. Für Gary Neville hat Scholes schon immer die „beste Abschlüsse“ des Vereins gemacht. Für Ryan Giggs die „besten Pässe“. Für John Duncan, Lehrer an der Cardinal Langley School und ersten Trainer des Rotschopfes, war er immer schon „der kleine Junge, der auf dem Platz ständig von den Gegnern verfolgt wurde. Sie standen Schlange, um ihn in die Zange zu nehmen. In der Regel gelang es Paul, den Stößen auszuweichen, und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen ihn die anderen Kinder erwischten, stand er auf, ohne etwas zu sagen, und rannte wieder los. Bei ihm gab es keine Szenen. Ich verstehe nicht allzu viel von Fußball, aber ich habe sehr wohl gesehen, dass ihm der Ball unaufhörlich am Fuß klebte, während er vor den anderen Schülern zu fliehen schien. Die einzige Anweisung, die ich den anderen Jungs gab, war daher, ihm einfach den Ball zuzuspielen.“
Da haben wir’s, das Bild: ein kampfentscheidender, unentbehrlicher Spieler, der von seinesgleichen als einer der talentiertesten anerkannt wird. Nur dass der Betreffende diese Art schmeichelnder Einhelligkeit so gar nicht mag. Über seine Saison sagt er: „Ich bin von großartigen Spielern umgeben, Ryan Giggs, Louis Saha, Wayne Rooney, Cristiano Ronaldo und all den anderen. Es ist leicht, mit Jungs von diesem Niveau zu spielen. Für mich läuft alles gut, aber ich glaube nicht, dass ich meine Bestform wieder erreicht habe. Ich treffe noch nicht häufig genug, ich bin im Moment noch nicht ausschlaggebend genug.“ Was seine Karriere angeht, erklärt Scholes bescheiden: „Ich habe immer versucht, meinen Job so gut wie möglich zu machen. Fußball ist meine Leidenschaft, seit ich ganz klein war. Ich mag nur das. Manchester United ist mein Klub, und meine gesamte Karriere hier verbracht zu haben, ist unglaublich. Als ich 1994 erstmals in der Premier League spielte, haben mir die Älteren geholfen, haben mich geleitet. Jetzt ist es an mir, das gleiche für die Jungen im Verein zu tun.“
Scholes verkauft nichts, vor allem nicht sich selbst. Der Mann aus Manchester hat weder einen Agenten – „Was soll ich damit?“ – noch Werbeverträge – „Ich habe Angebote, aber das interessiert mich nicht“ -, denn Geld hatte für ihn nie Priorität. Eine Erinnerung, im Vorbeigehen: 1995 wird jedem Spieler von Manchester United für ein Werbevideo eine Prämie von umgerechnet 1100 Euro ausgezahlt. Die Stars in der Mannschaft schlagen daraufhin vor, alles in einen Topf zu werfen, um dann einen einzigen Gewinner auszulosen. Die jungen Spieler, weniger wohlhabend als diese, lehnen ab und behalten ihr Geld. Doch Scholes ist zu schüchtern und traut sich nicht, das Wort zu ergreifen und sein Geld zu nehmen. Es wird also gelost: Cantona ist der Gewinner, und Scholes sieht ein Drittel seines Monatsgehalts schwinden. Doch der Franzose, ganz Gentleman, belohnt freudig die Zurückhaltung des Rotschopfes, indem er ihm seinen Anteil zurückgibt.
„Ich kenne Paul seit etwa 15 Jahren“, erzählt Gary Neville. „Er war immer schon extrem diskret und zurückhaltend.“ Der bestätigt: „Eine öffentliche Person zu sein, ist für mich wirklich ein Problem. Ich hasse es, über mich selbst zu reden, das ist mein größter Albtraum.“ Im letzten Oktober hat es Scholes trotzdem auf die Titelseiten der Zeitungen geschafft. „Scheißschwuler“ hat er – allem Anschein nach – dem Schiedsrichter im Champions-League-Spiel gegen Benfica entgegengeschleudert. Einige Verbände, die sich dem Kampf gegen die Homophobie verschrieben haben, meldeten sich daraufhin lautstark zu Wort, doch aus Mangel an Beweisen wurde die Sache schnell zu den Akten gelegt.
Es ist eine klare Sache: Scholes ist kein Mann für die Klatschpresse. Schon 1996 mussten sich die Medien im Königreich von den Schlagzeilen verabschieden. „Das Starlet von Manchester leidet an einer schrecklichen Form von Asthma, er wird vermutlich nur noch wenige Spiele überleben“, meldeten sie damals und fühlten sich ihrer Verkaufszahlen sicher. Elf Jahre danach ist Paul Scholes immer noch da, und allein sein Spiel verdient es, dass man Lärm darum macht.
Ginger Heroes
Paul Scholes ist nicht der erste Rothaarige, der im britischen Fußball für Aufsehen sorgt. RUND nennt die Top 5 der roten Stars und ihre Frisuren.
1. Jimmy Johnstone (kurze Wellen). Die Legende von Celtic Glasgow gehörte zu der Mannschaft, die 1967 in Lissabon den Europapokal der Landesmeister gegen Inter holte. Begabt und stolz. Mittlerweile kahl.
2. Billy Bremner (Locken mit Koteletten). In den 70er Jahren der Motor bei Leeds unter Trainer Don Revie, klein und bissig. 1997 verstorben. Seine Statue thront vor dem Elland Road Stadium, in der zweiten Liga.
3. David Fairclough (krauses Haar). Der ideale Ersatzspieler. Hatte pro Spiel einige Minuten, um zu treffen. Schaffte das auch häufig. Held des FC Liverpool unter Bill Shankly, weniger erfolgreich als Berater für die BBC.
4. Gordon Strachan (fransig und glänzend) Außenstürmer, lebhaft, klein, stoppte niemals, schwieg niemals. Hat mit Aberdeen, Manchester United und dann Leeds alles gewonnen. Ist derzeit Trainer von Celtic.
5. Ray Parlour (platte Wellen) Arsenal-Soldat im Ruhestand. Hat die Zeit vor Wenger erlebt und den Franzosen überlebt: eine Glanzleistung. Steht auf UV-Strahlung und Scheidungen.
Zurück |