INTERVIEW
„Es geht um Bewegung“
Der Schauspieler als Fußballfan. Bei Peter Lohmeyer lassen sich Hobby und Beruf bisweilen schwer auseinander halten. Privat hängt Lohmeyer dem FC Schalke 04 an. Ein RUND-Interview von 2004 von Matthias Greulich.

 

Peter LohmeyerMit Fußballschuhen in Hamburg-Altona: Peter Lohmeyer. Foto Gianni Occhipinti

 

RUND: Herr Lohmeyer, im „Wunder von Bern“ haben Sie mehr als drei Millionen Menschen
gesehen, bei „Wetten, dass ...?“ waren es 15 Millionen. Wofür setzen Sie Ihre
Popularität ein?
Peter Lohmeyer: Mir liegt die Aktion „Laut gegen Rechts“ am Herzen, die leider
mal wieder vonnöten ist. Es gab in diesem Jahr schon wieder mehrere Tote im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus. Und das steht in der Zeitung irgendwo in der Ecke. Es gibt Orte in Deutschland, wo sich kaum ein Ausländer noch hintraut. Unser Ziel ist es, diese Orte nazifrei zu machen. Ich bin der Pate der Stadt Dortmund. Ich habe da mal gelebt und hatte meine ersten Erlebnisse zu dem Thema. Die Polizei hat mich hopsgenommen, als ich Eier geschmissen habe auf einer NPD-Demo. Es ist so, dass Dortmund immer noch eine der größten Neonazi-Hochburgen in Nordrhein-Westfalen ist. Es gibt da Geschäfte, wo „88“ draufsteht, das glaubt man gar nicht. (Der achte Buchstabe im Alphabet ist das H, 88 steht für „Heil Hitler“, Anm. d. Red.) Das Schönste wäre für mich, wenn Dortmund 2006 nazifrei wäre. Das wäre noch schöner, als wenn wir Weltmeister würden.

RUND: Julio Cesar kam als Brasilianer vor einigen Jahren nicht in eine Disco hinein, die BvB-Anhänger haben sich daraufhin mit ihm solidarisiert.
Peter Lohmeyer: Das fand ich gut, dennoch wurde das Problem immer schön unten gehalten. Ich selbst habe ein Kind, das zu einem Viertel farbig ist, der lebt in Berlin, da ist es ziemlich liberal. Je kleiner die Städte sind, desto gefährlicher ist oft der Mob.

RUND: Was ist im Westfalenstadion los?
Peter Lohmeyer: Ich gehe nur nach Dortmund, wenn Schalke dort spielt. Das hat sich da sehr beruhigt. Auf Schalke sowieso. Ich bin Mitglied bei der Faninitiative Schalke gegen Rassismus, die sind da ganz weit vorn. Für 2006 interessiert mich folgendes: Ich war in Portugal und habe das Spiel Deutschland gegen Holland bei der EM gesehen. Vor mir saß Ulf Kirsten mit seinem Sohn, und dem waren die deutschen Fangesänge ebenso unangenehm wie mir. Es kam nur dieses Klatschen mit anschließendem „Sieg“, dann gab es noch „Kämpfen“, „Deutschland“ und „Schwule Holländer“. Alles ohne jeglichen Humor. Ich war auch bei Griechenland gegen Spanien, da ging auch vieles aus dem Block unter die Gürtellinie, aber so dumpf wie bei uns war das immer noch nicht. Da werde ich mal das Gespräch mit Herrn Bierhoff suchen, den ich kenne. Da muss man sich für die WM etwas mehr einfallen lassen, Gastfreundschaft hin oder her. Das kann man, glaube ich, auch organisieren. Ich weiß auch, dass die Fans nicht die „Süddeutsche Zeitung“ kaufen, in deren Beilage sehr schöne Gesänge drinstanden. Man soll aber nicht immer das Gefühl haben müssen, dass man in so einer komisch anheimelnden rechten Ecke sitzt.

RUND: Was erwarten Sie von der Ära Klinsmann im Nationalteam?
Peter Lohmeyer: Eine ganze Menge. Ich hoffe auf die jüngste Mannschaft, die es je gegeben hat. Wie
lange hat man auf Robert Huth gewartet? Dass Hitzlsperger noch nicht im engen Kreis ist, wundert mich. Volz müsste dabei sein. Es gibt Borowski, es gibt Mozart-Broich und Podolski, die sollten so schnell wie möglich herangeführt werden. Den Generationenwechsel würde ich auch im Tor gut finden. Da hätte ich gerne Timo Hildebrand. Man soll sich doch nichts vormachen: Nach 2006 geht es doch auch weiter. Obwohl mein Favorit für den Posten des Bundestrainers Morten Olsen war, finde ich es gut, dass jetzt die drei Jungs da sind. Bei Klinsmann, Bierhoff und Löw ist mehr Power dahinter, als wenn jemand alleine aus Dänemark kommt. Dass es nun alles Schwaben oder teilweise Badener sind, ist nun Schicksal. Das braucht man nicht weiter zu diskutieren.

RUND: Sie haben gesagt, wenn Kahn keine Lust mehr hat, solle er doch aufhören.
Peter Lohmeyer: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Er hat gefragt, wo denn die jungen Spieler seien. Ja,
zeigt sie uns doch, hat er vor der EM wissen wollen. Er hat den Kredit, den er durch seine Kunst als Torwart bei mir hatte, verspielt. Ich bin es leid, wenn sich jemand als armes Opfer darstellt, der sich ständig in die Öffentlichkeit bringt. Da ist für mich Schicht. Er ist für mich überhaupt keine Identifikationsfigur, aber das muss ein Torwart sein. Den Stress, den er und Lehmann haben, braucht man auch nicht. Der Jens läuft auch immer nur mit vergrätztem Gesicht rum. Ich finde Hildebrand einen super Typen, genau so wie ich den Hinkel mag.

RUND: Was haben Sie nach dem „Wunder von Bern“ gemacht?
Peter Lohmeyer: Ich spiele ständig Theater. Neu ist, dass ich einen Johnny-Cash-Abend gemacht
habe. Ich bin so ein bisschen zum Musiker mutiert. Es gibt Cashs Lebensgeschichte jetzt als Hörbuch: „Auf Kurs: Johnny Cash (19322003) – Ein Leben in Bildern.“ Das sind vier CDs, auf denen auch wunderbare Songs von ihm enthalten sind. Die Aufnahmen haben mir großen Spaß gemacht. Ich hatte neben mir den Produzenten Richard Weize sitzen, der Johnny Cash, die Carter Family, Kris Kristofferson alle gekannt hatte und im Studio häufig sagte: „Stopp, das stimmt doch so alles nicht.“ Dadurch war es quasi work in progress. So einen Stress hatte ich noch nie, aber ich denke, um so näher ist es dran an der Realität. Seit seinem Auftritt in dem für mich berühmten Columbo-Krimi „Swamp Song“ war Cash für mich ein Begriff.

RUND: Mit wem haben Sie die Cash-Songs auf der Tour zusammen gespielt?
Peter Lohmeyer: Mit Nils Koppruch von der Gruppe Fink, mit dem ich zusammen den „Bagdad Blues“ gegen George W. Bush gesungen hatte, und dem Bassisten Günter Märtens von der Tukur-Band. Wir heißen Hotel Rex, wie ein Hotel an der Kieler Straße in Hamburg. Es war eine sehr erfolgreiche Tour, die Clubs waren voll. Schlussendlich mache ich nur etwas, zu dem ich stehen kann und womit ich etwas zu tun habe. Und mit Johnny Cash hatte ich immer etwas zu tun. Deshalb habe ich mich das getraut, und es macht unheimlich viel Spaß. Das brauche ich als Live-Erlebnis. Das habe ich sonst beim Film ja nicht.

RUND: Sie haben Frank Christian Delius‘ „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ als Hörbuch eingespielt. Es geht um einen Pfarrersohn, wie Sie selber einer sind.
Peter Lohmeyer: Da traf eins aufs andere. Ich kannte das Buch und dann wurde mir angeboten, es
als Hörbuch aufzunehmen. Es wird aus der Perspektive eines elfjährigen Pfarrersohns erzählt, der die WM 1954 am Radio erlebt. Parallel dazu fragte mich Sönke Wortmann, ob ich und mein damals elfjähriger Sohn Louis im „Wunder von Bern“ mitspielen wollten. Ich würde den Delius gerne mal treffen. Es gibt doch den Spruch „Pfarrers Sohn und Müllers Vieh gedeihen selten oder nie.“ Aus ihm ist etwas geworden und aus mir auch ein bisschen.

RUND: Louis hatte im „Wunder von Bern“ einige Fußballszenen.Wie gut ist er auf dem Platz?
Peter Lohmeyer: Louis ist jetzt 14 und körperlich so weit, dass ich ihn sonntags mit zum Kicken in den Park nehmen kann. Neulich hat er auch in der „Wunder“-Elf mitspielt und dem Darsteller
des Fritz Walter prompt die Vorlage zum 1:0 gegeben. Da war ich unheimlich stolz. Er will jetzt auch wieder in einen Verein. Er war sechs, sieben Jahre lang bei Altona 93. Er hatte einen sehr guten Trainer, den ich schätze, der aber unter Erfolgsdruck stand, weil es eine Leistungstruppe war. Ein
Spiel werde ich nie vergessen. Louis wurde eingewechselt, machte einen Fehler in der Abwehr. Und ich hörte nur vom Trainer: „Ihr Hasenschisser.“ Das ging womöglich gegen die gesamte Abwehr, aber natürlich hatte Louis das auch aufgenommen. Aber der gröbste Fehler des Trainers war, dass er ihn dann wieder ausgewechselt hat. Das ist das Schlimmste, was es gibt für einen Fußballer. In dem Moment sagte ich zu mir: Wenn der jetzt mit Fußball aufhört, kann ich es ihm nicht verdenken. Vielleicht erklärt das die Misere des deutschen Fußballs, wenn mit Zwölfjährigen schon so umgesprungen wird. Ich glaube, dass man Spaß am Fußball bis zu einem bestimmten Alter dadurch vermitteln kann, dass das Spiel und nicht der Sieg im Vordergrund steht.

RUND: Was muss sich noch im deutschen Fußball ändern?
Peter Lohmeyer: Horst Eckel hat sich beklagt, dass sich unsere Spieler nicht bewegen. Es geht aber
um Bewegung. Unter Klinsmann bewegen sich die Spieler wieder. Endlich wird mal über den Tellerrand hinaus geschaut. Bei Schalke sehe ich auch Ansätze. Und wenn ich Magath glauben darf, dann will er bei Bayern etwas ändern und leidet unter der bisherigen Spielweise. Da habe ich mich wirklich gewundert. Ich könnte mehr zu den Bayern halten, wenn es denen nicht nur ums bloße Gewinnen ginge, sondern wenn die mit größerer Lust offensiven Bewegungsfußball zeigen würden.




Peter LohmeyerNicht immer in der komischen rechten Ecke sitzen: Peter Lohmeyer wohnt seit Jahren
in Hamburg-Altona, einem Viertel mit hohem Ausländeranteil. Foto: Gianni Occhipinti



RUND: Sie haben in Argentinien gearbeitet. Wie gut kennen Sie den südamerikanischen Fußball?
Peter Lohmeyer: Ziemlich gut. In Argentinien ging ich mal nach Boca, ein schönes Stadtviertel zum Angucken in Buenos Aires. Es war Sonntagnachmittag und ich sah alle Menschen in eine Richtung laufen, was es eigentlich nur beim Fußball gibt. Ich ging mit und war dann in der Bombonera, der Pralinenschachtel von Boca Juniors. Da ging es hoch her. Ich sah Caniggia, Cardoso und Palermo. Ich spreche Spanisch und konnte die Gesänge verstehen – es war heavy, es ging ganz tief unter die Gürtellinie. Ansonsten hatte ich ein ruhiges Spiel erwischt. Dort wird Fußball gelebt und die Rundfunkreportagen waren toll. In Südamerika wäre es unvorstellbar, während einer Fußballreportage Musik zu spielen.

RUND: Gibt es für Sie diese zwangsläufige Verbindung zwischen Kultur und Fußball, die gerade viel beschworen wird?
Peter Lohmeyer: Ich bin mal gespannt, was André Heller mit den 30 Millionen Euro macht, um das Kulturprogramm für die Weltmeisterschaft zu organisieren. Ich empfinde die Verbindung von Fußball und Kultur nicht als aufgesetzt. Es gibt genügend Leute wie etwa Cesar Luis Menotti, die bewiesen haben, dass das zusammengeht. Die Theaterlandschaft wird manchmal gehandelt wie die Bundesliga. George Tabori hat gesagt, dass Claus Peymann kein Welt-, sondern höchstens Europameister sei.

 

Das Interview ist in RUND #0_10_2004 erschienen.



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