bob marLey
„Fußball ist Freiheit“
Ein Ball, eine Gitarre, eine Bibel, Gras und Liebe. Bob Marley träumte von einer Welt, in der sich alle Menschen die Bälle zuspielen. Der größte Reggaemusiker aller Zeiten liebte den Fußball so sehr, dass er am liebsten Profi geworden wäre

Bob Marley
„Fußballer oder Revolutionär“: Bob Marley konnte nicht ohne Fußball leben Illustration Sven Taucke


Es war ein unglückliches Tackling, bei dem sich Bob Marley am rechten Fuß verletzte. Humpelnd verließ er das Feld. „Ich war dabei, als es passierte“, erinnert sich Tyrone Downie, der geniale Keyboarder der Wailers fast 30 Jahre später. „Aber ob diese Verletzung letztlich seinen Krebstod ausgelöst hat, darüber kann ich nichts sagen. Man hat uns immer alles verschwiegen, was seine Krankheit betraf.“ Das Spiel der Musiker gegen eine Auswahl von Journalisten in Paris lief weiter. Der herbeigerufene französische Arzt versorgte den großen Zeh, an dem der Nagel abgerissen war, und verordnete Ruhe. Aber Marley wollte seine Europatournee nicht absagen, denn sein Album „Exodus“ kletterte gerade in den Charts nach oben. Bob Marley ging wieder auf die Bühne und auf den Platz – mit einem dicken Verband um den Fuß.

Bob Marley war seit seiner Kindheit ein begeisterter Fußballer, als er im Alter von zwölf Jahren zu seiner Mutter nach Kingston zog. Der kleine Nesta, so sein erster Vorname, spielt manchmal bis zehn Uhr nachts, seine Mutter Cedella bestraft ihn mit Ohrfeigen, aber das ist ihrem einzigen Sohn egal. Das Einzelkind liebt den Mannschaftssport, sein ganzes Leben lang hält er den alten Kumpels aus dem Getto Trenchtown die Treue.

Anfang der 60er beginnt die Karriere des erfolgreichsten Reggaemusikers aller Zeiten. Marley gründet gemeinsam mit Peter Tosh und Bunny Livingstone die Wailers, die rasch zu lokalen Stars in Jamaika werden. Wenn Marley keine Musik macht, spielt er Fußball. Das ändert sich auch nicht, als er Ende der 60er den Rastafari-Glauben annimmt. Später erklärt er in einer überraschenden Einfachheit, warum er nun den Rastafari-Gott Jah anbetet. „Jah kommt auf dich zu wie Pelé. Er spielt mit dir. Hast du Pelé schon mal dribbeln gesehen?“ Der Vergleich mit dem brasilianischen Superstar ist kein Zufall, Pelé ist das große Sportidol des Reggaestars, der die Weltmeistermannschaft von 1970 bewundert. „Für mich ist Fußball Brasilien, Tost√£o, Rivelino!“ Insbesondere zu Tost√£o, dem genialen Spielgestalter der vielleicht besten Elf aller Zeiten fühlt der Songwriter eine Seelenverwandtschaft.

1971 haben die Wailers ihren ersten Nummer-eins-Hit in Jamaika, und Marley lernt den besten Fußballer des Landes Alan „Skill“ Cole kennen, der mit Pelé beim FC Santos zusammengespielt hatte. Marley und Cole werden unzertrennliche Freunde. Der Exfußballer übernimmt das Amt des Managers der Wailers und produziert sogar einige ihrer Alben. Er coacht die Band wie ein Fußballtrainer und schickt sie vor jeder Tour ins Trainingslager. Bis zu Marleys Tod im Jahre 1980 geht das so: aufstehen im Morgengrauen, einstündige Strandläufe und anschließend intensives Fußballtraining. Zu trinken gibt es Irish Moss, ein Fitnesscocktail aus Algen, Körnern, Leinensamen und Milch.

Wie gut war Marley auf dem Platz? Sein Kumpel Desmond Smith erinnert sich: „Bob spielte gut, aber hart. Er wollte seinen Gegenspieler nach dem Schlusspfiff hinken sehen, und er wusste, wie man das anstellt.“ Wie ein „Tiger, der aus dem Käfig gelassen wird“, habe er auf dem Feld so lange gespielt, bis alle anderen vor Erschöpfung am liebsten geweint hätten.

1972 veröffentlichen die Wailers ihr erstes Album auf dem jungen Island-Label und beginnen, in England Konzerte zu spielen. Wenn immer es ging, schauten sie Fußball im Fernsehen und Bob Marley lernte auch die Spielweise deutscher Mannschaften schätzen. „Er bevorzugte den südamerikanischen Fußball, mochte aber auch den niederländischen und deutschen Fußball“, betätigt Tyrone Downie. Als Tosh und Livingstone die Wailers im WM-Jahr 1974 verlassen, bleibt Marley alleine zurück, und Eric Clapton sahnt mit seiner Version von „I Shot The Sheriff“ den eigentlich dem Jamaikaner gebührenden Welterfolg ab.

Doch dann geht es Schlag auf Schlag, Marley geht auf US-Tour und wird mit dem Song „No Woman No Cry“ zum ersten Megastar aus der Dritten Welt. Er trägt Rastalocken und Trainingsanzüge von Adidas, während sich die Rockstars der Epoche möglichst glamourös und teuer kleiden. Bob Marley und die Wailers beginnen die Stadien auf der ganzen Welt zu füllen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit spielen sie Fußball: auf Parkplätzen, in den Konzerthallen vor dem Soundcheck und manchmal, bei schlechtem Wetter, tragen sie alle Möbel aus einem Hotelzimmer, um „indoor“ zu spielen. „Wir haben immer trainiert, sogar vor den Konzerten, weil Bob sich gerne aufwärmte und auf der Bühne schon schwitzte“, sagt Smith.

Während der WM 1978 verschiebt Marley Pressekonferenzen, um nur kein Spiel im Fernsehen zu verpassen, beim Weltmeister Argentinien bewundert er Ricardo Villa und Osvaldo Ardiles, der ihn an Tost√£o erinnert. Als die beiden Argentinier zwei Jahre später bei Tottenham spielen, wird Marley Fan der Spurs. Der Erwartungsdruck von Fans und Medien an den neuen Superstar nimmt unterdessen immer weiter zu, für seine US-Tour muss das Album „Survival“ rechtzeitig fertig werden. Der Ballsport wird zum Mittel, um sich von der Musik abzulenken.

Bei den Spielen stehen nun auch Journalisten aus der ganzen Welt mit auf dem Platz, die den Star umlagern und verblüfft sind, wie gut er mit dem Ball umgehen kann. Marley spielt gegen den ausdrücklichen Rat der Ärzte weiter, die ihm empfehlen den vernarbten Zeh nicht zu belasten. Im März 1980 fährt er mit zwei Freunden nach Brasilien, um eine Südamerikatournee vorzubereiten. Bei einem Fünf-gegen-fünf-Turnier führt der Jamaikaner sein Team zum Sieg. Der Mitreisende Junior Marvin urteilt: „Ich glaube er wäre am liebsten Fußballer geworden. Mehr als alles andere, auch mehr als Musiker.“ Marley hat das indirekt bestätigt: „Es hätte für mich unendlich mehr Zeit gekostet, ein erstklassiger Fußballer zu werden. Mehr als der Musiker, der ich heute geworden bin. Wenn ich nicht Musiker geworden wäre, wäre ich ein Fußballstar geworden. Oder ein Revolutionär!“

Die Wailers sind inzwischen zu acht, gemeinsam mit den Chorsängerinnen I-Threes stehen sie in Mannschaftsstärke auf der Bühne. Das Video zu „Could You Be Loved“ zeigt Marley mit dem Mikro in der Hand und in Stollenschuhen. Auf der anschließenden Europatournee trifft er auch Fußballstars: In Hamburg schenkt ihm Kevin Keegan bei einem solchen Treffen sein HSV-Trikot. Bei diesen Gelegenheiten erklärt er häufig, wie viel ihm das Spiel bedeutet: „Was mir am Fußball gefällt ist, dass man seiner Phantasie freien Lauf lassen kann. Für mich hat der Fußball seine Berechtigung in dem Gefühl von Freiheit und Kreativität, das er hervorruft. Keine Kraft der Welt könnte mich daran hindern, ein Spiel zu machen!“

Zu diesem Zeitpunkt weiß Marley bereits, dass er sehr krank ist, angeblich hatte die Fußverletzung Hautkrebs ausgelöst. Im September bricht er beim Kicken im New Yorker Central Park zusammen. Die Ärzte finden einen Gehirntumor, im Oktober stellen sie fest, dass auch Lunge und Magen vom Krebs befallen sind. Die Ärzte geben ihm noch drei Wochen zu Leben, aber Marley kämpft gegen die Krankheit an. Er unterzieht sich einer Therapie beim äußerst umstrittenen Dr. Josef Issels in Bayern. Am 7. Februar 1981, seinem 36. Geburtstag, besuchen ihn dort Teile der Wailers. Sie sehen mit ihm ein Video von Pelé. Am 11. Mai stirbt Bob Marley. Zu dieser Zeit war eigentlich geplant, dass er zum ersten Mal im Maracana-Stadion in Rio de Janeira auftreten sollte. Aber Jah hatte anders entschieden.

Chérif Ghemmour, Übersetzung Matthias Greulich


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