INTERVIEW
„Ballack profitiert vom Pendel“
Ingo Wollenberg ist der einzige Trainer in Deutschland, der sich auf die Verbesserung des Kopfballspiels spezialisiert hat. Er übt mit dem Nachwuchs von Bayer Leverkusen. In den 80er und 90er Jahren war Wollenberg Vertragsamateur in Leverkusen. Er trainierte auch bei den Profis mit, ohne jedoch in der Bundesliga eingesetzt worden zu sein. Aber eins konnte er stets besser als die anderen: köpfen.
Interview Daniel Theweleit.


Ingo Wollenberg
Pendeltraining: Ingo Wollenberg (li.) schaut sich alles genau an Foto Kathryn Baingo




RUND: Herr Wollenberg, woran erkennen Sie einen guten Kopfballspieler?

Ingo Wollenberg: Ein guter Kopfballspieler kennt keine Angst. Überhaupt keine Angst. Er muss mit vollem Risiko in den Ball reingehen, ob er ihn trifft oder nicht. Das ist Grundvoraussetzung.

RUND: Sie versuchen den Jungs die Angst zu nehmen.
Ingo Wollenberg: Ja, das muss man üben. Manchmal mache ich Schweinetraining, da verliert man seine Angst. Die kommen oft auf den Platz mit Gel in den Haaren, gestylt von oben bis unten. Dann nehme ich den Matsch vom Rasen, schmiere ihn den Jungs in die Haare und sage: So, und jetzt Zack!

RUND: Klingt brachial. Worauf kommt es technisch an?
Ingo Wollenberg: Man muss den Ball möglichst immer vorne mit der Stirnplatte treffen, nicht mit der Seite. Nur so kann man gut kontrollieren, wohin er geht. Bei Kopfbällen mit der Stirn kann man auch immer die Augen auflassen und bis zum letzten Moment genau schauen, wohin der Ball muss.

RUND: Bevor es so weit kommt muss man die Flugbahn vor dem Gegenspieler erkennen, damit man zuerst an der richtigen Stelle steht. Wie früh kann man das sehen?
Ingo Wollenberg: Das sieht man normalerweise an den ersten zwei Metern der Flugbahn des Balles. Das sind Hundertstelsekunden. Ein guter Kopfballspieler kann das. Das ist auch eine Frage von Intelligenz.

RUND: Brummt den Jungs der Schädel, wenn Sie mit ihnen fertig sind?
Ingo Wollenberg: Brummen nicht, das ist wie Muskelkater in der Stirn. Da sind ja auch überall Muskeln, und wenn man das wochenlang macht, spürt man gar nichts mehr.

RUND: Es fällt auf, dass die Flanken in der Bundesliga oft ein erschreckendes Niveau haben. Woran liegt das?
Ingo Wollenberg: Gute Frage. Vielleicht wird es zu wenig trainiert. Aber mit Flanken ist das so ähnlich wie mit dem Kopfball. Es gibt einfach Leute, die das können, und andere, die können üben, üben, üben, und es wird nichts.

RUND: Ist Jan Koller so einer, der es nicht kann. Seine Größe hat ihm enorme Vorteile verschafft, seine Kopfbälle aufs Tor wirkten aber oft kläglich.
Ingo Wollenberg: Manche Spieler bekommen die Bewegungen vom Körperbau nicht so gut hin. Koller kann von der Statur her nicht druckvoll köpfen. Es liegt schon irgendwo in den Genen, ob man das kann oder nicht.

RUND: Sie sind offenbar Deutschlands einziger Kopfballtrainer. Woher nehmen Sie die Ideen für ihre Übungen?
Ingo Wollenberg: Im Osten wurde früher sehr intensiv Kopfball trainiert. Die standen jeden Tag am Pendel, davon profitiert beispielsweise auch Michael Ballack. Als die Mauer dann gefallen war, hat man die Pendel fast überall abgebaut, auch im Westen. Erst in den letzten Jahren trainiert man wieder mehr mit dem Gerät, ich arbeite sehr viel am Pendel.

RUND: Ein Phänomen ist Miroslav Klose. Der hat in seinen ersten Bundesligajahren in Kaiserslautern und in der Nationalmannschaft Kopfballtore am Fließband gemacht, er wurde dafür sogar verspottet. Dann ging er nach Bremen und traf plötzlich nur noch mit dem Fuß. Jetzt köpft er auch wieder Tore. Wie kann man das erklären?
Ingo Wollenberg: Es kommt eben auf die Mitspieler an, und das waren in Bremen andere als in Kaiserslautern. Bei uns hier im Jugendbereich ist das Gefüge nicht sehr günstig für den Kopfballspieler. Es wird mehr spielerisch gemacht. Früher hieß es immer, man müsse zur Grundlinie kommen und flanken. Heute ist alles mehr auf das Fußballerische ausgerichtet, da sind mehr Spieler dabei, die einfach keine Schweine sind. Du musst ein Schwein sein, wenn du da vorne reinmarschierst. Wenn die Jungs nach dem Wochenende ins Training kommen, frage ich immer: „Und Tore geköpft?“ Die sagen dann: „Tore gemacht ja, aber mit dem Fuß.“ Ich frage: „Wie?“, und die zucken die Schultern: „Kam nix, keine Flanken.“


Das Interview ist in RUND #17_12_2006 erschienen.

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