KOMMENTAR
Hans hat nur das Glück verlassen
Hans Meyer ist arbeitslos, weil die Verantwortlichen des 1. FC Nürnbergs glauben, im Fußball geht es nur ums Toreschießen. Ein Kommentar über die überraschende erste Trainer-Entlassung der Rückrunde in der Ersten Liga. Von Steffen Dobbert, Zeit online

Hans Meyer
Stilloses Vorgehen der Clubberer-Verantwortlichen: Hans Meyer erfuhr die Nachricht, er sei entlassen, von einem Journalisten. Wen rufen Sie jetzt an, Herr Meyer? Foto Benne Ochs


Unter „R“, wie Rausschmiss, würden im Meyer-Fußballdeutsch wahrscheinlich diese kurzen Sätze stehen: „Das ist keine Überraschung. Das ist das Normalste der Welt!“ Hans Meyer hat sie schon einmal gesagt: Vor einigen Wochen, als seine Mannschaft gegen den Zweitligisten Jena mit 4:5 nach Elfmeterschießen aus dem DFB-Pokal flog. Die Hände tief im dicken Anorak vergraben verließ Meyer damals das graue Stadion in Jena. Zuvor hatte er die Journalisten (mal wieder) überrascht. „Gehen Sie ruhig davon aus, dass ich in 14 Tagen noch Trainer sein werde", hatte er gesagt. Dann schob er schnell hinterher: „Wie lange, das weiß man im Fußball nie.“ Doch: Im Fall Meyer weiß man es nun genau. Seit Montagabend ist Meyer kein Bundesliga-Trainer mehr. Wahrscheinlich wird er es nie wieder werden.

Es ist bekannt, dass Meyers Äußerungen oft das Gegenteil von dem aussagen, was er denkt. Für die Fähigkeit, sich ironisch auszudrücken, lieben ihn Millionen Fans. Auch dass es wirklich sehr normal ist, dass irgendein Verein irgendeinen Trainer feuert, bleibt unbestreitbar. Aber Hans Meyer war niemals irgendein Trainer. Hans Meyer war immer etwas Besonderes. Der Rauswurf ist also alles andere als normal. Er ist zum jetzigen Zeitpunkt ein großer Fehler und eine große Überraschung.
Um ein Spiel zu gewinnen, müssen die eigenen Stürmer mehr Tore schießen als die gegnerischen. Links, rechts, Pass und am Ende: Hauptsache rein das Ding. Fußball ist ganz einfach. Leider nicht immer. Um einen Verein langfristig erfolgreich zu führen, braucht es neben einem funktionierenden Unternehmen eine Mannschaft, die personell und spielerisch gut ausgebildet und aufgestellt ist. Meist schießt die dann genug Tore. Zwangsläufig ist das nicht so.

Hans Meyer
Stilloser Rausschmiss: Trainer Hans Meyer wurde in Nürnberg überraschend entlassen. Herr Meyer, haben Sie jetzt noch Lust, mit Präsident Michael A. Roth Essen zu gehen? Foto Benne Ochs

Hans Meyers Team zählt dank seines spielerischen Potenzials, seines taktischen Verständnisses, seiner guten Spielanlage und dank der Systemvariabilität zu den besseren Bundesligisten. Wenn es nach der Anzahl der Torschüsse ginge, würde Nürnberg derzeit statt gegen den Abstieg um einen Platz im Uefa-Cup mitspielen. In der Chancenverwertung belegen sie allerdings den letzten Rang. Von 301 Schüssen landeten nur 22 regelgerecht im Tor.

Andreas Brehme würde wahrscheinlich schlussfolgern: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“ Eine intelligente Vereinsführung könnte aber auch darauf kommen, dass ihr Trainer gute Arbeit abliefert. Sie sollte ihn nicht zwei Tage vor der Zwischenrunde des Uefa-Cups rausschmeißen. Sie sollte angesichts der Schwächen im Angriff wie geschehen einen starken Stürmer wie Jan Koller verpflichten und wie nicht geschehen hinter dem Trainer stehen.

Natürlich wäre es etwas zu leicht, dem 1. FC Nürnberg den schwarzen Peter zuzuschieben, nur weil Meyer oft so lustig und sympathisch ist. Obwohl der Meyer-Faktor tatsächlich in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, dass der Verein ein frisches, attraktiveres und besser zu verkaufendes Image bekommen hat. Die Fans sehen in Meyer erstmals seit Jahrzehnten wieder einen Helden ihres Clubs. Aber nein, nur als besseres Maskottchen hätten der Nürnberger Vorstand um Präsident Michael A. Roth Meyer nicht behalten sollen.

Vielmehr jedoch weil Meyer auch im 37. Arbeitsjahr einen guten Trainerjob macht. Seine Mannschaft spielt auch jetzt nicht viel schlechter als in den vergangenen Jahren. Sie ist eines der zweikampfstärksten (Platz 7) und ballsichersten (Platz 4) Teams der Liga.

Es hätte mit Stil und Anstand zu tun gehabt, wenn der Verein wenigstens einige Tage mit dem Rauswurf gewartet hätte. Dann – wenn in den nächsten Spielen wieder keiner das Tor getroffen hätte – wäre Meyer wie angekündigt selbst zurückgetreten.

Doch stören wird es ihn nicht, dass er „die Reißleine“ nicht selbst ziehen durfte. Hans Meyer war vor Jürgen Klinsmann als Nationaltrainer im Gespräch, der FC Bayern und viele weitere weitaus potentere Bundesligisten als der „Club“ hatten oder haben jetzt wieder Interesse an ihm. Der lustige Hans wird das Ende in Nürnberg gut verkraften. Als 65-Jähriger, der zumindest keinen neuen Job mehr geplant hat, wird er nun seinen Hut nehmen und im eigenen Garten Blumen gießen.
Interessant wird dagegen zu beobachten sein, wie es mit dem Club weitergeht. Im „Hire and Fire“ ist der Verein geübt. Präsident, Geldgeber und Machtfigur Roth bekam von Journalisten in der „Vor-Meyer-Zeit“ gelegentlich den Beinamen „Trainer-Killer“.

Er selbst äußerte sich im Oktober 2003, als sein Verein noch in der Zweiten Liga gegen den VfB Lübeck verlor, so: „Nach dieser Vorstellung muss ich sagen, ich habe eine Pistole samt einem Waffenschein und würde einigen am liebsten das Hirn durchpusten.“

Wie sicher Roth im Umgang mit Trainern ist, stellte er vor Jahren unter Beweis, als er die Nürnberger Sportjournalisten bat („Ihr wisst doch sowieso immer alles besser“), einen neuen Trainer auszuwählen. Der Coach war nach sechs Wochen wieder weg.

Ein anderer Trainer vor Meyer kam einst nach einer Auswärtsfahrt völlig betrunken wieder in Nürnberg an, berief trotzdem eine Mannschaftssitzung ein und flog am Ende vom Stuhl in den Spind. 1. FC Nürnberg und seine Trainer – das scheint so lustig wie unprofessionell.

So wird wohl auch über die Zukunft des neuen Trainers, Thomas von Heesen, vor allem das Schussglück der Stürmer vor den Toren entscheiden. Kurz bevor Hans Meyer seinen Job im Frankenland antrat, waren übrigens ebenso einige Zufälle im Spiel: Denn eigentlich wollte Roth im November 2005 statt Hans Meyer den als Harley fahrenden Lautsprecher bekannten Peter Neururer verpflichten. Nur weil Neururer absagte, wurde Meyer eingestellt.

Das erste Spiel unter Meyer gewann der „Club“ dann ganz, ganz glücklich. Beim entscheidenden Schuss zur Führung wurde der Ball gleich zweimal abgefälscht, bevor er im Tor landete. Hans Meyer wurde danach gefeiert.

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