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Rivenicher Dickkopf
Beim Hamburger SV hatte Klaus Toppmöllers Ruf so stark gelitten, dass man sich fragen musste: Hat der ehemalige Trainer des Jahres den Anschluss verpasst? Oder ist die Schuld für die Demontage wieder einmal nur bei den anderen zu suchen? Fragen, mit der man sich dem selbst erklärten Bauchmenschen nur vorsichtig nähern darf. Von Christoph Ruf und Rainer Schäfer.

 

Klaus ToppmöllerSchönheit vor dem Kampf: Seit jeher steht Klaus Toppmöller für attraktiven Kombinations- und Offensivfußball
Foto Gianni Occhipinti

 

 

Jetzt kommt er, der Mann, der vor nicht allzu langer Zeit halb Europa in Verzückung versetzte. Der mit Bayer Leverkusen hinreißenden Fußball spielen ließ. Der selbst dem VfL Bochum das Fußballspielen beibrachte, in Frankfurt das magische Dreieck installierte und großmäulig-trotzig „Bye, bye, Bayern“ deklamierte. Man erwartet eine mitreißende, eine charismatische Persönlichkeit. In jedem Fall aber einen Temperamentsbolzen, den man nur mühsam aus dem Redefluss reißen kann. Stattdessen sitzt der reale Klaus Toppmöller gegenüber.

Der sieht nicht unbedingt wie ein Weltmann aus. Das Polohemd von der Stange spannt über seinem Bauch. Leise, fast ein wenig verschämt, nuschelt er in melodischem Mosel-Singsang seine Sätze daher. Manche Floskel ist darunter, Andeutungen, angefangene und nicht vollendete Ausführungen. Der Fußball, den die Brasilianer im Confederations-Cup-Finale gespielt haben, habe ihn „begeistert“, sagt er. Doch weder Stimme noch Mimik lassen sich bei der Erinnerung an den von ihm so geschätzten Kombinationsfußball aus der Reserve locken. Der 54-Jährige wird das ganze Gespräch über skeptisch, fast ein wenig misstrauisch bleiben. Passanten, die ihn erkennen, grüßt er höflich – obwohl ihm der Rummel so unangenehm zu sein scheint, dass es mit Händen zu greifen ist. Unsympathisch ist das alles nicht. Nur unerwartet.

Vielleicht hat sich Klaus Toppmöller aber auch nur vorgenommen, den Journalisten nicht mehr so viel Angriffsfläche zu bieten, die ihn in Hamburg mit Unschuldsblick nach einem bestimmten Spieler fragten. Nur um ihm dann tags darauf vorzuhalten, er habe öffentlich Einzelkritik betrieben. Und dennoch: Auffallend oft spricht er von seiner Hamburger Zeit, als müsse er sich rechtfertigen. Dann benennt er Zeugen, die seine Version der Dinge bestätigen können oder er sagt: „Das können Sie alles nachlesen.“ Die Augen unter dem grauen Wuschelkopf blicken passend zu seiner Rechtfertigungsrhetorik. Immer wieder zeigt er auf das Aufnahmegerät: „Machen Sie das mal aus, dann erzähl ich etwas.“ Wahrheiten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Toppmöller fühlt sich ungerecht bewertet, seit seinem Scheitern beim HSV. Nicht zu Unrecht, wenn man glauben darf, welche hochkarätigen und wechselwilligen Spieler nicht nach Hamburg kamen, weil das Präsidium sie für zu schwach hielt.

Seit Toppmöller im vergangenen Herbst beim HSV entlassen wurde, ist er arbeitslos. Nicht zum ersten Mal, aber diesmal wurde der Mythos des Toptrainers entzaubert. Vielleicht wurde sogar sein Ruf nachhaltig beschädigt. Aber hat er nicht an seiner eigenen Demontage mitgearbeitet, sich sturköpfig mit allen angelegt, dem Vorstand, den mächtigen Hamburger Medien und Spielern wie Björn Schlicke, den er einmal für Nachlässigkeiten im Spiel dazu verdonnerte, eine Woche die Schuhe des Kollegen Sergej Barbarez zu putzen? Hat er nicht die Fans verprellt, mit einem zaudernden Fußball, der gar nichts mehr atmete von den ästhetischen, taktisch perfekt organisierten Leverkusener Darbietungen? Und dann kommt Nachfolger Thomas Doll und lässt mit beinahe demselben Team den Fußball spielen, den Toppmöller versprochen hatte.

Jetzt, so sollte man meinen, wäre der Zeitpunkt, an dem man als Trainer seine Arbeit und seine Methoden reflektiert, um mit den verarbeiteten Erfahrungen und analysierten Fehlern wieder gestärkt zurückzukommen. Doch Toppmöller hegt und pflegt eine andere Perspektive. Im Zweifelsfall sind es die anderen, die Herren und Damen auf der Entscheidungsebene, die „ihm nicht die Zeit gegeben haben, eine Klassemannschaft aufzubauen“, die nicht Wort gehalten haben. Jetzt wird er zum Sündenbock gemacht, jetzt „wird ihm ein Strick daraus gedreht“. Selbstreflexion ist keine seiner Elementarstärken, stattdessen greift er lieber zu unpersönlichen Trainerweisheiten: „In diesem Geschäft bist du mal der Herrgott, und dann guckt man dich wieder an, als ob du ein Portemonnaie geklaut hast.“ Es ist zu befürchten, dass Toppmöller sich selbst die Welt auch so erklärt.

Trotzdem: Toppmöller hat sich etwas Anarchisches erhalten, etwas Unbezähmbares, das im Fußball der gestriegelten Vorstandsvorsitzenden irritierend wirkt. Ein Imageberater könnte in dem Dickkopf aus Rivenich einen langjährigen Betreuungsfall wittern – Toppmöller würde ihm garantiert die Tür weisen. In seiner Welt zählt das gesprochene Wort noch. Da werden Verträge noch per Handschlag abgeschlossen. Schön sei es, dass den Spielern in England noch der Respekt vor dem Zeugwart beigebracht werde, sagt er. Man mag ihm in seinen Klubs viel vorgeworfen haben – aber sicher nicht, dass er gegenüber Geschäftsstellenmitarbeitern oder Hospitanten jemals arrogant aufgetreten wäre. Doch konfrontiert man ihn mit der Beobachtung eines Journalisten, dass Toppmöllers große Stärke seine Emotionalität, seine Emphase sei, die ihm aber im Misserfolgsfall zum Verhängnis werde, reagiert er gereizt. Schon wieder so ein neunmalkluges Herumpsychologisieren. „Wenn der beste Stürmer verletzt ausfällt, wer soll dann die Tore schießen?“

Das Wort „Emphase“ würde Toppmöller sicher nicht verwenden. Er spricht stattdessen vom „Herzblut“, das man brauche, um weiterzukommen. Von solchen Wörtern und Werten wie Leidenschaft und Hingabe mag er nicht lassen: „Mich können Sie nachts um zwölf anrufen, da würde ich kommen und auf dem Hartplatz mitkicken.“ Es hat etwas Rührendes, wie Toppmöller, der seit über 30 Jahren Profi ist, über seinen Sport redet. „Wir haben nur Fußball gespielt, wir haben nichts anderes gekannt. Wir haben immer mehr Zeit verbracht mit dem wunderschönen Spiel Fußball, das man geliebt hat.“ Vielleicht ist die Welt des Klaus Toppmöller ein wenig antiquiert, doch das spricht eher gegen die Auswüchse der Showbühne Bundesliga als gegen ihn.

Wer nach seinen Regeln arbeitet, wer die Bereitschaft mitbringt „lernen zu wollen“, bekommt einen Trainer, der zu den besten seiner Zunft gehört. Doch wenn die Kommunikation stockt, der Trainingseifer in Routine übergeht und sich der Misserfolg wie Schimmel auf den Alltag legt, verfliegt seine Magie, dann wird Toppmöller bockig und erliegt der Gefahr, allzu schnell zu provozieren, alles niederzureißen, bis man ihn für nicht mehr tragbar hält. Toppmöller, der erklärte „Bauchmensch“, ist viel zu sehr Fan des Spiels geblieben, als dass er es und seine Rolle darin kühl und rational betrachten könnte. Vielleicht fehlt ihm deshalb die Distanz dazu, wird deshalb seine Stärke zur Schwäche. Inzwischen liegen ihm wieder einige Angebote vor, „ich könnte morgen anfangen“. Doch noch zögert er: „Ich bin vorsichtiger geworden nach dem HSV.“ Nichts würde man ihm sehnlicher wünschen, als dass das stimmt.

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Der Text ist in RUND #2_09_2005 erschienen.

 

 

Klaus ToppmöllerImmer höfliich: Klaus Toppmöller wird überall erkannt. Freundlich erfüllt er die Wünsche der Touristen und lässt sich fotografieren – obwohl ihm der Starrummel unangenehm ist Foto Gianni Occhipinti

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