INTERVIEW
„Es war eine Explosion des Erfolgs"
Er war Assistent von Ralf Rangnick, als Hoffenheim den Profifußball durcheinanderwirbelte: Rainer Scharinger gilt in der Branche als Trainer, der Talente weiterentwickeln kann. Im RUND-Interview redet er über die Arbeitssuche auf einem leergefegten Trainermarkt. Interview Giovanni Deriu.

 

Rainer ScharingerAutogrammkarte: Rainer Scharinger schaffte mit Aalen den Wiederaufstieg in die 3. Liga

 

 

Herr Scharinger, wo erreichen wir Sie gerade?
Rainer Scharinger: Ich bin zuhause und habe endlich mal Zeit, um mit meinem Sohn seinen 11. Geburtstag zu feiern. Familienfeste kamen in den letzten 26 Jahren relativ kurz, da ich durch Beruf und Sport sehr oft unterwegs war! Schön, auch endlich mal diesen „normalen Alltag“ genießen zu können!

Vor kurzem erst beim österreichischen Zweitligisten SC Rheindorf Altach ausgeschieden als Trainer, hätten Sie beinahe bei Kickers Offenbach im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Wolfsburg auf der Bank gesessen, wie wir gehört haben. Sie waren nach unseren Informationen in der engeren Auswahl und hatten ein Vorstellungsgespräch. Woran scheiterte Ihre Verpflichtung?

Rainer Scharinger: Ja, das ist richtig, ich hatte gute Gespräche mit den Verantwortlichen des OFC, doch am Ende hatte Rico Schmitt knapp die Nase vorne. Die Kontakte und anschließenden Gespräche im Fußball-Business  sind differenzierter als in der freien Wirtschaft zu betrachten, aber sie gehen ein Stück weit in diese Richtung!

Wie bringt man sich als "arbeitssuchender" Fußballlehrer ins Gespräch?
Rainer Scharinger: Es gibt weit über 1.000 arbeitssuchende Fußball-Lehrer und leider nur wenige freie hauptamtliche Stellen. Daher ist es nicht einfach sich unter so vielen Bewerbern durchzusetzen. Jährlich kommen jeweils 30 neu ausgebildete Fußball-Lehrer dazu – doch die Stellen vermehren sich nicht! Es wird in der Zukunft immer schwieriger in dem Berufsfeld als Fußball-Lehrer einen Job zu finden! Dort ist es inzwischen wie überall, man braucht neben den Qualitäten auch ein gutes Netzwerk … und immer das Quäntchen Glück


Bei Fachleuten in der Branche genießen Sie aber schon den Ruf, ein "Experte" und Trainer für hoffnungsvolle junge Talente und Mannschaften zu sein. Sehen Sie das auch so?

Rainer Scharinger: Ich denke man sollte nicht über sich selbst urteilen, das können Außenstehende, die sachlich-fachlich auf die Fakten schauen, sicherlich besser! In einem Verein und einer Mannschaft kommen Ihnen immer eine Vielzahl von Charakteren  entgegen und es gilt als Hauptaufgabe des Trainers, alle Beteiligten schnellst möglichst, taktisch und emotional als Team in eine erfolgreiche  Richtung zu führen. Und gerade für die vielen jungen Spieler braucht man da ein gutes Händchen, um ihre Entwicklung, aber auch Ihre Widerstandskraft zügig voranzutreiben. Eines jedoch, hat man als Trainer heutzutage nicht mehr: Zeit!

Die Zeit ist also jetzt, wo ja beinahe der Jugendwahn herrscht, reif für einen Trainer wie Sie.
Rainer Scharinger: Ich bin sicherlich bereit, wenn die richtige Fußball-Aufgabe kommt! Aber ich warte nicht untätig darauf, ich habe momentan auch andere Tätigkeitsfelder, um ein interessantes Leben mit vielen spannenden Aufgaben zu führen.


In der Anfangszeit beim VfR Aalen, unmittelbar in den ersten sechs Wochen, da waren Sie nahezu 24 Stunden für den Fußball unterwegs, so Ihre Devise damals. Wie sieht so ein Fußball-Tag bei einem neuen Verein konkret aus?
Rainer Scharinger: Fußball ist zumindest in bestimmten Bereichen ein Beruf wie jeder andere! Da heißt es eben auch in Vorbildfunktion früh morgens als Trainer der erste zu sein und spät abends, erst wenn alles abgearbeitet ist, in den Feierabend zu gehen! Und ähnliches verlange ich auch von meinen Spielern – ein Profi-Arbeitstag kann eben auch mal 10 Stunden, von 8 bis 18 Uhr, gehen … mit Trainingseinheiten, Besprechungen, Videoanalysen, Pflege, Beratung ....etc! Das ist wie überall auf dem Arbeitsmarkt, wer besser sein möchte, muss auch mehr tun! Und diese Einstellung muss irgendwann ins Blut der Spieler übergehen, wenn sie kontinuierlich und erfolgreich im Profigeschäft bleiben wollen!




Vier Spieltage vor Schluss konnten Sie den Abstieg der Aalener aus der 3. Liga zwar nicht verhindern, doch Sie schafften mit einer neuen Mannschaft das, was keiner für möglich hielt. Die Meisterschaft, damit den sofortigen Wiederaufstieg und das ziemlich souverän. Sie gewannen außerdem den WFV-Pokal, was das DFB-Pokalspiel gegen Schalke 04 ermöglichte.
Rainer Scharinger: Ja, das war damals „Wahnsinn“. Nach dem Abstieg verließen 28 Spieler den Verein. Nur Mario Hohn und zwei verletzte Spieler blieben zurück. Und vier Wochen später ging ja schon wieder die Regionalliga los. Es war heftig – ne brutale Aufgabe! Innerhalb dieser 30 Tage war ich wirklich Tag und Nacht unterwegs und verpflichtete ein komplett neues, junges und kostengünstiges Team!  Es passte alles sofort perfekt zusammen. Jeder gab Vollgas und tatsächlich – was niemand für möglich gehalten hatte – wurden wir Meister und WFV-Pokalsieger. Traumhaft!

Petrik Sander, einer Ihrer Nachfolger beim VfR, lobte Ihre Arbeit.
Rainer Scharinger: Das hat mich sehr gefreut – aber unser Verhältnis ist auch sehr von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Leider nicht selbstverständlich in diesem Geschäft! 



Die Hoffenheimer Zeit haben Sie als Assistent Rangnicks und U23-Trainer mit geprägt, wie sehen Sie die TSG 1899 heute aus der Entfernung? Hat die TSG von heute noch etwas mit dem Verein zu Ihrer Zeit zu tun?
Rainer Scharinger: Ich schaue gerne auf das Jahr 2006 zurück. Damals begannen wir in Hoffenheim mit dem neuen Projekt. Der Verein hieß damals noch TSG und überregional nahm kaum jemand Notiz von dem Verein. Es war eine tolle Zeit und wir arbeiteten im kleinen Team sehr fokussiert, zielgerichtet und fleißig! Mit welcher positiven Erfolgs-Explosion wir dann durchstarteten war sensationell und in dieser Form sicher kaum zu erwarten. Natürlich verändert sich mit dem Erfolg vieles – aber ich bin heute zu weit weg um eine Beurteilung abgeben zu können.



Als aktiver Spieler haben Sie selbst namhafte Trainer erlebt, darunter auch Hermann Gerland, Ede Becker, Martin Andermatt, Rainer Zobel, Winfried Schäfer, Ralf Rangnick ebenso, wie beschreiben Sie sich als Trainer, was haben Sie sich gegebenenfalls von anderen abgeguckt?

Rainer Scharinger: Sich selbst zu beschreiben ist grundsätzlich schwer. Ich glaube auch, dass viele Trainer meist in Ihren Trainingsinhalten (Taktik, Technik)  oft ähnliche Muster aufweisen (der Fußball wird ja nicht täglich neu erfunden), meist unterscheiden Sie sich in der Akribie und in der Menschenführung. Ich war früher aufgrund meiner Spielposition im zentralen Mittelfeld  oft der „verlängerte Arm“ des Trainers und musste als Spieler vieles umsetzen und steuern! Da bekommt früh die Gedanken und Sichtweisen der Trainer genau mit! Ich wusste schon damals, dass ich auch mal Trainer sein möchte und machte schon mit 22 Jahren die B-Lizenz,  mit 29 meine A-Lizenz und mit 38 meinen Fußball-Lehrer! Ich hab von jedem meiner Trainer einiges mitgenommen – aber man sollte niemals jemanden kopieren, sondern immer authentisch bleiben und seinen eigenen Weg gehen!

Wie sieht Ihre Fußballphilosophie und Ihr bevorzugtes Spielsystem aus?

Rainer Scharinger: Das Wort „Philosophie“ ist mir zu hoch gegriffen! Wie schon erwähnt ist die Basis bei vielen Trainern sehr ähnlich! Man sollte sich da nicht so wichtig nehmen! Natürlich akzentuiert man dann als Trainer in verschieden Bereichen etwas stärker, aber mit solchen fußballerischen Schlagworten, wie beispielsweise Pressing, Umschaltspiel, Vertikalspiel, arbeitet heute sicher jeder Fußballtrainer. Ein bevorzugtes Spielsystem habe ich nicht. Ich entwickle mein System anhand meiner Mannschaft! Man muss ja erst mal sehen welche Spieler hat man zur Verfügung! Dazu ist  auch wichtig, wo steht das Team – wie ist die aktuelle Lage…etc! Es gibt vieles erst mal festzustellen und dann daraus seinen Plan zu fertigen! Aus diesen Erkenntnissen resultieren dann Trainingsinhalte, Positionen, Mannschaftsgefüge und Strategien!

Wie sehen Sie die Tätigkeit beim SC Rheindorf Altach in Österreich heute mit dem nötigen Abstand? Sie hatten ein neues Team geformt, und waren immerhin auf Rang Vier.
Rainer Scharinger: Ich glaube alle Beteiligten machten unter schwierigen Bedingungen (insgesamt verließen vor und während der Saison 15 Spieler den Verein) einen guten Job, der sich auch mit dem 4. Tabellenplatz  ausdrückte. Aus den letzten 6 Spielen vor der Winterpause holten wir 14 Punkte und vieles funktionierte, nach Wochen harter Arbeit, richtig gut! Doch plötzlich werden in diesem Metier Entscheidungen getroffen, die man nicht immer verstehen kann.Es ist dann immer gut, seine Erfahrungen für sich persönlich zu reflektieren, seine Schlüsse daraus zu ziehen und in zukünftige Tätigkeiten einfließen zu lassen! Darum möchte ich mich auch in diesem Fall nicht öffentlich dazu äußern. Nur so viel grundsätzlich dazu: Leider wird das Fußballgeschäft immer mehr durch Nebensächlichkeiten bestimmt und die ursprünglichen Dinge unseres Sports geraten oft sehr weit in den Hintergrund!   



Österreich war also eine Erfahrung, sind Sie auch offen für andere Länder, oder liegt Ihr Augenmerk auf deutschsprachige Länder?

Rainer Scharinger: Grundsätzlich bin ich ein Trainer der neben den sportlichen Inhalten auf dem Platz natürlich auch von seiner Sprache und somit der Rhetorik lebt. Es ist wichtig heute die Jungs auch verbal zu erreichen und manchmal zu berühren. Darum ist die Sprache für mich als Trainer ein „wichtiges Werkzeug“. Es ist sehr hilfreich, wenn jeder Mensch sich in seinem Lebensumfeld auch verständigen kann! Darum muss man in einem fremden Land auch schnell die Sprache lernen. Dann ist auch dort eine Arbeitsstelle eine gute Option.


Wir staunten damals in Aalen nicht schlecht, als Sie mit Ihren Spielern auch andere Wege gingen. Soziale Projekte haben Sie angeschoben, sowie Ausflüge, oder rein in die Fußgängerzone um Fans zu gewinnen. Die Identifikation der Spieler mit der Stadt, der Region, war Ihnen wichtig. Warum?
Rainer Scharinger: Ich weiß aus eigener Erfahrung sehr gut, dass man sich mit seiner Arbeit absolut identifizieren muss, um Höchstleistungen zu bringen. Es ist für mich selbstverständlich, mich an dem Ort wo ich lebe und arbeite einzubringen, einzufügen und mich auch zu engagieren! Nur dann „komme ich dort an“. Dann lebe ich meinen Job auch mit Herz und Leidenschaft. Söldnermentalität mit viel Egoismus hat noch nie zum Erfolg geführt. Und wenn die Jungs, durch soziale Projekte viele wichtigen Werte lernen und erleben … und damit auch Ihre Bodenständigkeit bewahren, dann kann man von einer wunderbaren Symbiose sprechen.

Dem Fußball verdanken Sie bestimmt viel, aber Sie sagten einmal, Fußball ist nicht alles. Sind Sie so gelassen, weil Sie auch noch anders Ihr Brot verdienen können?

Rainer Scharinger: Wer mich ein bisschen näher kennt weiß, dass ich schon immer „über den Tellerrand“ hinaus geschaut habe! Ich habe mich von jungen Jahren an immer für den „dualen Weg“ entschieden. Das bedeutet, dass ich den Fußball  immer mit Schule und Ausbildung verbunden habe. Ich habe heute drei Berufe, bin Verwaltungsfachwirt, Dozent und Fußball-Lehrer. Dies beschert mir viele Optionen in meinem Leben. Das war natürlich damals in den Ausbildungsjahren oft sehr hart – und 14 Stunden-Tage nicht selten, aber es hat sich in doppelter Weise gelohnt! Denn man hat gerade in schwierigen Zeiten als Spieler oder Trainer etwa schlechte Phasen oder Verletzung andere Schwerpunkte und Horizonte, die einem eine gute Lebensqualität vermitteln! Man ist zusätzlich immer durch ein soziales Netz gesichert und ist vor allem unabhängig. Ich bin sicher ein Teamplayer und sehr offen für konstruktive und beratende Gespräche. Aber gerade als Trainer gibt es Situationen, da muss man selbst entscheiden und darf sich nicht bedrängen lassen. Da muss man „geradeaus durchgehen“, egal was passiert! 



Spielen Sie selbst  noch Fußball?
Rainer Scharinger: Ja, sogar sehr gerne – und immer für die „gute Sache“. Ich spiele in verschiedenen Benefiz-Teams wie den „KSC Allstars“, dem „FC Unitas“ oder dem „Toto-Lotto-Team“! Und alle Beteiligten dieser Teams  konnten sicherlich in den letzten Jahren gemeinsam über 200.000 Euro für verschiedene Benefiz-Zwecke erspielen. Und seit einigen Jahren habe ich meine eigene Benefiz-Mannschaft gegründet: „Rainer Scharinger & Friends“! Jedes Jahr unterstützen wir eine andere Organisation materiell und finanziell. Dabei  verbinden wir Sport mit der guten Sache.  Letztes Jahr konnten wir einem Hospiz helfen. Gerade plane und organisiere unseren neuen großen Benefiz-Event 2013 zugunsten der Ettlinger Tafel. Jeder der Lust und Laune hat, kann sich unter unserer Homepage: www.scharinger-friends.de genauer informieren. Wir können jede Hilfe jederzeit gebrauchen. Vielen Dank!


 

Der 45-jährige gebürtige Karlsruher Rainer Scharinger war einst selbst talentierter Fußballprofi in der ersten und zweiten Bundesliga. Man kann auch sagen, dass Rainer Scharinger als "waschechter" Badener, für die wichtigsten und traditionsreichsten Clubs in Baden-Württemberg gespielt hat: beim Karlsruher SC, den Stuttgarter Kickers, in Mannheim,  in Pforzheim und beim SSV Ulm. Mit den Ulmer Spatzen stieg er in der Saison 1999/2000 gar in die Erste Bundesliga auf, wo das Aufstiegsteam von Ralf Rangnick aber nach einer Saison gleich wieder abstieg. 2006 wurde Scharinger Co-Trainer von Ralf Rangnick bei der TSG 1899 Hoffenheim. Außerdem wurde Scharinger bereits zu Rangnicks Zeit die U23-Elf anvertraut. Dass Rainer Scharinger ein Händchen für junge Talente hat, bewies er dann in den folgenden Jahren bei seinen weiteren Trainerstationen. Neben dem Fußball, legt Scharinger bei jungen Spielern Wert auf eine ganzheitliche Aus- und Weiterbildung.



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