INTERVIEW
„So hörst du nicht auf!“
Bochums Trainer Marcel Koller gehört zu den großen Taktikern der Liga. Mit dem Aufsteiger konnte er den Abstieg vermeiden. Der 46-Jährige über die Zukunft des VfL, seine Philosophie des Spiels und einen Traum. Interview Uli Hartmann und Christoph Ruf

„Als Trainer musst du als Erster wieder aufstehen“: Marcel Koller sicherte mit dem VfL frühzeitig die Klasse Foto Christian Lord Otto
RUND: Herr Koller, als Spieler waren Sie über 20 Jahre lang bei Grasshoppers Zürich aktiv, doch seit Sie 1997 Trainer wurden, waren Sie bereits bei fünf Vereinen. Als Trainer stellt man sich eine optimale Stelle doch sicher als dauerhaften Arbeitsplatz vor, oder?
Marcel Koller: Oh ja. Und zur optimalen Trainerstelle würde mir noch einiges mehr einfallen. Dass man sehr viel Geld zur Verfügung und im Hintergrund Kompetenz hat, die beurteilen kann, wie man arbeitet. Durch Geld bekommt man Qualität in den Kader und dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit auf Siege – und die Chance auf Ruhe.
RUND: Sie wären also gern beim FC Chelsea!
Marcel Koller: Auch Guy Roux in Auxerre oder Volker Finke in Freiburg haben die Ruhe bekommen, die es braucht. In der Bundesliga hingegen sind im Laufe der Saison mehr als die Hälfte aller Trainer entlassen worden. Das ist frustrierend, weil man als Trainer immer nur sehr kurzfristig planen kann. Nach der dritten Niederlage steckst du schon richtig in der Diskussion. Bist du unter dem Strich, ist alles schlecht, bist du über dem Strich, ist alles supergut. Deine eigentliche Arbeit wird nicht bewertet. Von einer Woche auf die andere musst du Punkte holen.
RUND: Welche Konsequenzen hat das für die tägliche Arbeit?
Marcel Koller: Du entscheidest dich beispielsweise schon mal eher für einen älteren statt für einen jüngeren Spieler. Mal zu einem jungen Spieler zu sagen: „Junge, du darfst Fehler machen und dich entwickeln“, diese Gelegenheit hat man kaum.
RUND: Ließen sich hingegen mit mehr Kontinuität und Geduld perspektivisch angelegte Spiel- und Trainingssysteme bis in die Jugendteams hinunter durchführen?
Marcel Koller: Ich habe hier in Bochum auch mal gedacht, dass ich meine Ideen mit den Jugendtrainern alle zwei, drei Wochen abstimme, so dass der ein oder andere davon auch profitieren kann. Aber dieser Spielrhythmus frisst einen so auf, dass ich in meinen ersten zwei Jahren in Bochum noch gar nicht dazu gekommen bin. Auch weil es hier nie ruhig zuging und ich mir deswegen nie sicher sein konnte.
RUND: Selbst die zwei Stunden, die ein Treffen mit den Nachwuchstrainern kosten würden, fehlen im Ligaalltag?
Marcel Koller: Mit zwei Stunden ist es nicht getan. Man braucht eine vom Verein gesteuerte Idee oder Philosophie, an der hier im Hintergrund von Stefan Kuntz bereits gearbeitet wird. Ohne diese bräuchte es zuviel Zeit, denn es müssen viele Gespräche geführt, Kompetenzen verteilt und Grundsatzentscheidungen gefällt werden.
RUND: Vielleicht ist das Problem vieler Verantwortungsträger im Profifußball nicht nur die fehlende Geduld, sondern der fehlende Sachverstand. Wie müsste ein Verein in der Führung idealerweise besetzt sein? Sollten dort ehemalige Spieler sitzen?
Marcel Koller: Nicht unbedingt. Man darf Fußball aber nicht einfach nur vom Hörensagen beurteilen. Man sollte erkennen, ob konzentriert oder nachlässig gearbeitet wird, ob die Mannschaft umzusetzen versucht, was der Trainer erzählt. Dann muss man jeden Spieler nicht auch noch technisch oder taktisch beurteilen können. Ein gewisser Sachverstand ist nicht schlecht, aber ein aufrichtiges Interesse an der fachlichen Arbeit sollte auf jeden Fall da sein.
RUND: Würden Sie es begrüßen, wenn der Präsident bei einer Ansprache dabei ist?
Marcel Koller: Bei uns sind Stefan Kuntz und Werner Altegoer oft dabei, und das ist auch gut so, weil sie so sehen, was ich tue.
RUND: Im Herbst hieß es, Sie stünden kurz vor der Ablösung in Bochum. Stattdessen hat der Aufsichtsratsvorsitzende Altegoer Ruhe bewahrt und Ihren Vertrag im Frühjahr um ein Jahr bis 2008 verlängert. Was hat ihn wohl dazu bewogen?
Marcel Koller: Er schaut beim Training zu, spricht mit den Spielern und macht sich sein Bild.
RUND: In Köln, wo Sie bereits nach knapp 8 Monaten entlassen wurden, hatten sie weniger Glück. Ist Bochum für Sie auch der Versuch, sich in Deutschland zu rehabilitieren?
Marcel Koller: Hoffentlich kann ich zeigen, dass man etwas aufbauen kann, wenn man die Zeit bekommt. Man hat ja auch in Köln gesehen, dass etwas entstand, aber ich habe da einfach die Zeit nicht bekommen.
RUND: Was haben Sie in Köln über die Mechanismen im deutschen Fußball gelernt, was Ihnen in Bochum nun hilft?
Marcel Koller: Ich bin gegenüber den Medien offener geworden. Die Journalisten mussten mir damals alles aus der Nase ziehen, ich habe gerne in Rätseln gesprochen.
RUND: Nun sind die Medien das eine, ein Präsidium, das gern Doppelpässe mit dem Boulevard spielt, das andere. Was hat Sie in Köln damals mehr enttäuscht: Ihre Entlassung oder deren Umstände?
Marcel Koller: Vielleicht, dass es nicht voraussehbar war, ich war im Urlaub. Wie das dann alles populistisch ausgeschlachtet wurde, war typisch für die Situation dort.
RUND: Präsident Wolfgang Overath hat Ihre Entlassung unter dem Jubel der Menschen bei der Jahreshauptversammlung verkündet. Wie haben Sie damals davon erfahren?
Marcel Koller: Manager Andreas Rettig ist zu mir in die Schweiz gekommen und hat es mir erzählt. Er sagte damals, er hätte mit mir weitermachen wollen.
RUND: Man kann also davon ausgehen, dass Sie sich mit Rettig noch grüßen, aber mit anderen nicht?

Päuschen im Blauen: Bald sitzen hier wieder Menschen, die – wie Marcel Koller – Einsatz sehen wollen Foto Christian Lord Otto
Marcel Koller: Ich bin denen gar nicht mehr begegnet. Was dann alles drum herum passiert, kannst du teilweise gar nicht beeinflussen. Manche Entscheidungsträger gucken ja selbst nicht, die lassen nur gucken, treffen dann aber weitreichende Entscheidungen.
RUND: Ihre erste Trainerstation war beim FC Wil in der zweiten Schweizer Liga. Inwiefern hat Sie das geprägt, denn Sie haben dort mit Amateurfußballern gearbeitet?
Marcel Koller: Wir hatten dort nur einen Profi, mit dem habe ich tagsüber ganz alleine Flanken geschlagen. Abends kamen die anderen völlig erschöpft von ihrer regulären Arbeit, und dann ging das Mannschaftstraining los. Es gab auch keine Waschfrau, da habe ich dann die Wäsche in die Maschine geschmissen.
RUND: Als Bundesligatrainer stehen Sie im Mittelpunkt vieler widerstreitender Elemente: Medien, Vorstand, Fans und auch die Mannschaft selbst fordern Sie ständig. Welche dieser Element sind die mächtigsten, welche wirken sich am meisten auf ihre Arbeit aus?
Marcel Koller: Die Medien beeinflussen deine Arbeit schon sehr, man muss fast versuchen, die Spieler davon fernzuhalten. Wenn einer jeden Tag liest, dass er ein Fehleinkauf ist, ist es schwierig, Leistung zu bringen. Meistens ist die Reaktion, dass er sich versteckt, einen Sicherheitspass spielt oder noch mal den Schnürsenkel bindet.
RUND: Würde eine Mannschaft effektiver und besser spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, also möglichst ohne äußere Einflüsse?
Marcel Koller: Die Spieler müssen ja gerade lernen sich durchzusetzen, wenn die eigenen Fans pfeifen. Sie brauchen den Tunnelblick: Sie müssen sich zum Licht am Ende des Tunnels vorarbeiten, auch wenn von allen Seiten ans Tunneldach gehauen wird. Ob alle schreien, pfeifen oder jubeln, sie sollen nur positive Energien mitnehmen.
RUND: Was bewirken die Einzelbewertungen und Benotungen der Spieler in der Presse?
Marcel Koller: Ich schaue da nicht drauf, weil ich weiß, wie die eine oder andere Note gemacht wird. Einmal gegen die Latte geschossen, und man hat statt einer Vier eine Zwei. Ich habe das den Spielern auch schon mal erklärt, aber es ist leider wie in der Schule, bei einer guten Note sind sie schon zufrieden. Wichtig wäre etwas anderes: dass sie in der Mannschaftsbesprechung nach dem Spiel aufpassen und besser lernen, sich selbst einzuschätzen.
RUND: Diese Noten beeinflussen aber den Marktwert des Spielers und damit seine nächsten Angebote und sein nächstes Gehalt.
Marcel Koller: Klar, und die Berater interessiert das auch. Mich aber nicht!
RUND: Wie überzeugen Sie einen Spieler davon, dass er schlecht war, obwohl er eine gute Note bekommen hat?
Marcel Koller: Ich sage ihm, dass ich nicht zufrieden war und erkläre ihm, wie viel Ahnung der Journalist hat und wie viel der darüber weiß, was der Spieler eigentlich tun sollte während des Spiels – aber nicht getan hat.
RUND: Die detaillierten Interessen von Trainern, Medien und Fans sind aber schon per se unterschiedlich. Zuschauer zum Beispiel mögen Rückpässe nicht.
Marcel Koller: Bevor ich den Ball verliere, ist mir der Rückpass doch hundert Mal lieber, da verlagert man das Spiel, baut neu auf. Wir hatten auch schon Situationen, wo wir mit drei, vier Pässen vom eigenen beim gegnerischen Tor waren und getroffen haben. Wenn ich aber sehe, dass ein Spieler den Ball nach vorne spielen könnte und er spielt nach hinten, da kriege auch ich einen Hals.
RUND: Vor fünf Jahren haben sie der „Neuen Zürcher Zeitung“ mal gesagt: „Meine Ideen decken sich nur selten mit jenen der Spieler.“ Das klingt, als sei die alltägliche Arbeit mit 27 Profis äußerst mühsam.
Marcel Koller: Vor allem bei neuen Spielern muss ich halt erst mal ausgiebig erklären, wie meine Spielidee überhaupt aussieht.
RUND: Können Sie die für unsere Leser in groben Zügen skizzieren?
Marcel Koller: Wie viel Platz haben Sie? Wenn es ganz kurz sein soll, so muss zwischen Ballbesitz und Ballverlust unterschieden werden. Bei Ballbesitz kommt es auf bestimmte Bewegungen an, Laufwege die ich mir vorstelle. In der Offensivzone sollen die Spieler das Risiko suchen. Eins-zu-Eins- oder Eins-zu-Zwei-Situationen provozieren und den Abschluss suchen. Bei Ballverlust geht es ums richtige Zustellen und Attackieren. Der gegnerische Aufbau muss blockiert werden. Das taktisch richtige Verschieben und Stehen ist hier eminent wichtig.
RUND: Aber in Bochum, der Arbeiterstadt, geht es immer auch um die harte Arbeit auf dem Platz, um den vollen Einsatz unabhängig vom späteren Ergebnis.
Marcel Koller: Das wollen die Leute hier sehen, und da passe auch ich vom Typ her. Ich musste als Spieler selbst viel kämpfen. Ich hatte schon mit 19 eine schwere Knieverletzung, solche Abnutzungserscheinungen hast du normalerweise erst mit 40. Im A-Jugendfinale hat es geknallt, da wusste ich: Jetzt kann schon alles vorbei sein. Zwei Mal die Woche ging ich auf eigene Faust zur Physiotherapeutin. Ich bin alleine laufen gegangen. Ich habe mir gesagt: so hörst du nicht auf! Ich hatte schon mit 14 diesen Traum, den wollte ich nicht einfach hergeben.
RUND: Und dann haben Sie ihn auch nicht einfach hergegeben?

„Den Medien gegenüber bin ich offener geworden": Früher musste man Marcel Koller alles aus der Nase ziehen Foto Christian Lord Otto
Marcel Koller: Ich habe mich zurückgekämpft. Ich hatte in 15 Jahren insgesamt acht Operationen und habe mich immer wieder rangekämpft. Das macht dich hart. Nach jeder Verletzung ein bisschen mehr. Du bist alleine, da hilft dir kein Mitspieler. Im Gegenteil: Durch eine Verletzung kam jemand anderes ins Team, und der hat natürlich nicht gejubelt, als ich zurückkam. Reine Kopfsache. Wenn der Kopf sagt, ich will nicht mehr, dann geht’s auch nicht mehr.
RUND: Vermitteln Sie das heute Ihren Spielern?
Marcel Koller: Ja, vor allem jene, die viel Talent haben, versuche ich dahin zu bringen. Ich will ihnen das Bewusstsein vermitteln, dass man noch mehr tun muss, wenn man Erfolg haben will, und dass man dann noch einmal mehr tun muss, um oben zu bleiben, weil alle bloß darauf warten, dass man wieder abstürzt.
RUND: Dieser psychologische Aspekt des Fußballs interessiert Sie ja ohnehin sehr, woher haben Sie Ihr psychologisches Wissen?
Marcel Koller: Ich habe zwar viel gelesen, aber ich habe nicht die spezielle Ausbildung. Wir haben in Bochum jetzt seit einem Jahr einen Sportpsychologen. Die Spieler kommen schon zu mir und erzählen auch etwas, aber längst nicht alles, weil sie immer ein bisschen Angst haben, dass sich das auf ihre Nominierung auswirken könnte und dass sie womöglich ihren Stammplatz verlieren.
RUND: Der Psychologe hat Schweigepflicht?
Marcel Koller: Natürlich! Ich frage ihn aber auch nicht aus.
RUND: Was macht man als Trainer, um eigene Frustrationen loszuwerden? Direkt nach dem Spiel kommen Tausende von Fragen, dann ruft jemand an. Hat man nicht irgendwann das Gefühl, jetzt reicht es, ich muss alleine mit mir sein?
Marcel Koller: Unmittelbar nach dem Spiel gehe ich manchmal noch fünf Minuten in die Kabine, damit nichts Schlechtes herauskommt, wenn ich mit der Presse rede. Aber sonst ist das schwierig, als Trainer musst du ja immer der Erste sein, der wieder aufsteht.
RUND: Gerade deshalb: Wie verarbeiten Sie negative Gefühle und Frust?
Marcel Koller: Wenn wir verloren haben, gehe ich nicht gerne auswärts essen. Am besten hilft mir tatsächlich, wenn ich mich mit dem Spiel, das mir die Laune verdorben hat, noch mal ausführlich auseinandersetze. Es laufen ja Gott sei Dank auch nicht alle Spiele so katastrophal, dass sie einem drei oder vier Tage nachhängen. Sobald ich weiß, wo die konkreten Fehler lagen und wie man es besser machen kann, ändert sich auch meine Laune.
RUND: Sie schalten also vom Fußball ab – durch Fußball?
Marcel Koller: Ja, aber du brauchst als Trainer trotzdem den Sommer. Die 14 Tage Pause, wo du mal komplett abschaltest, zu Hause, in den Bergen. Die Berge fehlen hier natürlich ein bisschen. Gar kein Fußball, das tut schon mal gut. Aber dann muss die Spannung wieder da sein.
RUND: Was haben Sie dann bloß in dem knappen Jahr gemacht zwischen Ihrer Entlassung in Köln und dem Beginn in Bochum?
Marcel Koller: So lange war ich noch nie vom Fußball weg. Wir sind zwei Monate nach Australien gefahren. In die Nähe von Brisbane.
RUND: Australien – also doch weit weg von allem und vom Fußball.
Marcel Koller: Nicht ganz. Nach ein paar Tagen bin ich nach Sydney ein Spiel gucken gegangen. Australien gegen Iran.
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