EUROPAPOKAL
Zehn Zigaretten bis zum Schluss
Wie der FC Bayern vor 1987 das Finale der Champions League erreichte, durfte Klaus Augenthaler nicht miterleben. Die fünf packendsten Europacupspiele deutscher Teams. Von Elmar Neveling
Platz 5: Rohrbruch am Betzenberg
1. FC Kaiserslautern – FC Barcelona 3:1
Europacup der Landesmeister 1991/92, zweite Runde
Der 1. FC Kaiserslautern ist im November 1991 amtierender Deutscher Meister und noch niemals aus der Bundesliga abgestiegen. Und nun kommen die Stars des FC Barcelona in die Pfalz: Andoni Zubizarreta, Michael Laudrup und Hristo Stoichkov. Der Einzug in die erstmals ausgespielte Gruppenphase verspricht Mehreinnahmen. Das Hinspiel im Camp Nou hatte der FCK mit 0:2 verloren, wobei der Lauterer Guido Hoffmann sich den Luxus erlaubte, den Ball in bester Frank-Mill-Manier am leeren Tor vorbeizuschießen.
Hoffmann verwandelte seinen Frust in Trotz und kündigte vor dem Rückspiel an: „Wir werden die Bar√ßa-Stiere bei den Hörnern packen.“ Dem Spruch folgen Taten: Demir Hotic nickt bis zur 50. Minute zweimal ein, Bjaerne Goldbaeks 3:0 eine Viertelstunde vor Schluss lässt den Betzenberg beben. Dann die 90. Minute: Barça erhält noch einen letzten Freistoß. Ronaldo Koeman schießt die Kugel weit in den Strafraum hinein, Lauterns Abwehrspieler gehen nach dem Motto „nimm du ihn, ich hab’ ihn sicher“ zum Ball und das 1,72 Meter große „Kopfball-Ungeheuer“ José Maria Bakero köpft ins lange Eck zum 1:3. Der FCK ist raus. Die Pfälzer lassen sich nach Abpfiff fassungslos auf den Rasen fallen, bei einigen Profis fließen Tränen. „In unserer Kabine ist es nasser als nach einem Wasserrohrbruch“, fasst Trainer Kalli Feldkamp das Elend in Worte.
„Kaiserslautern war so überlegen, es wäre normal gewesen, hätten sie mit 4:0 oder 5:0 gewonnen“, bekennt Ronald Koeman, der nach seinem Popowischer 1988 am Trikot von Olaf Thon nicht unbedingt als Freund der Deutschen bekannt ist. Barcelonas Trainer Johan Cruyff stimmt zu: „So glücklich bin ich noch nie weitergekommen.“ Cruyff gewinnt mit Barça ein halbes Jahr später den Europacup.
Platz 4: „Kommt endlich raus, ihr Feiglinge!“
Werder Bremen – Dynamo Berlin 5:0
Europacup der Landesmeister 1988/89, erste Runde
Im Herbst 1988 duellieren sich im Europacup der Landesmeister nicht nur zwei Fußballklubs. Ost gegen West, Kommunismus trifft Kapitalismus – die Partie zwischen DDR-Serienmeister Dynamo Berlin und BRD-Titelträger Werder Bremen wird zum Spielball der Politik.
Unter gütiger Mithilfe von Torwart „Pannen-Olli“ Reck hatten sich die Norddeutschen bei Dynamo eine deftige Klatsche gefangen. Thomas Doll und Andreas Thom vernaschten die Werder-Abwehr ein ums andere Mal, zusammen mit dem dritten Torschützen Frank Pastor besiegelten sie die 0:3-Niederlage. Bremens Trainer Otto Rehhagel hakt das Weiterkommen bereits ab: „Es geht nur noch um die Ehre.“ Anders sieht das sein Stürmer Manni Burgsmüller, mit fast 40 Lenzen und mehr als 20 Profijahren. Kurz vor Anpfiff des Rückspiels trommelt er an die Gästekabine und brüllt: „Kommt endlich raus, ihr Feiglinge! Damit wir euch fertig machen können!“
Auch während des Spiels texten die Bremer ihre Gegenspieler unaufhörlich zu – und beeindrucken die Berliner damit tatsächlich. „Wie merkten, dass es wirkte“, sagte Werders Günter Hermann später einmal. Überhaupt Hermann: Der Mittelfeldspieler erweist sich als Prophet, als er vor Spielbeginn ganz nüchtern feststellte: „Ihr kriegt heute einen Fünfer.“
Doch Werders Spieler palavern nicht nur, sie lassen Taten folgen: Michael Kutzop per Elfmeter, Hermann selbst mit einem fantastischen Volleyschuss Marke „Tor des Monats“ und Kalle Riedle per Abstauber gleichen bereits nach gut einer Stunde zum 3:3 aus. Kabinentrommler Burgsmüller und Thomas Schaaf, heute Coach der Grün-Weißen, vollenden in den letzten zehn Minuten zu Hermanns Ankündigung: Fünf Stück für Dynamo – nach dem 6:2 vom Vorjahr gegen Spartak Moskau (nach 1:4 im Hinspiel) ist das zweite „Wunder von der Weser“ perfekt.
Unakademisch fällt das Fazit von Dynamo-Trainer Jürgen Bogs aus: „Das war hier die totale Scheiße." Sein Stürmer Andreas Thom, später mehrere Jahre in der Bundsliga aktiv, pflichtet ihm bei: „Es war das Schlimmste, was ich je im Fußball erlebt habe.“ Rehhagel hingegen hatte es schon vorher gewusst: „Ich habe immer gesagt, dass im Fußball alles möglich ist."
Platz 3: Es hat noicht mal „Rrrrr“ gemacht
Real Madrid – Bayern München 2:4
Champions League 1999/2000, zweite Gruppenphase
Er hat es nicht leicht, der deutsche Fußball. Sicher, er wird international gefürchtet, aber nicht geliebt. In Spanien gilt das Ballspiel als Sport des Schöngeistigen und der technischen Raffinesse – Qualitäten, die deutschen Kickern nicht unbedingt attestiert werden.
Der Argentinier Jorge Valdano, als Spieler und Offizieller über Jahre bei Real Madrid, bestätigt diesen Eindruck in seinem Buch „Über Fußball“: „Deutschland ist die Siegesmaschine. Bei jedem Spiel habe ich die Vorstellung, dass unter dem Rasen Hunderte von kräftigen Deutschen sitzen und in die Pedale treten, rudern oder an einer Kurbel drehen. Ich glaube sogar, das Geräusch der laufenden Maschine zu hören: Rrrrrrrrrrr….“
Umso beeindruckter sind die Spieler von Real Madrid im Frühjahr 2000. Bei den „Königlichen“ tritt der FC Bayern nicht nur dominant und offensiv wie eine Heimmannschaft auf, sondern glänzt mit technisch anspruchsvollem und rasantem Kombinationsspiel, dass es nur so kreiselt. Die Bayern siegen mit 4:2: Mehmet Scholl, Stefan Effenberg (der Real-Keeper Iker Casillas mit einem Freistoß ins kurze Eck narrt), Thorsten Fink und Paulo Sergio legen mit ihren Toren den Grundstein zum Sieg. Insgesamt ein fulminanter Bayern-Auftritt . Die Gegentore von Fernando Morientes und Raúl ersparen den Spaniern eine größere Demütigung.
Bayerns brasilianischer Stürmer Giovane Elber, von seinem Naturell her längst Deutscher, platzt nach Abpfiff fast vor Genugtuung: „Wir waren besonders motiviert. Der Trainer von Real, Camacho, Caramba, oder wie der heißt, hat gesagt, dass die Deutschen nur kämpfen und nicht kombinieren. Heute hat er etwas gelernt. Nächstes Mal soll er seine Fresse halten.“ Caramba, mit richtigem Namen Vicente del Bosque, hatte vor der Partie das Klischee bedient: „Bayern spielt ohne Herz, nur mit Kampf.“
Die spanische Presse zeigt sich demütig, „El País“ titelt stellvertretend: „So ist das Bernabéu-Stadion noch nie gestürmt worden.“ Und die Bayern setzen gut eine Woche später noch einen drauf, schlagen die Madrilenen auch im Rückspiel begeisternd mit 4:1 – zugleich die letzte Partie des „ewigen Loddar“ Matthäus im Bayern-Trikot.
Bitter, dass dann im Halbfinale ausgerechnet gegen die Spanier das „Aus“ folgt: Trotz dreier Siege in vier Spielen gegen den späteren Cupsieger scheiden die Münchner in der Königsklasse aus. Da halfen selbst die Pedale nicht…
Platz 2: Zehn Zigaretten bis zum Schluss
Real Madrid – FC Bayern 1:0
Europacup der Landesmeister 1986/87, Halbfinale
Klaus Augenthaler läuft zitternd in der Kabine umher. „Ich glaube, ich hab’ in fünf Minuten zehn Zigaretten geraucht. Ich war fix und fertig“, gesteht er. Europacup-Halbfinale 1987. Real Madrid gegen den FC Bayern. Warum „Auge“ nicht mehr mitspielte? Der Kapitän der Münchner hatte nach einem Revanchefoul an Hugo Sanchez die rote Karte gesehen.
Die Bayern werden in Madrid in einer Mischung aus Ehrfurcht und Verachtung „la bestia negra“ genannt: „die schwarze Bestie“. Und diesem Namen waren sie im Hinspiel gerecht geworden, als sie mit 4:1 gewonnen hatten. Juanito trat dabei dem auf dem Boden liegenden Lothar Matthäus ins Gesicht. Nachdem Augenthaler gefoult wurde, streckte er die Zeigefinger neben seinem Kopf hoch und deutete so die Hörner eines Stiers an – für die Spanier eine Provokation. Entsprechend aufgeheizt ist die Atmosphäre zum Rückspiel.
Das Stadion droht zu zerbersten, bengalische Feuer zögern den Spielbeginn hinaus. Real hat zu dieser Zeit noch nicht das gediegene Theaterpublikum von heute. Über 100.000 Fans bilden eine unfassbar laute, furchteinflößende Kulisse. Real-Ultras lassen Eisenstangen, Feuerwerkskörper und Steine hageln. Das Estadio Santiago Bernabéu und seine an diesem Abend feindselige Stimmung, es scheint die Bayern zu verschlucken und verächtlich wieder auszuspucken. „Auge“ leidet nach dem Platzverweis in den Katakomben: „Ich wollte erst auf die Bank, dann hat mich die Polizei in die Kabine abgeführt. Dort war es das Schlimmste. Du hörst die Massen draußen und weißt nicht, ist ein Tor gefallen oder nicht.“
Ganz böse erwischt es beinahe Bayern-Keeper Jean-Marie Pfaff, als wenige Meter entfernt von ihm ein Messer im Strafraum landet. Doch den Belgier beeindruckt das ebenso wenig wie die Angriffslawine der „blancos“. Auch wenn sich die Zeit bis zum Abpfiff auszudehnen und die Stadionuhr stillzustehen scheint, Pfaff blendet alles aus: Mit unwiderstehlichen Reflexen pariert er jeden noch so präzisen Schuss von Hugo Sanchez und Emilio Butragueño. Das 0:1 bringt seine Mannschaft ins Finale. „Ich kenne keine Angst“, erklärt ein abgebrühter Pfaff nach Abpfiff und wird später zum Welttorhüter 1987 gewählt. Das hindert den FC Bayern jedoch nicht, seinen Publikumsliebling nur ein Jahr später unrühmlich auszumustern.
Im Endspiel spielen die Bayern schnoddrig, geradezu hochnäsig. Trotz Führung verlieren sie mit 1:2 gegen den krassen Außenseiter FC Porto. Ohne den gesperrten „Auge“, dem an diesem Abend auch seine Glimmstängel nicht helfen.
Platz 1: „Das ist gelaufen“
Bayer 05 Uerdingen – Dynamo Dresden 7:3
Europacup der Pokalsieger 1985/86, Viertelfinale
Kalli Feldkamp ist ein selbstbewusster Mann, der nie um eine wortreiche und zielsichere Spielanalyse verlegen ist. Fast nie. Denn diesmal ist selbst Uerdingens Trainer fassungslos und versucht, das Gesehene zu begreifen: „Es ist kaum zu glauben, fußballerisch auch nicht zu erklären.“
Ein Spiel wie eine Hollywood-Schnulze. „Realitätsferne Dramaturgie“, würden die Kritiker des Feuilletons urteilen. Doch im März 1986 wird die Schnulze zur Realität. Es ist noch die Zeit vor Wende und Mauerfall, der Anfänge von Glasnost und Perestroika. Im Viertelfinale des Europacups der Pokalsieger treten Dynamo Dresden und Bayer Uerdingen zum deutsch-deutschen Duell an. Dynamo stellt ein glänzendes Team mit späteren Bundesliga-Stars wie Ulf Kirsten oder Matthias Sammer, dessen Vater Klaus auf der Trainerbank sitzt.
Nach den ersten 45 Minuten des Rückspiels scheint die Entscheidung bereits gefallen. Uerdingen hatte das Hinspiel in Sachsen mit 0:2 verloren und liegt nun auch in der Grotenburg-Kampfbahn mit 1:3 hinten. „Das ist gelaufen“, spricht ZDF-Kommentator Rolf Kramer ins Mikro und niemand mag ihm widersprechen. Schließlich fehlen Bayer satte fünf Tore zum Erreichen der nächsten Runde „In der Halbzeit haben wir uns geschworen, uns mit Würde aus dem Wettbewerb zu verabschieden", erzählt Feldkamp später. Sammer muss nach knapp einer halben Stunden ebenso ausgewechselt werden wie zur Pause Torhüter Bernd Jakubowski, dessen Schultergelenk nach einem Foul von Bayers Wolfgang Funkel gebrochen ist. Dennoch, der Zwischenstand duldet keine Zweifel am Dresdner Weiterkommen.
Zu Wiederanpfiff ist die kleine Arena halbleer, viele der 22.000 Zuschauer haben das Stadion bereits enttäuscht verlassen – und eilen hastig wieder zurück, als sie von den schier surrealen Ereignissen hören. Erst in der 58. Minute gelingt Uerdingen der zweite Treffer, Wolfgang Funkel trifft vom Elfmeterpunkt. Schlag auf Schlag geht es weiter: Die Bayer-Profis lassen keinen Zentimeter Rasen unbeackert, Dynamo zieht sich verschreckt zurück. Larus Gudmundsson, Ralf Minge mit einem Eigentor, Dietmar Klinger, der unbedrängt durchs Mittelfeld spazieren kann, und erneut Funkel per Handelfmeter schießen innerhalb einer guten Viertelstunde ein 6:3 für Uerdingen heraus.
Bayer-Keeper Werner Vollack, zuvor noch Einpeitscher der verbliebenen Fans, bewahrt sein Team mit drei fantastischen Paraden binnen einer Minute vor dem Ausscheiden, ehe Wolfgang Schäfer mit einem unwiderstehlichen Sololauf aus der eigenen Hälfte heraus den 7:3-Schlusspunkt setzt. Sechs Tore in einer halben Stunde, das „Wunder von der Grotenburg“, es ist vollbracht! Unterstützt allerdings von manch umstrittener Entscheidung des ungarischen Referees Lajos Nemeth.
„Es gibt Situationen (…), in denen sprechen Bilder, da muss man nichts mehr kommentieren“, befindet Kramer und ahnt bereits: „Das ist ein Spiel, aus dem Europacup-Legenden gewoben werden.“ Wolfgang Funkel weint nach dem Spiel Freudentränen: „Mir ist vor lauter Glück schwindelig“, stammelt der dreifache Torschütze. Ein Zustand, der sich so rasch nicht ändert, denn die Mannschaft feiert die einzigartige Aufholjagd mit zwei eilig organisierten Kästen Bier.
Für die Sachsen ist es fast ein Déjá-vu, nachdem sie im Vorjahr bereits ein 3:0 gegen Rapid Wien noch mit einem 0:5 in Österreich verspielt hatten. Jakubowskis noch unerfahrener Vertreter Jens Ramme übernimmt deprimiert für zwei Gegentore die Verantwortung und verlässt Dynamo ein gutes Jahr später, nachdem der Keeper seinen Stempel als Sündenbock nicht loswird. Das Spiel erfährt nachträglich eine brisante politische Note: Dynamo-Stürmer Frank Lippmann, Torschütze in Hin- und Rückspiel, nutzt den Aufenthalt im Westen zur Flucht; sein Trainer Klaus Sammer wird nach Saisonende durch „Ede“ Geyer ersetzt. Bayer 05 hingegen findet im Europacup-Halbfinale gegen Atlético Madrid seinen Meister.
Traurig, was inzwischen aus beiden Klubs geworden ist: Ohne die Unterstützung des Bayer-Konzerns dümpelt der heutige KFC Uerdingen 05 in der Verbandsliga Niederrhein umher und stand bereits kurz vor der Insolvenz. Auch bei Dynamo Dresden denken sie im Abstiegskampf in der Zweiten Liga melancholisch an frühere Erfolgszeiten.
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