MUSIK IM STADION
„Es liegen Welten dazwischen“
Als Sänger der NDW-Band Geier Sturzflug steigerte Klaus Fiehe das Bruttosozialprodukt. Heute ist er der Fachmann, wenn es um die Musik in Fußballstadien geht. Der Radiomoderator über die Unterschiede zwischen englischen und deutschen Stadien und Salzburger Technoklänge. Interview Holger Pauler
"You gays better pray we never come into Europe, Millwall FC.“ Diesen Satz entdeckte Radiomoderator Klaus Fiehe auf der Gästetafel seines WDR-Senders 1Live. Ein Roadie der Band Manic Street Preachers kritzelte den Spruch auf die Tafel. In beißend roter Schrift. „Ich fand ihn gut, weil er etwas Aggressives ausdrückte und authentisch schien“, sagt der 49-jährige Fiehe. Ein halbes Jahr später stand Millwall FC im Finale des FA-Cups. Gegner war Manchester United. Obwohl der Klub aus den Londoner Docklands mit 0:3 unterging, qualifizierte er sich damals für den Uefa-Cup. Der größte Erfolg in der 120-jährigen Vereinsgeschichte. Ansonsten ist Millwall vor allem durch die Ausschreitungen seiner Fans bekannt. Klaus Fiehe machte ein spannendes dreistündiges musikalisches Radio-Feature über den Klub und seine Fans für seine hervorragende Sendung „Raum und Zeit“. Musikfreunde kennen Fiehe außerdem als Saxofonisten der Spaßkapelle Geier Sturzflug, die zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle mit ihrem Lied „Bruttosozialprodukt“ polarisierte.
RUND: Klaus Fiehe, Sie haben vor einiger Zeit ein Radio-Feature über Millwall FC gemacht und dabei versucht, den Zusammenhang zwischen Fußball und Musik auf der Insel herzustellen. Wäre so etwas auch in Deutschland möglich?
Klaus Fiehe: Ich hatte mal kurz über Alemannia Aachen nachgedacht, weil die eine ähnliche sportliche Entwicklung hatten. Aber bei allem Respekt vor Aachen, musikalisch war da nichts zu holen. Engländer hören Popmusik anders als Deutsche. Pop hat dort eine eigene Handschrift.
Wie sieht die aus?
Die Tradition ist entscheidend. Beatles, Paul Weller und auch die adaptierte Musik der Einwanderer: Ska, Reggae oder Northern Soul. Das spiegelt sich auch in den Stadien wider. Deutschland hat keine Tradition innerhalb des Pop, auf die es aufbauen könnte. Hier sind es Westernhagen und Grönemeyer statt Blur und Oasis. Da liegen musikalische Welten zwischen.
Ist die Musik der einzige Unterschied?
Ich glaube, die ganze Herangehensweise an den Fußballsport ist in Großbritannien eine andere. Gesänge wie „wir wollen euch kämpfen sehen“ oder „Scheiß-Millionäre“ gibt es dort nicht. Die Fans unterstützen ihren Verein, egal wie es um ihn bestellt ist. In Deutschland schauen die Fans vor der Saison auf den Etat ihres Klubs, in England beschäftigen sie sich mit der Historie. Jedes Jahr kommen zu nahezu jedem Verein etliche Jahrbücher oder DVDs raus. Eine derartige Kultur gibt es bei uns nicht.
Können die Briten gar nichts von uns lernen? Mit „Go West“ von den Pet Shop Boys beziehungsweise den Village People wurde in 90ern immerhin ein Popsong in die deutschen Stadien gebracht.
Eine Ausnahme, die für mich auch schwer zu erklären ist. Zumal auch die Briten später darauf eingestiegen sind. Allerdings sagen die Zeilen „Ole, hier kommt der BVB“, die von den Dortmund-Fans dazu gesungen wurden, auch nicht allzu viel aus.
Können deutsche Fans überhaupt singen?
Doch, es gibt ja auch Ausnahmen. Die Fans von St. Pauli, auch wenn das jetzt wieder nahe am Klischee ist, gehören zu den Sangesfreudigsten in ganz Europa. Allgemein habe ich aber den Eindruck, vor allem in der Bundesliga, dass die Fans nur noch ins Stadion gehen, um sich etwas abzuholen, und nicht mehr aktiv sind. VIP-Logen, Sitzplätze und Fan-TV haben die alte Fankultur abgelöst. Die Leute lassen sich unterhalten. Vor allem von schlechter Musik.
Was war das Schlechteste, was Sie mitbekommen haben?
Es gibt da eine nette Anekdote aus Österreich: Bei Heimspielen von Austria Salzburg werden die Zuschauer vor dem Spiel, während des Spiels, in der Halbzeit und auch nach Abpfiff mit überlauten Technoklängen beschallt. DJs inszenieren die Fankurve. Auch mit Lightshows. Der Verein verteilt mittlerweile sogar Ohrenstöpsel, damit keine Hörschäden entstehen. Das ist pervers. In der Bundesliga war ich schon lange nicht mehr. Als ich noch in Dortmund gewohnt habe, war ich öfter beim BVB. Mit jeder Vergrößerung des Stadions wurde die Atmosphäre schlechter. Auf der Südtribüne stehen mittlerweile 28.000 Fans. Gemeinsame Lieder bekommen die kaum noch hin.
Gibt es also keine Hoffnung mehr?
In den unteren Ligen sind die Fans kreativer. Dort ist auch das Leiden größer. Sie nehmen ihre Situation mit Humor, Ironie, teilweise auch Sarkasmus. Andererseits sind dort die Freiräume größer. Der Event-Charakter ist dort noch nicht angekommen.
Das sagen Sie doch nur, weil Ihr Verein Preußen Münster in der dritten Liga spielt.
Ich bin zwar Preußen-Fan, aber auch nicht mehr so oft im Stadion. Ich bin kein Vielfahrer, versuche aber zumindest die Spiele von Preußen Münster mitzubekommen. Vor allem auswärts. Wenn es bei Münster gut läuft stimmen die Fans kurz vor Spielende einen „Call and response-Blues“ mit dem Namen „Der Hund“ an. Ein Vorsänger und etliche Fans antworten darauf. Das zieht sich über sieben, acht Minuten hin. In der Bundesliga wäre das undenkbar. Da kämen schon wieder zig Ansagen dazwischen. Rot-Weiß Essen Fans haben letztens „RWE, du Liebe“ gesungen. Lang gezogen, ohne großartige Melodie, aber beeindruckend.
Also doch eher britisch?
Vielleicht ist es sogar mit dem Verhalten englischer Fans zu vergleichen. Die Fans der drittklassigen Traditionsklubs wie Fortuna Düsseldorf, Rot-Weiß Essen oder Preußen Münster können ihre Teams im Vergleich zu früher doch gar nicht mehr ernst nehmen. Das verstärkt die Bindung an den Verein. Vielleicht sorgt das auch dafür, dass neue, auf den Klub bezogene Lieder entstehen.
Das Interview ist in RUND – #7_02_2006 erschienen.
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