FUSSBALL IM BASKENLAND
Absturz in Donostia
Der baskische Fußball steckt in der Krise. Mit den großen Klubs in Spanien können die Traditionsvereine Athletic Bilbao und Real Sociedad San Sebastián nicht mehr mithalten. Wenigstens der angekündigte Gehaltsverzicht des Athletic-Stars Joseba Etxeberría sorgt für positive Schlagzeilen. Von Elmar Neveling

Joseba Etxeberría
Nächste Saison ohne Gehalt: Joseba Etxeberría (links) will Athletic Bilbao helfen Foto Hoch Zwei



Pass von Darko Kovaƒçević auf Nihat Kahveci, der lässt mit einer Körpertäuschung gleich zwei Gegenspieler stehen, spielt zu seinem Sturmpartner zurück, der wuchtig verwandelt. Eine serbisch-türkische Traumkombination, wie sie in der Primera División regelmäßig gelang: Gemeinsam erzielten der wuchtige Kovaƒçević und der dribbelstarke Nihat in der Saison 2002/03 43 von 71 Toren ihres Klubs. Sie bildeten ein kongeniales Angriffsduo, das gerade wegen seiner Unterschiedlichkeit prächtig harmonierte.

Real Sociedad San Sebastián war eine der größten Überraschungsmannschaften der vergangenen Jahre in Spanien. Mit wunderschönem Offensivfußball erspielten sie sich Sympathien – und scheiterten am Ende grandios. Monatelang hatten sie souverän die Tabelle angeführt, ehe die Nerven versagten. Bis zum letzten Spieltag hatte Donostia, wie San Sebastian auf baskisch heißt, eine Chance auf den Titelgewinn. Es wäre nach 1981 und 1982 die dritte für das Gründungsmitglied der Primera División gewesen. Am Ende wurde Real Madrid mit zwei Punkten Vorsprung Meister. San Sebastian landete anschließend wieder im Mittelmaß, 2007, als Nihat schon beim FC Villareal spielte, folgte der Absturz: Als Vorletzter stieg das Team in „txuri-urdin“ (weiß-blau) in die Segunda División ab. Mit Kovaƒçević verließ nun auch der Torjäger den Verein, der 92-Mal für Sociedad ins Schwarze getroffen hatte. Rund ums Estadio Anoeta, der aufgrund ihrer spielfeldumgebenden Laufbahn ohnehin nur bedingt stimmungsvollen Spielstätte des Vereins, trugen die Fans Trauer. Erstmals seit vier Jahrzehnten gehörte San Sebastián nicht mehr zur Beletage des spanischen Fußballs, der Wiederaufstieg wurde im vergangenen Jahr verpasst. Und es sollte noch schlimmer kommen: Im Juli 2008 gab der Klub bekannt, seine Spielergehälter nicht mehr zahlen zu können und Insolvenz anzumelden – und dies wenige Wochen vor seinem 99-jährgen Bestehen, das Real am 7. September dieses Jahr feierte.

Der Absturz von Sociedad trifft seine Fans im Baskenland besonders hart. Dort, wo sie auf die Tradition von Sociedad besonders stolz sind und die Eigenständigkeit der baskischen Minderheit in Spanien betonen. Immerhin 80 Jahre lang verpflichtete San Sebastián ausschließlich Basken. Erst mit dem Iren John Aldridge im Jahre 1989 wurde die eiserne Regel, nur Spieler aus der Region im Team zuzulassen, durchbrochen. Während sich San Sebastiáns großer Rivale Athletic Bilbao an diese freiwillige Selbstbeschränkung noch heute hält, hatte Real mit seiner Öffnung zunächst Erfolg. In Bilbao werden weiterhin nur baskische Profis (Navarra und das französische Baskenland mit einbezogen) oder Spieler, die zumindest aus der Jugendabteilung eines baskischen Klubs stammen, geholt. Von der Ausweitung auf das französische Baskenland profitierte auch einer der prominentesten Spieler der Klubhistorie: Der Welt- und Europameister sowie langjährige Bayern-Verteidiger Bixente Lizarazu spielte in der Saison 1996/97 für Athletic, ehe er zu den Münchnern wechselte.

Nihat
Tor gegen Petr Cech: Bei der EM erzielte Nihat das 3:2 der
Türkei gegen Tschechien. In San Sebastian war er ähnlich treffsicher Foto Hoch Zwei



Angesichts dieser Transferpolitik stellen Bilbaos acht Meistertitel und 23 Pokalsiege eine beeindruckende Bilanz dar – Rekordpokalsieger FC Barcelona kann lediglich einen Cup-Erfolg mehr vorweisen. Da Athletic der Primera División seit 1927 ununterbrochen angehört, gehören „Los Leones“ („Die Löwen“) mittlerweile zum Inventar der Liga. Allerdings ist seit dem letzten großen Titel mittlerweile fast ein Vierteljahrhundert vergangen: 1984 gelang sogar das Double aus Meisterschaft und Pokal. 2007 wurde der Abstieg mit Rang siebzehn nur knapp vermieden, auch in dieser Saison liegt das Team auf einem Platz im unteren Mittelfeld. Den Gesetzes des Marktes versuchte Athletic lange Jahre zu trotzen: Erst sträubte man sich lange gegen Bandenwerbung im eigenen Stadion, dann ließ man bis zu diesem Sommer keinen Sponsor auf das „unbefleckte“ Trikot. Nach der Einigung mit einem Mineralölkonzern ist nun auch diese Bastion gefallen.

An das Gute im Profi lässt die Basken und den Rest der Welt momentan nur noch Joseba Etxeberría glauben: Der Star von Athletic kündigte in einem Interview an, in der kommenden Saison auf sein Gehalt zu verzichten: „Ich wollte mich mit dieser Geste für die Liebe revanchieren, die mir der Klub in all den Jahren entgegengebracht hat.“ Etxeberría begann seine Karriere 1993 bei Real Sociedad, ehe er nach einigen Gezerre zwei Jahre später für drei Millionen Euro Ablöse wechselte – seinerzeit die höchste Ablösesumme für einen unter 18-Jährigen in Spanien.

Ob es für den wahren Amateur Etxeberría dann wieder zwei hitzig umkämpfte baskischen Derbys geben wird, ist völlig offen. Bilbao kämpft gegen den Abstieg aus der ersten, San Sebastían um den Aufstieg aus der zweiten Liga. So schöpft insbesondere San Sebastián seinen sportlichen Ruhm derzeit aus der Vergangenheit. 1979/80 kassierte die „Erreala“ während der gesamten Saison lediglich eine einzige Niederlage, wurde jedoch aufgrund von 14 Unentschieden im Endklassement Zweiter hinter Real Madrid. Dafür gewann der Klub in den beiden Folgejahren seine bislang einzigen Meisterschaften – errungen mit erst acht, dann sieben Saisonniederlagen.

Zwei Legenden leisteten zu diesen Triumphen einen entscheidenden Beitrag: Der kleine Offensivspieler José Mari Bakero, der San Sebastián acht Jahre lang die Treue hielt und später Bestandteil des legendären Dreamteams unter Johan Cruyff beim FC Barcelona wurde; und Keeper Luis Arconada, der zwischen 1973 und 1989 imposante 551 Ligaspiele für den Klub bestritt und von 1980 bis 1982 dreimal in Folge zum besten Torhüter Spaniens gewählt wurde. Bakero kehrte 2005 zunächst als Sportdirektor, 2006 dann als Trainer zum Klub zurück. Doch es blieb ein kurzes Intermezzo: Nach nur zwei Zählern aus sieben Partien war die Amtszeit Bakeros bereits wieder beendet.

Bevor sich Kovaƒçević und Nihat ab 2002 als perfektes Sturmduo fanden, hatte Sociedad unter der Regie von Bernd Krauss bereits von 1997 bis 1999 ein Zwischenhoch erlebt. Der deutsche Trainer führte die Basken in seiner ersten Spielzeit auf Rang drei, ehe er nach Rang zehn im Folgejahr und einem Fehlstart in die Saison 1999/2000 geschasst wurde. Doch auch ohne Krauss beendete San Sebastián die Saison nur auf einem enttäuschenden 13. Platz.

Dass San Sebastian mehr zu bieten hat als einen ambitionierten Zweitligisten mit großer Vergangenheit, wissen deutsche Leser seit Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“. Er schilderte, wie schön das Baskenland dort, gerade einmal 20 Kilometer von der französischen Grenze entfernt, ist. Eine atemberaubende Kulisse bietet die malerische Bucht „La Concha“ („Muschelbucht“), die von Hotelbettenburgen verschont geblieben ist.

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