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Sechs Richtige mit Netzer
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Volker Ippig: Der Lascher von Schuppen 45
Seit kurzem arbeitet Volker Ippig im Hamburger Hafen. Der ehemalige Torwart des FC St. Pauli, löscht Container – ein Knochenjob. Ippig war immer unangepasst. Im Hafen nimmt er seine nächste Auszeit vom Fußball-Zirkus. Von Rainer Schäfer
Foto Henning Angerer/Hoch Zwei
Wenn im Schuppen 45 sechs Stunden „Bananenwerfen“ angeordnet werden, also 20-Kilo-Kisten mit Bananen auf das Förderband gehievt werden müssen, dann rechnet Volker Ippig wie ein Fußballer. „Das sind für mich sechs Halbzeiten, nach jeder mache ich 15 Minuten Pause.“ Ippig, der in Hamburg, vor allem im Stadtteil St. Pauli nach wie vor als Fußball-Mythos verehrt wird, arbeitet seit kurzem im Drei-Schicht-Betrieb im Hamburger Hafen. Ippig, 45, hat sich als Lascher verdingt, er muss Container löschen, oder auf dem Schiffsdeck befestigen, ein Knochenjob. Manchmal schwebt Ippig im Laschkorb auf die Ozeanriesen, ein surrealer Ausblick, gerade nachts, wenn tausende von Containern im Scheinwerferlicht bewegt werden wie Bauklötze.
Wie Ameisen wuseln die Lascher und Tallymänner auf den riesigen Containerbrücken, Ippig mitten drin, in der Laufarmee der Werktätigen. Ein Fußball-Star als Hafenmalocher? Ippig kann nichts Besonderes, schon gar nichts Ehrenrühriges daran finden, „sein Geld mit den eigenen Händen zu verdienen“. Das mag damit zu tun haben, dass er sich schon als Fußball-Profi als Teil der arbeitenden Bevölkerung verstanden hat.
Aber es hat sicher auch damit zu tun, dass Ippig etwas desillusioniert aus Wolfsburg abgereist ist, wo er bis Januar 2008 als Torwarttrainer beim Bundesligisten VfL beschäftigt war. Drei Tage die Woche sollte er sich um die Weiterentwicklung der Torleute kümmern. Beim Training konnte man beobachten: Ippig ging mit viel Elan und Begeisterung zur Sache, so wie es seiner Vorstellung von korrekt verrichteter Arbeit entspricht. Aber er geriet zwischen die Frontlinien des Konfliktes, den Felix Magath und Stamm-Keeper Simon Jentzsch austrugen. Ippig versuchte in der Drei-Tage-Woche, was auch an sieben Tagen nicht zu leisten gewesen wäre: Das zerschlissene Verhältnis zu reparieren. Jentzsch wurde suspendiert, Ippig als Kollateralschaden gleich mit entsorgt. „Ich habe mir das anderes vorgestellt, ich war noch nicht fertig mit meiner Arbeit“, sagt Ippig über seine unvollendete Mission.
Der Abstecher in den Hamburger Hafen entspricht einem Handlungsmuster, das sich in Ippigs Biografie schon mehrfach bewährt hat: Eintauchen in eine neue Welt, um mit neuen Erfahrungen in den Fußball-Zirkus zurückkehren, „in dem sich viele für etwas Besonderes halten“. Man kann die Arbeit im Hafen als vorübergehende Auszeit betrachten, vom überkandidelten Profibetrieb und seinen verwöhnten Fußball-Stars: Die Nachtschicht dient als Kontrastprogramm, praktizierte Bodenhaftung im Containerhafen. Wenn Ippig die Schiffe auf der Elbe nahen sieht, ahnt er, dass er „Teil eines großen Ganzen ist, in dem Fußball eine kleine Rolle spielt“.
Fußball alleine genügte ihm noch nie: Ippig verließ den FC St. Pauli mal für ein Jahr, um in einem Behindertenkindergarten zu arbeiten. Anschließend leistete er im sandinistischen Nicaragua Aufbauhilfe. Nach Hamburg zurückgekehrt, lebte Ippig unter den Autonomen der Hafenstraße. Er versteckte sein Gesicht hinter langen Haaren und Rauschebart, während sich die Mitspieler als Stars feiern ließen. Ippig beschäftigte sich mit Carlos Castaneda und den psychedelischen Möglichkeiten der Bewusstseins-Erweiterung, die Mitspieler diskutierten die Benotung ihrer Leistungen in den Fachmagazinen.
Auch wenn er es nicht mehr hören kann: Ippig gilt heute noch als einziger Profi beim FC St. Pauli, der die Sehnsucht auf den Stehtraversen nach politisch korrekten Fußball einlösen konnte. Unangepasst war Ippig immer, „aber nie der große politische Ideologe, zu dem man mich gemacht hat“.
Ein Ideologe mag er nie gewesen sein, aber als Torwarttrainer ist Ippig bekannt für seine innovativen Methoden und Konzepte. Seine Keeper müssen jeden Tag mit Überraschungen rechnen, wie mit dem Einsatz von Erotik-Plastikpuppen aus dem Hause Beate Uhse. Die simulieren im Training Stürmer und Abwehrspieler. „Flexibel und gelenkig bleiben“, fordert Ippig, „auch im Kopf“. Routine, das ist wie eine schleichende Krankheit für ihn, die in der Bewegungslosigkeit endet. „Mein Training ist immer auch ein Wissenstransfer für das normale Leben“, sagt Ippig. „Je beweglicher Menschen sind, desto besser kommen sie zurecht - überall.“ In Ippigs Gedankenwelt ist die Arbeit mit 40-Fuß-Containern genau so wertvoll wie seine Sozialisation in der Hamburger Subkultur, als Erfahrungen dehnen sie die engen Grenzen im Fußball aus.
Ippig ist als mobiler Torwarttrainer unterwegs und buchbar, als Inhaber der A-Lizenz trainiert er den Verbandsligisten TSV Lensahn. Beim Schleswig-Holsteinischen Fußballverband ist Ippig in der Trainer-Aus- und Fortbildung beschäftigt. Sein großes Anliegen: „Die Qualität in der Jugendbetreuung und an der Basis systematisch verbessern. Da wird die Ausbildung immer noch vernachlässigt.“ Ippig wird wütend, wenn er sieht, „wie viele Millionen im Profifußball sinnlos verbrannt werden, weil immer noch große Widerstände bestehen gegen neue Konzepte“. Ippig hebt seine Stimme bei diesem Reizthema, und neuerdings kann er poltern wie ein Lascher aus Schuppen 45.
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