INTERVIEW
„Was würdet ihr tun, wenn ihr die Uefa wärt?“
Daniela Wurbs von den Football Supporters International über Michel Platini und den zweiten europäischen Fußballfankongress, der an diesem Wochenende in Hamburg stattfindet. Interview Roger Repplinger

Fans

Zwei aktive Fanszenen: In Hamburg findet an diesem Wochenende der zzweite europäische Fußballfankongress statt. Auch Fanvertreter des FC St. Pauli (Foto) sind dabei. Foto Hoch Zwei




Frau Wurbs, wie war Ihr erstes Fußballspiel?

Daniela Wurbs: Stuttgarter Kickers im Waldstadion in Degerloch gegen irgendwen, Stehplatz, hinter uns eine Handvoll Faschos mit üblen Sprüchen.

Hat nicht abgeschreckt?
Ich war noch mal bei den Kickers, das lag an meinem damaligen Freund. Das nächste Spiel war in der Saison 1999/2000 beim FC St. Pauli am Millerntor. Da war’s um mich geschehen.

Sie sind 29 Jahre alt, aus Schrozberg bei Schwäbisch Hall, haben Sozialpädagogik studiert, wie wird man da Koordinatorin der 2001 gegründeten Football Supporters International (FSI), die am Wochenende den 2. Europäischen Fußballfankongress in Hamburg ausrichtet?
Ich bin da reingerutscht. Hab mich im Studium mit Fußballfans beschäftigt und danach ein Praktikum bei der Koordinierungsstelle für Fanprojekte in Frankfurt am Main gemacht. Danach war ich auf Honorarbasis bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal. Von 2005 bis Mitte 2007 hab ich im Fanladen des FC St. Pauli gearbeitet. Dann hat sich aus den Fanbotschaften, deren Aufgabe es war, ins Ausland reisenden Fans Infos und Unterstützung zu geben, die FSI entwickelt. Kevin Miles, hauptamtlich für die internationale Koordination der Fanbotschaften zuständig, fragte, ob ich mitarbeiten will, aus den Botschaften eine europäische Fanorganisation zu machen und den ersten internationalen Fankongress zu organisieren.

Sie haben das von England aus gemacht.
Ja. Das Büro war in Sunderland, gewohnt hab ich in Newcastle. Die Rivalität zwischen Sunderland und Newcastle ist in etwa so wie zwischen HSV und Bremen.

Der erste Kongress war in London.
Im Juli 2008. 280 Teilnehmer aus 27 Ländern, die etwa eine Millionen Fans repräsentierten. Es gab Workshops zu Themen wie Repression, Fankultur, Ticketing, Anti-Diskriminierung und Mitbestimmung. Es gab einen großen Konsens zwischen den Fans der verschiedenen Länder bezüglich Stehplätzen, unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen, Mitbestimmung. Dies machte erstmals auf europäischer Ebene deutlich: Fans wollen mehr Mitbestimmung, sie sind keine bloßen Konsumenten.

Warum ist der zweite Kongress in Hamburg?

Wir haben hier zwei erfolgreiche Fanszenen. Die Supporters des HSV, die in Sachen Mitbestimmung europaweit beachtet werden, und die Fanszene des FC St. Pauli, die politisch von vielen linken Fans für ihre Arbeit, etwa im Bereich Anti-Diskriminierung, bewundert werden. Beide Fanszenen, sowie die Vereine unterstützen uns beim Kongress durch ihre Mithilfe und Sachspenden.

Unterstützung kommt auch von der Uefa, deren Haltung gegenüber den Fans sich unter dem seit 2007 amtierenden Präsidenten Michel Platini geändert hat.
Ja. Im Winter 2007 gab es am Sitz der Uefa in Nyon in der Schweiz erstmals ein siebenstündiges Gespräch zwischen der Uefa mit Michel Platini und Vertretern der FSI und verschiedenen weiteren großen nationalen Fanorganisationen in Europa. Die Uefa hat bekundet, die Fans bei der Organisation des ersten Fankongresses zu unterstützen.

Wie war das bei Platinis Vorgänger und Gegenkandidaten Lennart Johansson?
Meines Wissens gab es damals so gut wie keine Kommunikation zwischen Fans und Uefa.

Welchen Eindruck haben Sie von Platini?
Nach allem was ich von ihm weiß und wie ich ihn erlebt habe, sehe ich bei ihm eine aufrichtig gemeinte Vorstellung davon, wie Fußball, wie das Spiel, sein soll. Die Fans gehören für ihn dazu. Wie ernst unsere Ansichten genommen werden, ob wegen uns politische Entscheidungen nicht getroffen werden, muss man abwarten.

Sicherheit ist ein heikles Thema?
Im Februar 2009 war in Nyon ein Treffen zu diesem Thema, bei dem Platini zu Fan-Vertreter sagte: „Was würdet ihr tun, wenn ihr die Uefa wärt?“

Die Uefa finanziert diesen Kongress?

Ja. Und meine Stelle, zunächst bis Jahresende, obwohl sie gleichzeitig die Unabhängigkeit von FSI anerkennt. Das war für uns entscheidend, um diese Form der Unterstützung akzeptieren zu können Das Büro ist auch bereits nach Hamburg umziehen. Hamburg liegt, europäisch gesehen, schlichtweg zentraler als Sunderland.

Und langfristig?
Brauchen wir eine Organisationsstruktur auf europäischer Ebene, die wir über Mitgliedsbeiträge, EU-Gelder und weiter durch die Uefa finanzieren müssen.

Wie viele Teilnehmer haben sich für Hamburg angemeldet?
Über 300 Fans und Mitglieder aus 29 Ländern, die für mehr als zwei Millionen Fans sprechen.

Wo sitzen die Sorgenkinder?

In Osteuropa gibt es einige Länder ohne nationale Fanorganisation oder vernünftige Strukturen der Selbstorganisation von Fans. Dort beobachten wir heute vielerorts eine Situation wie in deutschen Stadien in den Achtzigern: es gibt einige Probleme mit Rassismus und Gewalt, aber glücklicherweise auch bereits ein paar positive Strömungen, die etwas an der Situation verändern wollen. Hinzu kommt die oftmalige Isolation der Fans in diesen Ländern im Bezug auf Resteuropa. In Hamburg nicht vertreten sind unter anderm Länder wie Armenien, Aserbeidschan, Kasachstan, Moldawien, Rumänien, aber auch Finnland.

Wie ist die Lage in Italien, nachdem im Februar 2007 ein Polizist bei Auseinandersetzungen rund um das Spiel Catania Calcio gegen US Palermo ums Leben kam, und im November 2007 ein Fan von Lazia Rom von einem Polizisten erschossen wurde?
In erster Linie herrscht dort derzeit große Resignation unter Fans vor.

Und in England?
Da herrscht auch vielerorts Apathie. In der Premier League ist der durchschnittliche Dauerkartenbesitzer 44 Jahre alt, in Deutschland deutlich jünger. Englische Fans haben, bedingt durch die Rechtsform der Vereine, kaum Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Die Spiele sind oft vorhersehbar, die Vereine Geldmaschinen, die Fans fristen ihr Dasein als Anhänger von Clubs, deren Erfolg vom Geld abhängt. Für die Vereine sind die Fans eine kommerzielle Größe, die englische Fankultur, so wie wir sie kennen, ist fast verloren gegangen.

Das hat auch was mit den Ticketpreisen zu tun?

Bestimmte gesellschaftliche Schichten haben keinen Zugang zum Fußball mehr. Nur noch über Fernsehen im Pub, viele Vereine kriegen ihre Stadien nicht mehr voll. Die Fans, die kommen, werden finanziell ausgebeutet. Aus Sicht der Vereine zum Teil notgedrungen, weil sie hemmungslos überschuldet sind.

Als der us-amerikanische Geschäftsmann Malcolm Glazer im Mai 2005 Manchester United kaufte, regte sich Widerstand.
Da sagten unter anderem einige ManU-Fans: Das ist nicht mehr unser Verein. Sie gründeten den semi-professionellen F.C. United of Manchester, die „Red Rebels“. Ein Teil geht nicht mehr ins Old Trafford.

Was sagen Sie dann zu den Bestrebungen von Martin Kind, Hannover 96, die 50 plus eins Regel abzuschaffen, und den deutschen Fußball Investoren komplett auszuliefern.
Angesichts der englischen Erfahrungen verstehe ich das nicht. Der Verlust der 50 plus eins Regel wäre fatal. Es gibt englische Fußballfans, die fahren zum HSV oder FC St. Pauli, um Fußball zu sehen mit Stehplätzen, Bier und Rauchen. Im Volkspark und am Millerntor geht es englischer zu als in der Premier League.

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