STARGAST
Ein Engel am Ball
Zum Karriereende: Andrés Iniesta war der leise Star des FC Barcelona. Ein Porträt von Ronald Reng.
EL LOCO
24 Stunden Fußball
Die Verhandlungen scheinen dem "Corriere dello Sport" nach, schon weit fortgeschritten zu sein: Marcelo Bielsa, könnte die Serie A bei Lazio Roma bereichern. Nicht nur der offensiven Spielweise wegen. Jedenfalls müsste man eine Villa finden, in der auch die rund 7000 Videokassetten Bielsas Platz hätten. Giovanni Deriu analysiert Bielsa und nennt ein paar seiner Sprüche und Weisheiten.
Als Trainer von Olympique Marseille: Marcelo Bielsa. Foto Pixathlon
Marcelo Bielsa analysiert wie ein Besessener mögliche Gegner und Spielweisen. Bevor Pep Guardiola selbst Trainer wurde, traf sich der Katalane mit Marcelo Bielsa zum Grillen - daraus wurde dann eine, so wird kolportiert, zwölfstündige Unterhaltung rund um den Fußball. Sollte es dem eigenwilligen und oft starrsinnigen Präsidenten Claudio Lotito gelingen, "El Loco" zu Lazio zu lotsen, wäre das jedenfalls eine Bereicherung für Lazio und für die Serie A. Nur die Unterschrift und Verkündung fehlt, ob der Offensiv-Prophet in die Heilige Stadt kommt. Alle Lazio-Fans warten, bis weißer Rauch aufsteigt.
Gibt es auch ein Leben neben dem Fußball, lautet die berechtigte Frage bei Marcelo Bielsa, dem argentinischen Trainer, der auch schon die Nationalelf Chiles trainierte. Viel ist über Bielsa bereits geschrieben worden, und egal wo der fußballverrückte Argentinier Trainer war, er hinterließ Spuren - wenn auch nicht immer als Meister (zuletzt 1991 und 1992 mit den Newell's Old Boys) oder mit anderen wertvollen Titeln (Goldmedaille mit Argentinien bei den Olympischen Spielen in Athen). Chile verhalf Bielsa mit einer modernen Spielweise 2010 zum zweiten Platz mit nur einem Zähler hinter Brasilien. Das Land drehte durch. Bei der Weltmeisterschaft schied Chile dann erst im Achtelfinale gegen Brasilen aus. Bielsa, bekannt als pausenloser Wandler an der Außenlinie, später dann in der abgesteckten "Coaching-Zone", kann Leute und Spieler begeistern oder - abschrecken. Einen Bielsa als Trainer zu holen, bedeutet auch, das Team ein Stück weit zu überfordern. Die, die ihm aber folgen, werden auch ernten und dazu lernen. So sagte Bielsa vor Jahren bereits einmal Inter Mailand ab, und zwar als Nachfolger von Mourinho, der gegen die Bayern die Champions-League gewann. Bielsa traf sich mit Inter-Mäzen und Präsident Massimo Moratti, und sagte dann doch „No“. Warum? Weil er daran zweifelte, dass das "satte" Starensemble, darunter gar die Argentinier Zanetti und Diego Milito, ihm und seiner anspruchsvollen Spielphilosophie folgen würden.
Konsequentes Handeln zeichnete Marcelo Bielsa schon immer aus. Bei Athletic Bilbao sorgte Bielsa ebenfalls für Furore, denn nach Anfangsschwierigkeiten bekam der eigenwillige Argentinier doch die Kurve, und das Basken-Derby gegen Real Sociedad wurde gewonnen. Keine Ausländer, fast ausschließlich Spieler aus dem Baskenland liefen bei Bielsa auf - eine Forderung des Klubs, die schon einige Trainer abschreckte. Bilbao jedenfalls wurde durch Bielsas Spielweise wieder international salonfähig. Ins Europa-League-Finale (Uefa-Cup; 0:3 gegen Atletico Madrid) zog er mit Bilbao ein, verlor dieses dann aber ebenso klar wie die Copa del Rey (0:3 gegen FC Barcelona). Jedenfalls ging die Fußballleidenschaft Bielsas auch einigen Spielern und Funktionären oft zu weit, vielleicht hatte "El Loco" auch nur Pech bisher, nie die besten Stars trainiert zu haben. Schalke 04 wurde in der Eurpa-League daheim mit 4:2 deklassiert, so rasant ließ Bielsa spielen, danach musste gar Manchester United dran glauben.
Nach dem Spiel in Gelsenkirchen meinte Iker Muniain, Torschütze und bester Mann im Hinspiel auf Schalke: "Morgen werden wir 32 Besprechungen haben, und 600 Videos sehen ..." Ein Trainer zwischen Genie und Wahnsinn (welcher andere Coach lässt sonst seine Spieler an die 30 Einwurf-Varianten einstudieren?). Pep Guardiola nannte ihn gar "weltbester Trainer" und besuchte ihn, bevor er sich entschloss selber in diesem Beruf zu arbeiten.
Bielsa ist so etwas wie der letzte große Idealist im Fußball. Bielsa gibt offen zu, dass er das Ajax-System zu Zeiten von Louis Van Gaal stets schätze. Der Fußball muss offensiv sein: ausgehend von einem 4:3:3-Spielsystem auch gern immer auf ein 4:1:4:1 ausweichen. Überfallfußball mit einer Spitze auf dem Papier zwar, aber die Stoßtruppen dahinter, sorgen für die Angriffswelle. Und die Abwehrspieler müssen sich bei Bielsa sowieso vorn mit einschalten.
Nach dem kurzen Engagement bei Olympique Marseille - immerhin erreichten die Südfranzosen den vierten Platz in der Ligue 1 - könnte Bielsa nun wirklich das Wagnis in der Serie A eingehen - und das bei einem traditionsreichen und interessanten Hauptstadt-Club: Lazio Rom. Lazio hat höhere Ansprüche als einen achten Platz, den sie zuletzt erreichten. Lotito und Sportdirektor Igli Tare wollen Bielsa unbedingt, und die Verhandlungen laufen vielversprechend. Im Land der Redner, dürften auch Pressekonferenzen mit bis zu vier Stunden Verweildauer kein Problem sein, Bielsa bedient auch das kleinste Lokalblättchen.
Auszüge von Bielsas Weisheiten:
"Sieg und Niederlagen sind sehr wichtig und bestimmen den Fußball. Natürlich macht sich dann alles am Trainer fest. Und wenn Du stets mit diesem heißen Atem im Nacken lebst, musst Du irgendwann mit Deinem Privatleben dafür bezahlen."
"Jungs, es ist schwierig, Ungerechtigkeit im Spiel auszuhalten, aber hört zu, was ich Euch sage: Schluckt dieses Gift, ihr müsst stark bleiben. Ich weiß, meine Worte sind kein Trost, aber wenn ihr wie heute weiter spielt, bekommt ihr noch das, was ihr verdient..."
"Eure Waffe als Journalist ist das geschriebene Wort. Meine Waffe ist das gesprochene Wort. Ich brauche etwa 50 Sätze, um mein Konzept zu erklären, Ihr aber packt all meine Worte in eine Zeile."
"Der Trainerjob ist einer der schwierigsten überhaupt, weil man ständig unter Beobachtung steht. Ich mag es weder, dass mich die Leute lieben noch hassen für mein Tun."
"Ich mag einen sehr offensiven und aggressiven Fußball. Warum? Weil ich selbst ängstlich und dazu noch Argentinier bin. Ihr mögt es zu Viert auf einer Linie, nun mir gefällt es manchmal nur zu dritt, und so spielen wir nun..."
"Vidal? All das Durcheinander das er macht, bringt nichts. Die Beine müssen immer auf Höhe des Kopfes sein, wenn er mit mir spielen will, muss er meine Spielweise akzeptieren. Heroen fehlen dieser Welt bestimmt nicht..."
"Es gibt im Fußball nicht ein einziges Motiv, weshalb ein Spieler auf dem Platz herumstehen sollte. Der Fußball bedeutet ständige Bewegung und Rennen, sowie aktiv zu sein."
"Ich sehe auch keinen Sinn darin, nur einer Person oder einem Sender ein Interview zu geben, während ich es dem kleineren Journalisten aus der Provinz vorenthalte? Was wären die Kriterien dafür? Es wäre opportunistisch ..."
"Nein, das ist kein Fußball, das ist kein Fußball. Nur lange Bälle auf den Stürmer? Das ist kein Fußball, wo alle hinten stehen. Das ist kein Spiel, echt nicht ..."
(nach einer 0:1-Niederlage an den Coach Casiraghi bei einem Turnier, Osvaldo erzielte das einzige Tor)
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