RELEGATION

Nur eine Halbzeit Heavy-Metal-Fußball

Nach dem fünften Nichtaufstieg des einstigen Bundesliga-Dinos reagieren die HSV-Fans nach dem Relegationsrückspiel gegen den VfB Stuttgart mit überraschender Euphorie. Von Matthias Greulich, Hamburg.

 

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Euphorie trotz Nichtaufstieg: Die Anhänger der Raute halten dem HSV auch nach fünf Jahren in der Zweiten Liga die Treue. Foto Pixathlon

 

Manchmal, das wissen Anhänger des HSV, glaubt man, dass sich im Rasen urplötzlich ein großes Loch auftut. Wenn es ganz schlimm kommt, hat sich zuvor der Lauf des Balls durch eine Papierkugel verändert, wie einst gegen Werder Bremen. Oder Aufstiegskonkurrent Heidenheim gelingen in fünfzehn Minuten Nachspielzeit zwei Tore, während sich glückselige Profis und Fans im Funkloch von Sandhausen bereits zurück in der ersten Liga wähnen. Im Vergleich dazu kein Problem stellte die Rasenfläche im Volksparkstadion dar, die Ende Mai für zwei Konzerte der gigantischen Bühne von Metallica weichen musste. Der am Donnerstag ersatzweise verlegte Rollrasen ist im ungewöhnlich warmen Hamburger Spätfrühling glücklicherweise schnell angewachsen. Er bot die Bühne für das Relegationsrückspiel, das die Hamburger gegen den VfB Stuttgart mit 1:3 (1:0) verloren. 
 
Damit steht fest, was nach dem 3:0-Hinspielsieg der Schwaben am vergangenen Donnerstag fast alle ahnten: Der einstige Dino der Bundesliga wird ein sechstes Jahr im Unterhaus bleiben müssen. „Wir sind mittlerweile ein normaler Zweitligaklub – mit gigantisch vielen Fans“, lautet das Fazit von Tim Walter. Der Trainer des Hamburger Sportvereins hatte die Zuschauerstatistik genau gelesen. Nur in vier Stadien war zuletzt bundesweit mehr los als im Volkspark, wo 53.529 Fans in der abgelaufenen Saison Eintritt zahlten.
 
Nachdem Walter in die Mikrophone gesprochen hatte, rieben sich objektive Beobachter die Augen. Hier stand ein über beide Backen strahlender Trainer, der das Saisonziel Aufstieg wie schon in der letztjährigen Relegation gegen Hertha BSC erneut verfehlt hatte und warf Kusshände ins Publikum, das seinen Namen rief. Ähnlich erging es Walters Mannschaft, die nach dem Abpfiff vor der Nordtribüne mit minutenlangen Gesängen gefeiert wurde und schließlich sogar noch mit den Ultras abklatschte. Was jüngst in Dortmund passiert war, geschah nun im Volkspark. Mit dem Unterschied, dass die Tränen im unterkühlteren Norden schneller trockneten.

Dem HSV den Stecker gezogen
 
„Das ist extrem traurig“, sagte ein gefasster Sonny Kittel, der den HSV mit seinem sehenswerten Schuss nach sechs Minuten in Führung gebracht hatte. Kittel, der beste Hamburger, war vom ebenfalls starken Jean-Luc Dompé bedient worden. „Wir haben eine echt gute erste Halbzeit gespielt“, lobte Kittel völlig zurecht den couragierten Auftritt der Rothosen gegen kurzzeitig durchaus beeindruckt wirkende Gäste. Das Gegenpressing der Gastgeber funktionierte und auch die im Hinspiel völlig überforderte Viererkette stellte sich nun deutlich cleverer an.
 
Die in blau gekleideten Anhänger lieferten dazu in der ersten Hälfte einen Soundtrack in Metallica-Lautstärke. „Es war sehr laut“, bestätigte VfB-Profi Enzo Millot. Um 21.52 Uhr war es der Franzose, der dem Hamburger Heavy-Metal-Fußball den Stecker zog. Serhou Guirassy hatte die Kunststoffkugel mit der linken Außenseite weitergeleitet, wo niemand den völlig freistehenden 20-Jährigen am 1:1 hindern konnte. 48 Minuten waren da gespielt und es kam noch schlimmer für den HSV. Keeper Daniel Heuer-Fernandes verstolperte als letzter Mann einen Ball, den der nachsetzende Millot nur noch ins verwaiste Hamburger Tor einzuschieben brauchte. Dass der zweifache Torschütze seinen Treffer in Richtung HSV-Fans feierte, wurde von den Hamburger Profis als Provokation gewertet. Wegen Rudelbildung zeigte der gute Schiedsrichter Bastian Dankert vier gelbe Karten. Borna Sosa, einer der Verwarnten, hatte aus der VfB-Abwehr den weitesten Weg zum Tatort gehabt. Ihm sei, sagte er im Interview, der dauernde Trash-Talk der Hamburger gehörig auf die Nerven gegangen. „Wir brauchen das nicht“, so der 25-Jährige Kroate, „wir wollen Fußball spielen.“ Das gelang den Schwaben gegen weiter bemühte Hamburger nun zunehmend besser, wovon das von Silas Katompa Mvumpa erzielte 1:3 in der Nachspielzeit zeugt.
 
Waren die Stuttgarter Spieler an der Hamburger Viererkette noch häufig vorbeigekommen, war nach dem Abpfiff Schluss. Die Relegationssieger wurden durch eine behelmte Polizeikette von ihren fünftausend Fans abgeschirmt. Statt eines Platzsturms gab es eine längere Umarmung des vierten Stuttgarter Trainers in dieser Saison mit seinem Kollegen vom HSV. Walter gratulierte Sebastian Hoeneß deutlich inniger als man es nach den hitzigen Gesten an der Seitenline gegenüber der Stuttgarter Bank von ihm für möglich gehalten hätte. Vielleicht schwante dem Badener, dass er gute Chance hat, seinen bis 2024 laufenden Kontrakt mit dem HSV erfüllen zu können.
 
„Ich bin durch und durch Hamburger“, sagte der 47-Jährige dessen permanent zur Schau gestelltes Selbstvertrauen nicht jedem an Alster und Elbe gefällt. Walter hatte seine Mannschaft für das Hinspiel in Stuttgart arg naiv eingestellt, was im Aufsichtsrat für Diskussionen sorgen wird. Die Signale der Hardcorefans dürften dem Trainer helfen. Auf der Nordtribüne nehmen sie Walter nach zwei Jahren Dienstzeit seine bisweilen arg sentimentalen Bekenntnisse zu Stadt und Raute ab. Noch wichtiger: Die Anhänger sehnen sich nach zuletzt unruhigen Jahren in der Vereinsführung nach Kontinuität auf und neben dem neuen Rollrasen.

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