BUCH
Adolf Jäger: „Der Größte, den wir je hatten!“
Altona 93-Fan Folkert Mohrhof hat das Leben der Fußball-Legende erforscht. Von Volker Stahl
Vor der Adolf-Jäger-Kampfbahn an der Griegstraße in Hamburg-Bahrenfeld: Buchautor Folkert Mohrhof. Foto: Stahlpress Medienbüro
Als das Stadion seinen Namen bekam, lebte Adolf Jäger noch. Der Zweite Weltkrieg sollte nur noch wenige Monate dauern, da benannte Altona 93 seine Spielstätte in Bahrenfeld vom Stadion zur „Adolf-Jäger-Kampfbahn“ um. Die martialische Namensgebung passte im August 1944 zum damaligen Zeitgeist, zum Fußballer Adolf Jäger, dessen einziger Sohn Rolf zwei Monate zuvor in Le Mans bei einem Luftangriff getötet worden war, passte sie allerdings denkbar schlecht.
Der Offensivspieler hatte zwar einen wuchtigen Schuss und präzisen Kopfball, doch lobten ihn die Experten vor allem für seinen großen fußballerischen Verstand, mit dem er seine Mitspieler in Szene setzte. Sepp Herberger hatte den Fußballer von Altona 93 einst in der Nationalmannschaft spielen sehen. Der spätere Weltmeistertrainer von 1954, selber ein herausragender Stürmer in Mannheim, machte keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den eher kühlen Norddeutschen: „Adolf Jäger war der Größte, den wir je hatten. Er war ein Stratege.“ Herbergers Vorgänger Otto Nerz, Trainer der Nationalmannschaft bei der WM 1934, nannte ihn „eines der größten Genies des deutschen Fußballsports und Schöpfer des modernen Kombinationsspiels“.
2017 plant Altona 93 mit seinem Stadion an die Waidmannstraße umzuziehen. „Die neue Spielstätte sollte dann in ,Adolf-Jäger-Stadion’ umbenant werden“, findet Folkert Mohrhof. Der Fan des nach HSV und FC St. Pauli beliebtesten Fußballvereins der Stadt ist Revisor bei Altona 93. Als anarchistischer Verleger ist er Autor eines Buchs über Altonas größten Sportler.
„Adolf Jäger ist als Fußball-Star des frühen 20. Jahrhunderts in sozialer und politischer Hinsicht eine interessante Figur“, sagt Mohrhof: „Ich habe versucht zu recherchieren, wie der Sohn eines Schuhmachers überhaupt die Zeit gefunden hat, so viel Fußball zu spielen, schließlich dauerte der Arbeitstag damals bis zu zwölf Stunden.“ Es ist Mohrhofs Verdienst, dass er viele neue Fakten zu dem Sportstar der Fußball-Gründerzeit liefert und in seinem Buch kritisch zusammengefasst hat.
Der junge Nationalspieler: Durch die Länderspielpause im Ersten Weltkrieg bestritt Jäger nur 18 Länderspiele. Foto: Archiv Stahlpress Medienbüro
Adolf Jäger kam am 31. März 1889 zur Welt und wuchs im Pinneberger Weg auf. Rein geografisch war er damit ein Eimsbütteler Jung’, doch der Fußball führte ihn bald südwärts. Erst 1903 zu Union 03 Altona, vier Jahre später zu Altona 93, für das er Weihnachten 1907 erstmals auf Torejagd ging.
Die Qualitäten des Mittelstürmers sprachen sich in der Frühphase des deutschen Fußballs schnell herum. Schon 1908 debütierte er in der Nationalmannschaft, erzielte beim 2:3 gegen Österreich in Wien sogar einen Treffer. 1912 nahm er als Kapitän der deutschen Elf an den Olympischen Spielen in Stockholm teil. Wieder traf er gegen Österreich, doch trotz seiner 1:0-Führung hatten die Donaukicker mit 5:1 die Nase vorn. Beim 16:0 im anschließenden Trostrundenspiel gegen Russland fehlte Jäger, ansonsten wäre seine Länderspiel-bilanz von elf Toren wohl um einige Erfolge reicher.
Das Idol muss trotz Verbot Sponsoren gehabt haben
Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte Jäger als Unteroffizier der Reserve zurück. Ende 1924 bestritt er beim 1:1 gegen die Schweiz sein 18. Länderspiel, war danach zusammen mit dem Stuttgarter Eugen Kipp Rekordnationalspieler. Für Altona 93 soll Jäger zwischen 1907 und 1932 um die 2.000 Tore erzielt haben.
Angreifer noch mit vollem Haar: Jäger schießt aufs Tor. Foto: Archiv Stahlpress Medienbüro
Sein Biograf Mohrhof hat herausgefunden, dass Jäger drei- bis viermal in der Woche entweder Spiele bestritt oder trainierte – ein immenser Aufwand für jemanden, der mitten im Berufsleben stand. 1919 eröffnete Jäger einen Zigarrenladen an der heutigen Kreuzung Schulterblatt/Altonaer Straße, der zehn bis zwölf Stunden geöffnet hatte. Für das Jahr 1921 lässt sich durch Annoncen in Tageszeitungen belegen, dass Jäger das Herrenbekleidungsgeschäfts Jäger+Koch am Rathaus führte. Er verkaufte es spätestens 1926 wieder.
Mohrhof folgert, dass die Fußballikone Sponsoren gehabt haben muss, denn Profifußball war in Deutschland noch lange offiziell verboten. Erst ab Mitte der 1920er-Jahre durften „lohnabhängige Familienväter“ überhaupt eine geringe Ausfallentschädigung von 7,50 Mark pro Spiel erhalten. 1926 betrieb der Fußballer eine Werbeagentur mit dem späten Verlagstycoon John Jahr senior, mit dem er aus Anlass der Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam für die Tabakfabrik Reemtsma einen Bildband herausgab. Jäger hielt die Bildrechte an den Fotos des in einer Auflage von einer Million Exemplaren vertriebenen Werks. Das müsste finanziell eigentlich einträglich gewesen sein, doch für das Jahr 1929 Jäger als Mieter in einer Sozialwohnung bei der städtischen Wohnungsgesellschaft Saga in Altona nachweisen.
Wie diese von Mohrhof recherchierten Fakten zusammenpassen, ist unklar. Das frühe Idol hat nie viel Bohei um seine Taten gemacht, weder auf noch neben dem Fußballplatz. „Dieser im Grunde urfröhliche und lebenslustige Mensch war und ist immer noch nach außen wortkarg und verschlossen“, heißt es 1932 im Buch „Adolf Jäger’s Meistertaten für den deutschen Fußballsport“ des Autors Paul Duysen: „Es ist schwer, ihm innerlich nahe zu kommen, diesem klaren, aber schwerblütigen, typisch norddeutschen Charakter.“
Pausentee in den 1920er-Jahren: Jäger im AFC-Trikot (l.) mit eleganter Dame und HSV-Star Tull Harder. Foto: Archiv Stahlpress Medienbüro
Nach Archivbesuchen und Zeitschriftenlektüre kann Mohrhof dieses Bild bestätigen: „Vom HSV-Stürmer Tull Harder weiß man, dass auch ziemlich viel getrunken wurde. Harder ist wohl des öfteren ausfällig geworden. Von Adolf Jäger hörte man nur, dass es ‚auch mal lustig’ wurde.“ Harder und Jäger waren Anfang der 1920er-Jahre Rivalen um einen Platz in der deutschen Nationalmannschaft. Der HSV-Angreifer war der bullige Brechertyp, Jäger eher der (mit-)spielende Offensiv-Antreiber. „Der Streit ging darum, ob Jäger nur Mittelfeldspieler ist oder auch Stürmer“, schildert Mohrhof: „Ich glaube, er war beides.“
In der NS-Zeit wird es ruhig um den Fußball-Star
Während Harder 1932 in die NSDAP und 1933 in die SS eintrat, 1944 zum KZ-Kommandanten aufstieg und nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, wird es um Jäger in der NS-Zeit still. Seine Fußballtaten wurden weiterhin gerühmt, aber als Aushängeschild der Machthaber diente er nicht. „Von Jäger sind keine politischen Äußerungen überliefert“, sagt Mohrhof: „Nach meinen Recherchen war Jäger kein Parteigenosse. Die Nazis haben ihn wohl nicht geehrt, weil er keiner von ihnen war.“
Letztlich kostete die Nazi-Herrschaft Jäger das Leben. Am 21. November 1944 starb er im Alter von 55 Jahren bei Bombenentschärfungsarbeiten am Elbufer. Sein „Ehrengrab“ in der Nähe der Kapelle auf dem Altonaer Friedhof besteht bis heute. Die Pflege ist eigentlich Aufgabe des Bezirks. Weil es aber zuletzt heruntergekommen war, kümmert sich die Fan-Abteilung von Altona 93 um Jägers letzte Ruhestätte. „Altona 93 kann man sich nicht ohne Adolf Jäger vorstellen“, resümiert Mohrhof: „Jäger überstrahlt da wirklich alles.“
Adolf Jäger
Am 31. März, Jägers 126. Geburtstag, gab Altona 93 bekannt, dass der Verein seine Spiele ab 2017 an der Memellandallee austragen wird. Ob das neue Stadion weiterhin nach Altonas größtem Spieler benannt wird, ist noch offen.
Folkert Mohrhof: „Die Ära Adolf Jäger. Das Vierteljahrhundert des Altmeisters von Altona 93“, Verlag Barrikade, Hamburg 2014, 312 Seiten, 6,80 Euro. Bezug über den Autor unter Tel. 040/880 11 61 möglich. Außerdem in der Buchhandlung Christiansen, Bahrenfelder Straße 79, Buchhandlung im Schanzenviertel Schulterblatt 55 und in der Geschäftsstelle von Altona 93, Griegstraße 62.
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