INTERVIEW
„Haben Sie schon mal eine Frau getötet?“
Zusammen mit einem Mitspieler saß Lutz Pfannenstiel von Januar bis April 2001 im Gefängnis in Singapur – obwohl es keine Beweise gegen ihn gab und er dreimal den Lügendetektortest überstand. Ein Interview mit dem Mann, der RUND auf die Idee brachte, seine Interviewpartner an einen Lügendetektor anzuschließen. Interview Steffen Dobbert

Lutz Pfannenstiel
"Immer konzentriert": Lutz Pfannenstiel gibt Tipps für den Detektortest Foto Pixathlon

 

RUND: Wussten Sie, dass Ihre Geschichte uns auf die Idee gebracht hat, den Lügendetektor als feste Rubrik in RUND einzuführen?
Lutz Pfannenstiel: Nein, das habe ich ehrlich gesagt erst erfahren, als Sie sich bei mir gemeldet haben. Ich weiß aber, dass in Singapur nach meinem Fall die Standardverträge für alle Spieler geändert wurden. Ab diesem Zeitpunkt gab es überall diese Klausel, dass die Spieler an den Detektor müssen, wenn die Antikorruptionspolizei den Test verlangt.

RUND: Das scheint uns vorbildlich, hin und wieder weigert sich nämlich ein Spieler auch, sich von uns am Detektor interviewen zu lassen. Was passiert denn in Singapur mit renitenten Spielern?
Lutz Pfannenstiel: Ganz einfach: Deren Vertrag wird aufgelöst.

RUND: Raue Sitten. Haben Sie denn einen Tipp, wie man sich am Lügendetektor verhalten sollte?
Lutz Pfannenstiel: Man sollte wirklich versuchen ehrlich zu sein. Man muss sich konzentrieren und genau auf die Fragen achten. Ich persönlich habe da aber natürlich eine weniger lustige Erinnerung an das Ding. 48 Stunden lang folgte Frage auf Frage, und alle zehn Minuten wurde mir eine runtergehauen.

RUND: Trotzdem konnte man Sie nicht der Lüge überführen.
Lutz Pfannenstiel: Nein, ich habe auch immer die Wahrheit gesagt. Genutzt hat mir das aber nichts, wir konnten nämlich nicht beweisen, dass unser Belastungszeuge lügt, und wurden verurteilt.

RUND: Nicht, dass wir etwas von den Methoden in Folterstaaten lernen wollten, aber wie war denn deren Fragestrategie?
Lutz Pfannenstiel: Sie haben halt versucht, trickreiche Fragen zu stellen. Erst fragen sie dich etwas ganz Banales, und dann kommt der Hammer: Haben Sie schon mal eine Frau getötet? Ich glaube, da geht bei jedem Menschen die Herzfrequenz hoch. Deshalb vertraue ich den Detektoren auch nicht hundertprozentig. Je nachdem, wie der Mensch besaitet ist, gibt es eben unterschiedliche Reaktionen. Manche sind total cool und manche sind eher nervöse Typen. Was nicht heißt, dass sie lügen.

RUND: Es erscheint uns auch etwas veraltet, bei der Messung nur auf den Puls zu achten. Unser Gerät ist da subtiler. Beschreiben Sie doch mal bitte, wie Sie sich beim Verhör gefühlt haben.
Lutz Pfannenstiel: Beim ersten Mal war ich noch recht gelassen, da hatte ich noch überhaupt keine Ahnung, worum es geht. Und wenn man nicht weiß, worum es geht, kann man nicht lügen. Ich kann mich noch sehr gut an die Fragen erinnern. Sind sie momentan in Japan? Nein. Sind sie momentan in Singapur? Ja. In Europa? Nein. In Asien? Ja. Haben Sie am 16. Mai das Spiel gegen XY manipuliert? Anfangs fand ich das noch ganz lustig, später dann überhaupt nicht mehr. Man kann einen Menschen in 48 Stunden ganz schön zermürben.

RUND: Insgesamt hat man Sie in der Zeit dreimal an den Detektor angeschlossen.
Lutz Pfannenstiel: Und ich habe dreimal bestanden.

RUND: Was hat man Ihnen überhaupt vorgeworfen?
Lutz Pfannenstiel: Spielmanipulation, ein völlig absurder Vorwurf. Das eine Spiel haben wir 2:0 gewonnen, da kann ein Torwart gar nichts machen, und bei dem 2:2 habe ich sogar einen Elfer gehalten und war Spieler des Matches. Mich und einen Kollegen hatte jemand belastet, der dadurch selbst seinen Kopf aus der Schlinge ziehen wollte.

RUND: Und dem glaubte man einfach?
Lutz Pfannenstiel: Offenbar, sonst hätte man mich kaum in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Haus gezerrt. Meine Freundin und ich saßen zu Hause und haben Video geschaut. Plötzlich klopfte es an der Tür: Die Antikorruptionseinheit der Zivilpolizei stürmte hinein und schlug die Wohnung kurz und klein. Die sind mit Hammer und Messer gekommen und haben alles zertrümmert und aufgeschnitten. Die haben sogar die Kaffeedosen durchsucht. Sie haben nach Beweisen gesucht, nach Wettscheinen und Geld, haben aber natürlich nichts gefunden.

RUND: Was passierte dann?
Lutz Pfannenstiel: Dann haben uns in einen Lieferwagen gesteckt und uns im Gefängnisbunker 48 Stunden lang verhört. Zweimal musste ich an den Detektor, nachdem man mich zehn Stunden lang immer wieder verprügelt hatte, das dritte Mal erst nach einer längeren Pause. Nachts kam ich in eine Eiszelle, dann angezogen in eine Art Saunaraum. In Singapur dürfen sie 48 Stunden mit dir machen, was sie wollen. Du hast nicht mal das Recht auf einen Anwalt. Die Polizei hat eben gehofft, dass wir irgendwann sagen: Okay, ich hab die Nase voll ich unterschreib hier was ihr wollt.

RUND: Wann haben Sie das letzte Mal gelogen?
Lutz Pfannenstiel: Gute Frage. Jetzt als Trainer lügt man täglich ein bisschen. Man muss den Spielern ja immer etwas anderes sagen, als man denkt.


Lutz Pfannenstiel:
1993 machte der FC Bayern München dem U-17-Nationaltorwart Lutz Pfannenstiel das Angebot, im Tor seiner Amateurmannschaft die Bälle zu halten. Der Niederbayer lehnte ab und wechselte stattdessen nach Malaysia zu den Penang Panthers. Seitdem spielte Pfannenstiel für Teams in England, Finnland, Norwegen, Neuseeland, Kanada, Belgien, Malta, Singapur, Südafrika und Albanien. Während seiner Zeit in Singapur stand er wegen der Absicht des Wettbetrugs vor Gericht. Über die Verhandlung berichteten die BBC und andere Medien täglich. Seit dieser Saison ist er Trainer und Manager beim armenischen Erstligisten Bentonit FC. Wenn man im niederbayerischen Zwiesel bei Pfannenstiels Eltern anruft und nach Sohn Lutz fragt, muss Mutter Pfannenstiel lange überlegen: „Nein, in Albanien spielt der nimmer. Der ist jetzt irgendwo in Russland. Nein, mein Mann sagt gerade: in Armenien.“ Nach seinem Engagement in Armenien wechselte Pfannenstiel zu den Vancouver Whitechaps.

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