TOR ZUM OSTEN
Na zdrowie, Trainer!
Slawomir Peszko ist kein Einzelfall. Der Einfluss von Alkohol im polnischen Profifußball ist groß: Bei Spielern, Trainern und Funktionären. Aber das soll sich jetzt ändern. Von Olaf Sundermeyer.
Flaschen auf dem Fußballplatz: Ein häufiges Bild in Polem Foto Olaf Sundermeyer
Für Slawomir Peszko endete die Europameisterschaft schon mit ihrer Generalprobe. Zwar stand der polnische Nationalspieler des 1.FC Köln noch 14 Minuten lang bei dem Freundschaftsspiel gegen Portugal (0:0) auf dem Platz, mit dem vor einigen Wochen das neue Nationalstadion in Warschau eingeweiht wurde. Aber es war sein letztes Spiel für die weiß-rote Reprezentacja. Das gab Nationaltrainer Franciszek Smuda jetzt bekannt, nachdem Peszko am vergangenen Wochenende betrunken in einem Taxi randaliert hatte, die anschließende Nacht in einer Ausnüchterungszelle der Kölner Polizei verbringen musste, und auch von seinem Klub-Trainer zunächst nicht mehr berücksichtigt wird. „Peszko ist raus, denn das war nicht seine erste Verfehlung“, sagte Smuda der Sporttageszeitung „Przegląd Sportowy“. Er habe sich wegen Peszko „vor Wut geschüttelt“.
Der ehemalige polnische Weltklassespieler Zbigniew Boniek (Juventus Turin, AS Rom) jedenfalls hatte schon vor dem Fall Peszko vor der Trunksucht gewarnt: „Eines der größten Probleme im polnischen Fußball ist nicht die Frage des Spielsystems 4-2-3-1 oder 4-4-2. Es geht darum, ob die Spieler trinken oder ob sie nicht trinken,“ sagte „Zbychu“ in einem Fernsehinterview. Denn im Dunstkreis des Fußballs wird gesoffen, was das Zeug hält, nicht nur unter den Fans. Auf Schiedsrichtertagungen, wo die Herren der Zunft in Verbandstrainingsanzügen Wódkaflaschen schwenken, damit aber blöderweise auf großformatigen Fotos in der Zeitung landen. Selbst dem deutschen Unikum und ehemaligen Manager von Bayer Leverkusen, Rainer Calmund, gelang ein sehenswertes Interview mit dem der sichtlich angetrunkenen Grzegorz Lato (WM-Torschützenkönig von 1974) in Österreich– unmittelbar nach dem polnischen Ausscheiden bei der EURO 2008. Arm in Arm mit Włodzimierz Smolarek (selig), Stürmer aus der Ära von „Zbychu“ Boniek, dem angesichts seiner gelösten Gesichtszüge keine Trauer über das Ausscheiden der Mannschaft seines Sohnes Ebi anzusehen war. „Calli“ jedenfalls sendete das schwer verständliche Gelalle auf Deutsch (Smolarek) und Englisch (Lato) skrupellos durch seinen Videoblog calli.tv in die Welt. Ein paar Monate danach wurde Lato in einer Kampfabstimmung gegen Boniek zum Präsidenten des polnischen Fußballverbandes (PZPN) gewählt. Es sollte ein Neuanfang sein für den polnischen Fußball.
Lato sollte vor allem mit der Korruption im PZPN aufräumen (inzwischen steht er selbst unter Verdacht). Und just bei einem Gespräch zu diesem Thema wurde ich beim Verband in Warschau auch mit diesem weiteren Problem konfrontiert, dem Alkohol. Schon damals ahnte ich, dass Alkohol und Korruption hier in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen. Ich hatte um den Termin gebeten, um einige Fragen zu dem bis dahin größten Korruptionsskandal in der europäischen Fußballgeschichte zu stellen. Das Gespräch fand gegen 14 Uhr statt. Die Alkoholfahne meines Gegenübers reichte in jede Ecke des Besprechungsraums. Aus den Fenstern hatte ich eine schöne Aussicht auf das wiederaufgebaute Stadtschloss. Dann wanderte mein Blick durch den Raum. Ein paar Wimpel an der Wand, die Zimmertür war mit Lederimitat aufgepolstert. Wer wohl diesen Trend seinerzeit im Ostblock eingeführt hat? Stattdessen stellte der Bevollmächtigte des PZPN mir eine Frage: „Wo ist hier eigentlich das Problem?“ In weiten Schwüngen seiner Sprachmelodie hatte er zur Unschuldsproklamation ausgeholt: Zuständig sei man wohl nicht hier in der Verbandszentrale. „Wir sind ja nicht die Polizei.“ Damit gab er mir gleich die Antwort auf seine eigene Frage. Er rührte umständlich in seiner Kaffeetasse, bot mir höflich Kekse an und lächelte dabei. Sein Nebenmann, der für die disziplinarischen Dinge beim PZPN zuständig war, bediente dazu die Erfolgspauke, in der Hoffnung, dass sie lauter klingt als die ewige Leier von der polnischen Korruption: „Wir haben zuletzt an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen und gerade erst Portugal in der Qualifikation zur Europameisterschaft geschlagen. Sie sehen also, dass dieses Problem den Fußball in Polen selbst gar nicht beeinträchtigt. Oder glauben Sie etwa, dass diese ganze Angelegenheit Ebi Smolarek in seiner
erfolgreichen Spielweise beeinträchtigt?“ Dafür, dass dieser Verband in seinen „Grundfesten erschüttert“ sein sollte, wie ich es in einem Kommentar gelesen hatte, herrschte hier eine ziemlich sorglose Stimmung. Sollte es also in der Vergangenheit zu gewissen Unregelmäßigkeiten gekommen sein, hieß es schließlich, dann sei das schon lange her. Zum Abschied dann gab mir der Bevollmächtigte die rechte Hand, legte die Linke auf meine Schulter und kam mir dabei sehr nahe. Ich hielt unbemerkt die Luft an. Dann gab er mir noch eine Frage mit auf den Weg – und dazu gleich wieder die Antwort. Ob man denn in Deutschland wegen dieses käuflichen Schiedsrichters aus, diesem, wie heißt der noch? – Robert Hoyzer – „Ach ja, danke, also stellt man bei Ihnen wegen dieses Robert Hoyzer das ganze System infrage? Nein? Na sehen Sie, so ist es bei uns auch!“
Jedenfalls hat das Trinken im polnischen Tradition, der man sich nur schwer entledigen kann. Vor Slawomir Peszko war es bereits Torhüter Artur Boruc (AC Florenz), der seine Nationalmannschaftskarriere versoffen hatte. Etwa in Lemberg (Lwiw), nach einem Freundschaftsspiel im Herbst 2008 – gegen die Ukraine. Nach der Niederlage (0:1) hatte Boruc das Mannschafshotel „Opera“ unerlaubt verlassen, um ein paar hundert Meter weiter im „Grand Hotel“ einzuchecken. Dort waren einige Journalisten und die Funktionäre einquartiert. Erst ging es an die Minibar im Zimmer, dann wurden größere Wódkaflaschen aus dem Hotelrestaurant bestellt. Anfangs waren sie zu acht, später zu fünft, schließlich nur noch zu dritt, Artur Boruc und die beiden Nationalspieler Dariusz Dudka und Radosław Majewski– auf dem Zimmer des Torhüters, dessen Bett im Laufe dieser Nacht auch noch zerbrach. Eine polnische Zeitung schilderte das Gelage anschließend in seinen Einzelheiten. Bis hin zu dem Augenblick, in dem die hübsche Übersetzerin der Mannschaft die Szene betritt. Die drei betrunkenen Spieler beorderten die Dame zu sich und forderten sie zum Sex auf. Dafür habe man ihr gar ein paar Tausend Euro angeboten, heißt es in der Zeitung. Schließlich wurde der Manager der Reprezentacja herbeigerufen, und beendete den Reigen. Morgens dann sei Boruc in Unterhose und Socken bekleidet beim Frühstück erschienen. Der damalige Nationaltrainer Leo Beenhakker suspendierte alle drei wegen „inakzeptablen und unverantwortlichen Verhaltens“. Boruc kehrte später zwar in den Kader zurück. Flog aber zwei Jahre danach wieder raus– diesmal endgültig. Er hatte im Flugzeug zu einem Länderspiel betrunken das Bordpersonal angepöbelt.
Auf der Trainerbank des Finalstadions, dem Olympiastadion in Kiew: Olaf Sundermeyer
Foto Olaf Sundermeyer
Olaf Sundermeyer: Tor zum Osten, Werkstatt Verlag, 12,90 Euro, ISBN-13: 978-3895338533
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