LA LIGA
Bernd Schuster: Keiner für alle
Als Spieler war Bernd Schuster Weltklasse. Als Trainer will er es werden. Am liebsten schon in der nächsten Saison beim neuen Meister Real Madrid, bei dem Schuster nun unterschrieben hat. RUND traf den blonden Engel in Spanien. Von Ronald Reng
Auf der Trainerbank: Viele wünschen sich, dass Bernd Schuster bald Real Madrid und nicht mehr den Vorstadtklub FC Getafe coacht Foto Sebastian Vollmert
In dem Moment, als sein Fuß den gelben Ball berührt, macht es Flash! im Kopf. Und die Zeitreise beginnt. Auf einen Schlag sind dies die achtziger Jahre, ein volles Stadion, der Camp Nou, vielleicht auch das Bernabéu, 100.000 auf den Rängen. Und ein blonder Engel schaut seinem Torschuss hinterher. Der Ball dreht sich in der Luft, Bernd Schuster, el ángel rubio, hat den Schuss mit dem Innenrist angeschnitten. Wenn der Torwart sich jetzt nicht streckt, landet der Ball genau im Winkel ... – da bringt einen ausgelassenes Gelächter abrupt zurück in die Wirklichkeit; zurück auf einen Trainingsplatz direkt an der Autobahn Madrid – Toledo, knapp 20 Zuschauer auf der Tribüne, zwei Rentner, drei Schulschwänzer, ein Dutzend Journalisten. Nur die Haare sind noch immer so engelsblond, engelslang. Aus Gelächter wird triumphales Geheul: Kindisch freuen sich die Fußballprofis des spanischen Erstligaklubs FC Getafe, dass auch dieser Schuss ihres Trainers Bernd Schuster über die Latte strich.
Es war seine Haltung beim Schuss, die in einem Gedankenblitz den jungen Schuster zurückbrachte, diese schnelle, elegante Drehung aus der Hüfte. Allein, die Kraft steckt nicht mehr hinter seinem Schuss. Schuster, 46 nun, haut sich auf die Schenkel, „gibt’s doch gar nicht“, das Torschusstraining ist längst zum Schabernack zwischen ihm und seinen Spielern ausgeufert, er macht da gerne mit. Tief in ihm allerdings ist etwas erwacht: die ewige Lust eines Fußballers, den Ball ins Tornetz fliegen zu sehen. Das Training dauert nun schon zwei Stunden statt der vorgesehenen anderthalb, und es bleibt kein Zweifel: Es wird nicht zu Ende sein, bevor Bernd Schuster nicht trifft.
Bernd Schuster: Junge aus Augsburg, Idol der Achtziger. Er war Maradonas Zauberpartner beim FC Barcelona, „und, stell dir vor, Maradona hat mir sogar den Ball gegeben“. Später steuerte er auch Real Madrids Spiel. Bernd Schuster: Er wurde nicht Trainer, weil ihn die Idee schon immer fasziniert hätte. Es schien ihm bloß die nächstbeste Alternative, als er die Spielerkarriere beenden musste; eine Möglichkeit, weiterhin auf dem Fußballplatz zu sein.
Als er mit Getafe, der kleinen Elf aus der Madrider Vorstadt, über ein paar Wochen mal an der Tabellenspitze der spanischen Primera DivisiÛn logierte, fragte sich alle Welt, wie er das mache. Und in Deutschland fiel auf, dass man den Trainer Schuster gar nicht richtig einschätzen könne, der wie schon als Spieler den Großteil seiner Karriere in Spanien verbringt. Heute spielt Getafe im Mittelfeld der Liga, ärgert gelegentlich einen der großen Klubs, ist aber schon wieder aus dem Blick der breiten Öffentlichkeit verschwunden. Für Schuster bedeutet dies den Klub in der Ersten Liga zu halten und sich damit für höhere Aufgaben zu qualifizieren – und ein bisschen auch immer noch sich selbst zu überzeugen, dass Trainer wirklich die richtige Arbeit für ihn ist.
Er hat den hässlichen Seiten Getafes den Rücken gekehrt. Ein Zimmer ausdrücklich nicht zur Hinterseite des Hotels Hesperia hat er sich geben lassen, „so etwas hast du noch nie gesehen, 70, 80 Kräne stehen da“, und übertrieben ist das nicht, ein komplettes Wohnviertel wird dort aus den Boden gestampft. Ob man den Blick aus seinem Fenster schöner nennen darf? Er geht auf einen McDonald’s DriveInn und die Schnellstraße. Für Schönheit hat sich Getafe keine Zeit genommen, von 23.000 Einwohnern 1960 wuchs es zu einer Madrider Trabantenstadt mit heute 190.000 Bewohnern.
Nachmittags um fünf ist es menschenleer in seinem Hotel, vier Sterne, gesichtslos. „Ich mache das ja zum ersten Mal, im Hotel leben.“ Die Kinder sind jetzt aus dem Haus, die Frau in Deutschland. „Also, ab und zu brauche ich das auch, ins Grüne nach Deutschland zurückfahren, doch ich muss sagen, ist gar nicht so schlecht, im Hotel zu leben.“ Aber in diesem Hotel, in dieser Umgebung? „Das Zimmer ist immer sauber, es wird nicht eingebrochen und ich nehme ein bisschen ab, weil einem die Lust auf immer dasselbe Hotelessen vergeht.“ Die deprimierende Leere der Lobby sagt einiges über Bernd Schuster: Er schafft es, überall zu Hause zu sein, „wenn ich einen Fußballplatz habe“.
Er war unter anderem schon in der Zweiten Liga Spaniens und in der Ukraine Trainer. Er kennt da keinen Dünkel. „Du lernst den Trainerjob nicht, wenn du daheim herumsitzt“, sagt er, „und ich konnte nicht erwarten, dass ich gleich ganz oben einsteige. Nur weil ich ein Weltklassespieler war, heißt das ja nicht, dass ich ein Weltklassetrainer werde.“ Nach fünf Stationen in sieben Trainerjahren inklusive dreier Entlassungen hatte Schuster einen Ruf weg: Seine Teams beginnen die Saison immer stark, heißt es. Und brechen dann noch stärker ein. Er könnte einige Argumente gegen dieses Pauschalurteil anführen, zum Beispiel, dass es sicher nicht half, als 2002 bei CD Xerez der Präsident die Elf monatelang nicht mehr bezahlte. Aber er weiß, dass im Fußball nur schwarz oder weiß hängen bleibt.
Noch immer lebt der Spieler in Schuster. Das hilft, Herz und Verstand seiner Profis zu gewinnen. Er war besser, als sie es je sein werden, aber er würde das nie heraushängen lassen. Er ist der Erste unter gleichen, einfühlsam, verständnisvoll. Der Spieler in ihm erschwerte Schuster allerdings – zumindest bei seinen vorherigen Vereinen – auch die Trainerarbeit. Wenn ihn Präsident oder Medien nervten, stürzte er sich in die Konfrontation. Oft trug er so dazu bei, das Arbeitsklima zu verderben.
In Spanien halten sie das für deutsche Tugenden: dickköpfig sein, engstirnig. Sie haben einen Ausdruck für die Deutschen: Cabezas cuadradas – Quadratschädel. „Aber mittlerweile ist mein Kopf doch schon ziemlich abgerundet. Natürlich, als Spieler war ich der Wahnsinn. Für mich gibt es nichts Schlimmeres als Langweile. Und das Fußballerleben hat so viel Monotonie, Hotel, Flughafen, immer Warten. Wenn es mir wieder zu eintönig wurde, habe ich gezündelt, Theater gemacht. Ich dachte, wenn es richtig kracht, spiele ich am besten. Ich war ein 21-jähriger Blonder, der vor nichts Angst hatte.“
El ángel rubio: Bernd Schuster ist fast so engelsblond wie damals Foto Sebastian Vollmert
Er lacht, und die tiefen Falten an seinen Augen offenbaren, wie gerne und oft er lacht, Bernd Schuster, der vielen auf ewig als der zornige junge Mann gilt. Wenn er merkt, er amüsiert die Leute, blüht er auf, dann vergisst er auch schon mal, dass all das, was er gerade erzählt, morgen in der Zeitung steht. „Bei Bayern München hast du Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge im Rücken, lauter Fachleute, da bin ich doch froh, dass ich hier einen Präsidenten habe, der keine Ahnung vom Fußball hat“, sagte er einmal bei seinem vorherigen Klub UD Levante. Er dachte, er mache einen Witz. Später entließ ihn der Präsident.
„Am Anfang war ich bei meinem alten Trainer Leo Beenhakker zum Praktikum. Ich habe mir die Fußballschuhe geschnürt und gedacht, ich würde ein bisschen mitkicken. Leo, der Hund, hat mich dann die ganze Woche nicht an den Ball gelassen. Als beim Spiel Fünf gegen Zwei einer fehlte, hat er lieber den Physiotherapeuten einspringen lassen. ,Leo!‘, flehte ich. Aber der Hund wusste, was er tat: ,Bernd, vergiss den Spieler Schuster, du bist jetzt Trainer.‘ Da habe ich es zum ersten Mal kapiert.“
Und jetzt sind Sie es mit ganzem Herzen: Trainer? „Uhm. Sagen wir, ich bin ganz gut dabei, es zu werden.“
Denn was ersetzt das Gefühl, selber ein Tor zu schießen? Schon über zwei Stunden dauert das Training, nur noch vier Spieler halten mit ihm beim Torschuss aus, aber „eine Runde noch, wirklich die letzte“, sagt Schuster. Craioveanu gibt den Kommentator: „Der Trainer! Er ist aus einer anderen Galaxis! Aber aller Druck lastet auf ihm: der letzte Schuss, alles oder nichts. Wird er doch noch sein Törchen schießen?“ Bernd Schuster legt sich den gelben Ball vorsichtig zurecht. Ständig wird er in den spanischen Medien als neuer Trainer von Real Madrid gehandelt; er hat in Getafe endlich den Ruf besiegt, es ende immer schlimm mit ihm. Er dehnt mit einem Ruck den Oberschenkel, läuft an, und Flash! – man braucht gar nicht hinschauen, wie er schießt. Man weiß: Diesmal wird es gut ausgehen. Ein Aufschrei bringt einen zurück in die Wirklichkeit: „Neeein!“ Es ist der Torwart, der nach dem letzten Schuss schreit.
Der Text ist in RUND #7_02_2006 erschienen
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