FUNDSTÜCK

Tüftler mit Latex und Gummiwaben

Dino Zoff, Sepp Maier oder Edwin van der Sar: Sie alle experimentierten, um ihre Handschuhe ein wenig besser zu machen. Stefan Kühlborn erzählt die Geschichte des Torwarthandschuhs

 

Dino ZoffRoter Haftschaum aus Latex: Dino Zoff, damals 40, war bei der WM 1982 nicht nur mit seinen Handschuhen der Firma Uhlsport weit vorne Foto Pixathlon

 

Wer der erste Keeper war, der seine Hände während eines Spiels durch Handschuhe schützte, ist nicht eindeutig belegt. Der „Göttliche“ Ricardo Zamora (1901-1978), der zwischen 1919 und 1936 unter anderem für den FC Barcelona und Real Madrid spielte, trug Handschuhe. Guido Masetti (1907-1993), aktiv für Hellas Verona und den AS Rom, ging mit dicken schwarzen Handschuhen ins Spiel. Einer der ersten in Südamerika war Amadeo Raúl Carrizo, geboren im Juni 1926 in Rufino in der Provinz Santa Fe, ziemlich in der Mitte Argentiniens. Er machte zwischen 1945 und 1968 über  fünfhundert Spiele für River Plate Buenos Aires und stand für Argentinien bei den drei Spielen der WM 1958 in Schweden im Tor. Das machte keinen Spaß: gegen die Tschechoslowakei schluckte Carrizo sechs Tore. Argentinien schied nach der Vorrunde aus. Er spielte modern: nahm aktiv am Geschehen teil, verließ seinen Torraum und passte den Ball mit dem Fuß zu den Mitspielern. Unüblich für die damalige Zeit. Seine Handschuhe waren weiß, Unikate, eine Serienproduktion gab es noch nicht.

Auch als Englands größter Torwart, Gordon Banks, geboren 1937 in Sheffield, aktiv war, gab es noch keine industriell hergestellten Handschuhe. Er trug zunächst dicke Wollhandschuhe, vor allem wenn es kalt war oder regnete, später Exemplare, die nach Gartenhandschuhen aussahen. Etwa bei seiner Rettungstat im WM-Spiel gegen Brasilien 1970 in Guadalajara. Der schnelle Jairzinho hängte Englands linken Verteidiger Terry Cooper ab, flankte, Pelé sprang und köpfte. Er sah den Ball bereits im Tor, doch da war noch „Banks of England“. Er hechtete nach hinten und wehrte den Ball mit der rechten Hand ab. Diese Hand steckte, wie beim WM-Finale 1966, in dünnen, hellen Handschuhen mit dunklen Streifen. Pelé bezeichnete Banks Abwehr als größte Torhüterparade, die er in seiner Karriere gesehen hatte.

 

Sepp MaierHandschuh-Tüftler im Tor: Sepp Maier beim Training im Münchner Olympiastadion Foto Pixathlon

 

In Deutschland schlüpften Torhüter, wenn das Wetter schlecht war, in mollige Wollhandschuhe. Petar „Radi“ Radenković, der Torwächter von 1860 München, trug, passend zu seiner Kleidung, dann und wann schwarze Handschuhe aus Leder. Vor der WM 1966 gab es Verbesserungen. Hans Tilkowski konnte im WM-Finale gegen England trotz Handschuhen das berühmte Wembley-Tor von Geoff Hurst nicht verhindern. Auf der Bank saß ein junger Keeper namens Josef Dieter Maier, der für den FC Bayern München hielt, und während der Bundesligasaison an Neuerungen herum getüftelt hatte. Wollhandschuhe tauchten auf, deren Innenseiten mit Gumminoppen beklebt waren, so wie sie heute noch auf billigen Tischtennisschlägern zu finden sind. Der Torwart der Bayern war es auch, der seine Ideen als einer der ersten zu Geld machte. Im Jahr 1973 entwickelte Maier gemeinsam mit Gebhard Reusch, dem Sohn des Gründers der Sportartikelfirma „Reusch“, den ersten Torwarthandschuh, der in die Produktion ging.

Fast zeitgleich brachte Ex-Nationaltorhüter Wolfgang Fahrian seine Handschuhe in den Handel. Fahrian, der in der Bundesliga unter anderem für Hertha BSC und 1860 München spielte, experimentierte zur Verbesserung der Fangeigenschaften seiner aus Wolle oder Leder bestehenden Handschuhe mit Gummiwaben, Frottee und Schaumstoff. Diese Materialien klebte er auf die Innenseiten der Teile der Handschuhe, die Finger und Handgelenke bedeckten.

Über Weichgummibeläge führte die Entwicklung zur Verwendung von Latex als Haftfläche für Torwarthandschuhe. So spielte Italiens Nationaltorwart Dino Zoff, unter anderem SSC Neapel und Juventus Turin, Mitte der Siebziger Jahre einen der ersten Handschuhe, deren Haftschaum aus Latex bestand. Und zwar sehr erfolgreich. „Dino Nazionale“ ist der älteste Spieler, der je Weltmeister wurde: 1982 beim Titelgewinn in Spanien war er 40 Jahre alt und trug grau-schwarze Handschuhe mit roter Innenfläche der Firma Uhlsport.

In den Blickpunkt des öffentlichen Interesses rückten die Torwarthandschuhe zu Beginn der neunziger Jahre, weil ihre Träger immer wichtiger wurden. Das Spiel wandelte sich und damit veränderten sich Torwartspiel und Ausrüstung. Vom Torwart wurden größere fußballerische Fertigkeiten verlangt, weil er stärker ins Spiel eingebunden war: bessere Strafraumbeherrschung, weite, präzise Abwürfe, genaue Zuspiele. Profi-Torhüter aller Länder setzten sich in dieser Zeit intensiv mit ihrem Arbeitsmaterial auseinander und entwickelten eigene Ideen für Verbesserungen. Auf diesem Gebiet leistete Edwin van der Sar, lange Jahre Nummer Eins der niederländischen Nationalmannschaft und von Manchester United, Pionierarbeit. Zu seiner Zeit bei Ajax Amsterdam sammelte er die Torhüter des berühmten Jugendinternats um sich und klärte sie über die Besonderheiten der Eigenschaften von Torwarthandschuhen auf.

 

Edwin van der SarEiner der weltbesten Torhüter: Edwin van der Sar, der bei Manchester United seine Karriere beendete, entwickelte Ideen, um die Torwarthandschuhe weiter zu verbessern Foto Pixathlon

 

In Deutschland war Mönchengladbachs Uwe Kamps einer der ersten Torhüter, für den nach einer Verletzung spezielle Handschuhe angefertigt wurden, damit er auch mit einem Tape-Verband unter dem Handschuh spielen konnte.

Inzwischen geht es um Details. Es entwickelte sich ein Trend, der in der persönlichen Handschuhgestaltung jedes Profi-Torwarts seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Heutzutage ist nahezu jeder Handschuh eines Profi-Torwarts ein Unikat, das in enger Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Torwart entsteht und den Wünschen und Bedürfnissen der Nummer Eins entspricht. Das Spiel verändert das Torwartspiel und die Handschuhe machen mit.

Zurück  |