TORJÄGER
„Ich habe die Kanone nie bekommen“
Die Torjägerkanone wird seit 1966 fast jedes Jahr an den besten Torschützen der Bundesliga verliehen und ist das gusseiserne und martialische Symbol einer Sportart, in der aus allen Lagen geschossen wird. Nur einmal, 1971, ging Lothar Kobluhn für 36 Jahre leer aus. Die Geschichte der Kanone, die unterschiedlichste Behandlungsweisen erfuhr: gepflegt, verehrt, weggesperrt, misshandelt. Von Stefan Hossenfelder und Rainer Schäfer
Mehr >125 JAHRE HSV
Stars in roten Hosen
125 Jahre HSV: Idole wie Rudi Noack zogen schon vor 80 Jahren die Fans an. Eduard Kubiak, 96, erinnert sich an weite Wege zum Rothenbaum. Von Matthias Greulich
Das HSV-Stadion am Rothenbaum. Foto Archiv
„Wie konnte man nur so bekloppt sein?“, fragt sich Eduard Kubiak (96) noch mehr als 80 Jahre später. Anderthalb Stunden war er zu Fuß von der Veddel bis zum Stadion des Hamburger SV am Rothenbaum unterwegs, um Rudi Noack und Richard Dörfel spielen zu sehen. Die Spieler mit der Raute gehörten Anfang der 1930er-Jahre zu den besten in Deutschland, und Kubiak muss zugeben: „Wahrscheinlich wäre ich noch weiter gelaufen.“
Viele Fans verbindet eine ganz persönliche Geschichte mit dem Traditionsklub. Eduard Kubiak stand im alten Stadion am Rothenbaum immer hinter dem Tor des Gegners. Er wollte die Spieler mit den roten Hosen bei ihrem Sturmlauf auf das gegnerische Tor beobachten. Rudi Noack, WM-Teilnehmer 1934, war das, was heute Rafael van der Vaart ist. „Ich habe ihn bewundert. Er kam mit glitzerndem Haar ins Stadion“, so Kubiak. Noack war nicht aus London zum HSV gewechselt wie van der Vaart, sondern vom SV Harburg. Von dort reisten drei Harburger, zu denen neben Dörfel und Noack noch Rudolf Greifenberg gehörte, mit der Bahn an. Am Bahnhof Dammtor passten Kubiak und seine Kumpels auf der letzten Etappe ihres Fußmarsches die HSV-Stars ab. Die Jungs von der Veddel folgten ihren Idolen, die modische Mäntel trugen, bis zum Stadion. 20 Pfennig kostete der Eintritt, fünf Pfennig mehr als die Straßenbahnfahrkarte. „Das Fahrgeld haben wir damals lieber gespart“, sagt Kubiak, der heute in einer Seniorenresidenz in Wedel lebt.
Kubiak, als Fußballer mäßig talentiert, hatte beim katholischen SC Hermannia begonnen, Jugendspiele zu pfeifen. „Meinen Schiedsrichter-Ausweis trug ich in der Brieftasche. Als die Engländer während meiner Kriegsgefangenschaft einen Referee suchten, habe ich mich sofort gemeldet.“ Noch wertvoller als die Kenntnis der Fußball-Regeln war das Schulenglisch, das er mit zehn Jahren auf der Schule Bullenhuser Damm bei der Lehrerin Fräulein Rubbert gelernt hatte. Kubiak frischte es durch tägliche Nachhilfestunden eines Mitgefangenen auf, der Englischlehrer in München gewesen war. Schließlich wurde er Dolmetscher. „Any complaints?“, war der häufigste Satz, den er übersetzen musste. „Irgendwelche Beschwerden?“
Nach fast drei Jahren in britischer Gefangenschaft kehrte Eduard Kubiak 1948 auf die Veddel zurück. Weil er eine kaufmännische Ausbildung gemacht hatte, fand er eine Stelle in der Justizbehörde, später brachte er es zum Oberamtmann. Mit einigen Kollegen besuchte er ein Spiel eines benachbarten Fußballklubs, der sein Stadion damals noch an der Glacischaussee hatte. „Nach dem Krieg begann meine Liebe zu St. Pauli“, sagt Kubiak, in dessen Zimmer in der Seniorenresidenz in Wedel heute ein Wimpel der Braun-Weißen hängt. Immer stand er hinter dem Tor. „Dort wurde Platt gesprochen. Es waren Hafenarbeiter im Stadion. Das erinnerte mich an die Alte Veddel.“
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Postkarte des HSV-Clubhauses von 1922 gegenüber dem Stadion an der Rothenbaumchaussee
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